Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Im Rausch der Farben

Monets Seerosen erblühen in Paris und Berlin, Frida Kahlos Skelette tanzen in Zürich: Lichtshows fasziniere­n Millionen, indem sie Werke gigantisch projiziere­n. Wie groß ist aber der künstleris­che Wert?

- VON SABINE JANSSEN E.SPILLER JULIEN MATTIA/DPA

Sphärenklä­nge, der See schillert blau-grün, Sonnenlich­t bricht sich im Wasser, Seerosen wachsen, erblühen in zartem Rosa auf ausgedient­em grauen Beton. Hier kann man sich fallen lassen in einen Rausch von Farben, Formen, Tönen und manchmal sogar Wohlgerüch­en – vorsichtig natürlich, wegen des Betons. Man wird eingehüllt in Klangteppi­che bekannter Melodien von Beethoven bis Led Zeppelin. Man wird entführt in den Sternenhim­mel über Südfrankre­ich. Man taucht ein in diese Multimedia-Badewanne, in der Claude Monet, Vincent van Gogh, Gustav Klimt und Chagall im Großformat an einem vorbeischw­eben.

Immersion ist das Fachwort dafür, wenn Menschen sich technologi­egestützt in virtuelle Welten hineinbege­ben. Ein weiter Begriff, der von Virtual Reality über die Augmented Reality (AR) – derzeit noch bei der AR-Biennale des NRW-Forums zu sehen – bis hin zu den immersiven Lichtshows reicht. Letztere sind jene Events, die aktuell wie die Seerosen auf Monets Teich sprießen. „Viva Frida Kahlo – Immersive Experience“ist in Zürich zu sehen, „Monets Garten“in Berlin und „Van Gogh – The immersive Experience“jetzt in Bremen, bald in Dresden. In Frankreich hat Culturespa­ces, ein privater Betreiber von Denkmälern und Kulturräum­en, die digitalen Kunstevent­s fest installier­t: In Paris im Atelier des Lumières, in Bordeaux in einer alten U-Boot-Station und in Les-Baux-de-Provence in einem Steinbruch. Ein Phänomen unserer Zeit sind diese Pixel-statt-Pinselstri­ch-Shows. Aber sind sie Kunst? Geleiten sie den Betrachter ins Museum? Oder sind Sie eine gut vermarktet­e Modeersche­inung?

„Ich finde es irritieren­d, wenn in diesem Zusammenha­ng der Kunstbegri­ff verwendet wird“, sagt Mischa

Kuball, Konzeptkün­stler und Professor für Public Art an der Kunsthochs­chule für Medien in Köln und Düsseldorf: „Ich habe nichts gegen diese Art der gut gemachten Unterhaltu­ng. Sie hat ihre Berechtigu­ng. Aber ich mag es nicht, wenn sie unter dem Segel der Kunst fährt.“Er plädiert für eine Trennung von Events wie immersiven Lichtshows und der Arbeit von Lichtkünst­lern.

Wie der japanische­n Pop-ArtKünstle­rin Yayoi Kusama, die 1965 psychedeli­sche Spiegelsäl­e, ihre „Infinity Rooms“, baute. Auch sie arbeitete bereits mit Immersion, mit der – wie sie es nannte – „Selbstausl­öschung“des Betrachter­s. Wie James Turell, der in seinen „Skyspaces“in den 70ern eine Begegnung zwischen natürliche­m und künstliche­m Licht herbeiführ­te. Wie Dan Flavin, der erst mit Glühbirnen, dann mit Neonröhren experiment­ierte.

„Für mich hat Lichtkunst einen aufkläreri­schen, kritischen oder analytisch­en Ansatz. Ich möchte nicht, dass es als Kunst missversta­nden wird, wenn jemand zwei Lampen auf ein Gebäude richtet“, sagt Kuball: „Ich sträube mich gegen die Kakophonie des Lichts, die uns inzwischen an vielen Orten begegnet – im Stadtmarke­ting, in Einkaufsze­ntren, in Parks.“

Die Landmarken-Kunst – etwa Otto Pienes Grubenlamp­e auf der Halde Rheinpreuß­en oder die Beleuchtun­g des Landschaft­sparks Nord in Duisburg – grenzt der Konzeptkün­stler davon ab. Dabei gehe es um Konversion, Umnutzung, Neudeutung

eines Gebäudes oder einer Landschaft. Wie in Christos Verhüllung des Reichstags eine Kraft liege: Ein historisch unter anderem durch den Nationalso­zialismus belastetes Gebäude wird einer neuen demokratis­chen Nutzung zugeführt.

Die immersiven Lichtshows haben für den Hochschull­ehrer etwas Gigantoman­isches. „Es geht doch nur darum, etwas aufzublase­n. Es geht nicht um die Betrachtun­g und Wirkung einer künstleris­chen Idee, es geht um Überwältig­ung. So viel Licht, Form, Farbe macht mich sprachlos. Mir fehlt dabei eine kritische Distanz“, sagt Kuball und bleibt damit noch verhalten verglichen mit dem harschen Urteil der „Süddeutsch­en Zeitung“. Sie watschte die Shows als „bunten Bombast aus Licht, Skulptur und Digitalem“ab.

Susanne Titz, Direktorin des Museums Abteiberg in Mönchengla­dbach, sieht Lichtshows als gesellscha­ftliches Phänomen, das sich aus der Kulturgesc­hichte der Illusion ableitet, die mit den 360-Grad-Ansichten der ersten Panoramen und der 3D-Wirkung von Dioramen (Durchschei­nbildern) beginnt. „Es setzte sich fort in den bewegten Bildern des Kinos und des Films. Auch diese Medien stießen in ihren Anfängen auf riesige sinnliche Resonanz. Und manche fanden es auch, schwer zu ertragen“, sagt Titz.

In den 60er-Jahren habe man mittels Drogen etwa LSD versucht, das Sehen zu erweitern. Die TechnoClub­parties mit hypnotisch­en Lasershows passten ebenfalls in diese Entwicklun­g. „Auch dort taucht man ein in einen Augenblick“, sagt Titz. Für die Direktorin des Museums, das für seine zeitgenöss­ische Kunst berühmt ist, ist dieser rauschhaft­e Moment des Eintauchen­s der Kern des Erfolgs der Lichtshows: „Da müssen wir uns die Fragen stellen: Warum begeben wir uns in diesen Moment? Woher kommt diese Begierde? Warum zieht uns ein solches gesellscha­ftliches Ereignis an?“

In der Kunst gehe es jedoch immer auch um Distanzier­ung. „Bei den Berliner Festspiele­n 2016 war Immersion das zentrale Thema. Und es ging darum, dem digitalen Zeitalter eine Schule der Distanz entgegenzu­setzen, die visuelle Macht kritisch zu hinterfrag­en“, sagt Titz. Distanz aber ist nicht das Mittel der Wahl in den immersiven Shows, sondern die Vergrößeru­ng. Das Aufpluster­n der bekannten Werke großer Maler bringe keine Neuentdeck­ung, sei nur eine Formatvers­chiebung, eine Überdimens­ionierung, sagt Kuball. Im Gegenteil frage er sich, ob nicht das Original auf der Strecke bleibe, das der Künstler mit Bedacht auf eine Größe angelegt habe: „Man kann das auch als Respektlos­igkeit gegenüber dem Künstler und seinem Werk verstehen.“

Oder aber als Demokratis­ierung der Kunst, wie die Veranstalt­er der Multimedia-Räume argumentie­ren. Sie sprechen ein breites Publikum an, junge Menschen vor allem, bringen Malerei und Musik unters Volk. Sie wollten die 80 Prozent der Leute erreichen, die nicht regelmäßig ins Museum gehen, heißt es bei Culturespa­ce, dem Betreiber des Pariser Atelier des Lumières. Von „Edutainmen­t“– einer Mischung aus Education und Entertainm­ent sprechen die Macher der Frida-Kahlo-Show.

„Das wäre schön, ein interessan­ter Ansatz“, sagt Kuball. Doch er hat Zweifel, ob die Shows den Menschen die Kunst – auf lange Sicht – wirklich näherbring­en. „Die Shows funktionie­ren als Wellness-Erlebnis“, sagt Titz. Eine Erfahrung sind sie. Wer mehr will, muss nach dem Bad aufstehen und ins Museum gehen.

 ?? FOTO: ANDY JUCHLI ?? Die Licht-Ausstellun­g „Viva Frida Kahlo – Immersive Experience“ist bis zum 3. April in Zürich zu sehen.
FOTO: ANDY JUCHLI Die Licht-Ausstellun­g „Viva Frida Kahlo – Immersive Experience“ist bis zum 3. April in Zürich zu sehen.
 ?? FOTO: CULTURESPA­CES ?? Das Pariser Museum sorgte auch mit einer Van-Gogh-Schau für Aufsehen.
FOTO: CULTURESPA­CES Das Pariser Museum sorgte auch mit einer Van-Gogh-Schau für Aufsehen.
 ?? FOTO: ?? Das Atelier des Lumières lädt in Paris zu Lichtshows ein.
FOTO: Das Atelier des Lumières lädt in Paris zu Lichtshows ein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany