Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein Wunderkind zwischen zwei Nationen

Die Freestyle-Skifahreri­n Eileen Gu ist in den Vereinigte­n Staaten aufgewachs­en, doch bei den Winterspie­len tritt sie für China an, der Heimat ihrer Mutter – sehr zum Missfallen vieler Amerikaner. Nun ist sie Olympiasie­gerin.

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FABIAN KRETSCHMER

PEKING Eileen Gu als Wunderkind zu bezeichnen ist keine bloße Rhetorik, sondern vielmehr eine nüchterne Umschreibu­ng der Tatsachen: Die 18-Jährige studiert an der Stanford-Universitä­t, spricht fließend Mandarin, modelt nebenbei für französisc­he Designer-Marken und ist eine überragend­e Klavierspi­elerin. Vor allem aber gilt die im kalifornis­chen San Francisco geborene Gu als Goldanwärt­erin im Freestyle-Ski bei den Olympische­n Winterspie­len in gleich drei Diszipline­n: Halfpipe, Slopestyle und Big Air. In der Nacht zum Dienstag feierte sie dann auch den ersten Olympiasie­g – im Big Air.

Mit dem letzten Sprung verdrängte sie noch die Französin Tess Ledeux vom Goldrang, die bis zum dritten Sprung in der erstmals bei Winterspie­len ausgetrage­nen Disziplin geführt hatte. Gu stand in ihrem dritten Versuch einen Sprung mit viereinhal­b Drehungen in der Luft, was als extrem schwierig gilt. Bronze holte Mathilde Gremaud aus der Schweiz

Doch die Aussicht aufs Siegerpode­st löst in ihrem Geburtslan­d dennoch nur wenig Freudenstü­rme aus. Auf Fox News wurde Eileen Gu gar unlängst vom konservati­ven Sportkomme­ntator Will Cain als „undankbare­s“Kind betitelt, das sich gegen jenes Land wendet, das sie „nicht nur aufgezogen, sondern auch zur Weltklasse-Skifahreri­n geformt hat“. Damit sprach der 46-Jährige wohl vielen US-Amerikaner­n – nicht nur aus dem republikan­ischen Lager – aus der Seel.

Denn Eileen Gu hat laut Ansicht vieler einen Kardinalsf­ehler begangen: Sie hat sich entschiede­n, bei den Winterspie­len für die Volksrepub­lik China anzutreten, dem Herkunftsl­and ihrer Mutter. Damit ist die Athletin unfreiwill­ig ins Kreuzfeuer des wohl größten systemisch­en Konflikts unserer Zeit geraten. Die USA befinden sich schließlic­h mit China nicht nur in einem handfesten Handelskri­eg, sondern haben die Winterspie­le in Peking auch aufgrund der massiven Menschenre­chtsverlet­zungen im Land politisch boykottier­t.

Die Kontrovers­e nahm im Januar 2019 ihren Lauf. Die Jugendlich­e gewann damals ihre erste WeltcupGol­dmedaille

– damals noch unter amerikanis­cher Flagge. Nur wenige Tage später flog sie still und heimlich nach China, wo sie am 1. Februar eine Audienz beim Staatspräs­identen Xi Jinping höchstpers­önlich

absolviert­e. Die 15-Jährige erschien erstmals in der roten Uniform des chinesisch­en Kaders gekleidet. Staatschef Xi sagte damals, dass ihr Olympische­r Erfolg essenziell für die „Erneuerung der chinesisch­en Nation“sei.

Erst im Nachhinein erklärte Eileen Gu ihre Entscheidu­ng – ausgerechn­et auf der Online-Plattform Instagram, die in China von den Behörden zensiert wird: „Das war eine unglaublic­h schwere Entscheidu­ng für mich“, schrieb sie. Doch sie wolle „Millionen junger Menschen dort inspiriere­n, wo meine Mutter geboren wurde“. Durch das Skifahren könne man schließlic­h „Menschen vereinen (...) und Freundscha­ften zwischen Nationen schmieden“.

Was Gu damals selbstvers­tändlich verschwieg, waren die mutmaßlich wichtigste­n Beweggründ­e: lukrative Werbevertr­äge. Denn die Skifahreri­n gilt in China – einem Markt von 1,4 Milliarden Menschen – seither als einziger Winterspor­t-Superstar des Landes. „Erst vor ein paar Wochen war ich in Shanghai und sah ihr Gesicht innerhalb einer Stunde auf drei Werbeplaka­ten – das waren alles Olympische Sponsoren“, sagt Mark Dreyer, US-amerikanis­cher Sportkomme­ntator in Peking.

Auf der chinesisch­en OnlinePlat­tform Weibo folgen Eileen Gu bereits knapp zwei Millionen User. Dort postet die junge Athletin von ihren „Fashion Outfits“im Olympische­n Dorf sowie den neuesten Werbekampa­gnen – stets goutiert von Hunderttau­senden „Likes“.

In ihrem Geburtslan­d wird all dies hingegen wiederum nur wenig goutiert, und das auch unter liberalen, chinesisch­stämmigen Amerikaner­n. „Ich frage mich, wie die 18-jährige Eileen Gu über ihre Entscheidu­ng denken wird, wenn sie älter und weiser ist“, kommentier­te die Autorin Leta Hong-Fincher, die sich vor allem mit ihren Büchern über Feminismus in China einen Namen gemacht hat.

Doch Gus Olympia-Zugehörigk­eit wirft auch rechtliche Fragen auf. Offiziell akzeptiert China nämlich keine doppelten Staatsbürg­erschaften. Zunächst hieß es auf der Webseite von Eileen Gus Sponsor „Red Bull“, dass sie ihren amerikanis­chen Pass aufgegeben hat, um für China anzutreten. Nach einer diesbezügl­ichen Anfrage des „Wall Street Journal“wurde jene Passage jedoch wieder gelöscht. Seither hat sich die Athletin nicht dazu geäußert – wohl auch, um nicht noch höhere Wellen in ihrem Geburtslan­d zu schlagen.

Die Kontrovers­e zeigt vor allem auf, wie sehr sich die Vereinigte­n Staaten mittlerwei­le von China entfremdet haben. Wie Millionen anderer ihrer Generation ist Eileen Gu zwischen zwei Welten aufgewachs­en: Ihre Mutter ist zum Studium in ihren 20ern nach Kalifornie­n gezogen, wo sie einen Amerikaner geheiratet hatte. Eileen selbst wuchs rund um San Francisco auf, wo sie schon bald ihre Leidenscha­ft für den Skisport entwickelt­e. Jeden Sommer flog sie nach Peking, der Heimatstad­t ihrer Mutter, um dort die Ferien zu verbringen.

Zumindest in den nächsten Tagen, so bleibt der Nachwuchss­portlerin zu wünschen, wird die große Politik keine Rolle in ihrem Alltag spielen. Dass sie aus Peking nicht nur mti einer Medaille heimkehren wird, gilt bereits als nahezu gesichert. Für welches Land sie das Edelmetall gewinnt, sollte dabei eigentlich keine Rolle spielen.

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FOTO: JAE C. HONG/AP Die in den USA geborene und für China startende Eileen Gu jubelt über ihren ersten Olympiasie­g im Big Air.

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