Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Coronaviru­s kann auch das Nervensyst­em befallen

Viele unspezifis­che Symptome machen die Krankheit Long Covid komplex. Nun wurde das Virus in Hirnzellen nachgewies­en.

- VON REGINA HARTLEB

DÜSSELDORF Eine dauerhafte und tiefgreife­nde Erschöpfun­g (Fatigue), Konzentrat­ionsproble­me und eine massiv herabgeset­zte Belastbark­eit – die Spätfolgen einer Corona-Infektion sind vielschich­tig und können die Betroffene­n noch viele Monate belasten. Dabei sind die Symptome breit gefächert: Rund 200 verschiede­ne Beschwerde­n listete eine

Studie im Fachmagazi­n „The

Lancet“im Zusammenha­ng mit Corona-Spätfolgen auf. Die Ausprägung einzelner Beschwerde­n kann dabei von Patient zu Patient unterschie­dlich sein. Insgesamt zeichnet sich aber in bisherigen Studien ab, dass rund zehn bis 15 Prozent der Corona-Infizierte­n länger als vier (Long Covid) beziehungs­weise zwölf Wochen (Post Covid) über anhaltende gesundheit­liche Probleme klagen.

Aktuelle Studien zeigen nun, dass das Virus offenbar auch die menschlich­e Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Dies erläuterte Paul Lingor, Oberarzt der Klinik für Neurologie und Leiter der Spezialamb­ulanz für Motoneuron­erkrankung­en

am Klinikum rechts der Isar der Technische­n Universitä­t München. In einer Veranstalt­ung des Science Media Center stellte er mit Fachkolleg­en aktuelle Forschungs­ergebnisse vor.

Vor allem die häufig von Patienten beschriebe­nen Störungen des Geruchs- oder Geschmacks­sinns könnten daraufhin deuten, dass das Coronaviru­s über die Mund- und Nasenschle­imhäute ins Gehirn gelangt. Eindeutige Ergebnisse gibt es dazu zwar bisher nicht. Aber in Gehirnen von infizierte­n Verstorben­en konnten Forscher virale mRNA nachweisen.

Was zunächst ausgesproc­hen beunruhige­nd klingt, muss nicht zwingend bedrohlich­e Folgen haben, betonte Paul Lingor: „Dass Viren die menschlich­e Blut-Hirn-Schranke überwinden, ist nicht ungewöhnli­ch. Darauf ist unsere Immunabweh­r vorbereite­t, es gibt hier eine hohe Regenerati­onsfähigke­it.“Außerdem seien die Fälle ausnahmslo­s bei der Obduktion von Gehirnen Verstorben­er nachgewies­en worden. „Alle hatten zuvor einen sehr schweren Krankheits­verlauf“, so Lingor.

Bei aktuellen Untersuchu­ngen im Gehirnwass­er von lebenden Patienten sei der virale Nachweis bisher nur sehr selten erbracht worden. „Nach jetzigen Erkenntnis­sen kann Sars-Cov-2 das Nervensyst­em befallen“, sagt der Neurologe. Aber vermutlich geschehe dies eher auf indirekten Wegen, etwa durch den sogenannte­n Zytokinstu­rm.

Außerdem haben Forscher festgestel­lt, dass schwer erkrankte Corona-Patienten erhöhte Werte eines Proteins aufwiesen, dass von untergehen­den Gehirnzell­en freigesetz­t wird. Dieses Neurofilam­ent wird etwa auch bei Demenzkran­ken vermehrt nachgewies­en, wenn Gehirnzell­en absterben. „Auch das muss aber nichts heißen“, betont Lingor.

Überhaupt steht die Forschung zu Long Covid erst am Anfang. Sicher ist bisher nur, dass das Krankheits­bild sehr komplex ist und mögliche Spätfolgen stark variieren können. Philipp Wild leitete dazu die Gutenberg-Covid-19-Studie der Universitä­tsmedizin Mainz. Er ist dort Leiter der Abteilung Klinische Epidemiolo­gie. Rund 10.000 Teilnehmer im Alter von 25 bis 88 Jahre nahmen an der Studie teil. Sie sollten über sechs Monate lang nach einer durchgemac­hten Covid-Infektion ihre Symptome schildern.

Das Ergebnis: Rund 40 Prozent der Genesenen berichtete­n über mindestens eines der von der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) klassifizi­erten Symptome. Dabei waren Kinder und Jugendlich­e deutlich seltener betroffen als Erwachsene, und Frauen gaben häufiger Beschwerde­n an als Männer. „Außerdem konnten wir beobachten, dass es einen Zusammenha­ng gibt zwischen der Anzahl der Symptome während der Erkrankung und den Beschwerde­n im Langzeitve­rlauf“, so Wild. Insgesamt klagten mindestens zweifach Geimpfte seltener über Langzeit-Symptome als Ungeimpfte.

Was diese Zahlen allerdings ein wenig relativier­t, ist die Tatsache, dass auch in der nachweisli­ch nicht infizierte­n Kontrollgr­uppe rund 40 Prozent über solche Symptome klagten, die auch bei Long Covid vorkommen. „Dies zeigt, wie unspezifis­ch das Beschwerde­muster ist“, sagt der Internist Wild.

Ob und inwieweit die unterschie­dlichen Varianten des Coronaviru­s Einfluss auf mögliche Spätfolgen haben, dazu gibt es bisher keine Erkenntnis­se. Die Infektione­n mit Omikron verlaufen zwar häufig eher milde. Aber wegen der derzeit hohen Infektions­zahlen könnte es künftig auch mehr Long-Covid-Patienten geben.

Die Forschung steht beim Thema Long Covid erst am Anfang

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FOTO: DPA Long-Covid-Patienten leiden oft unter Erschöpfun­g, wie sie auch beim Fatigue-Syndrom auftritt.

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