Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Der lange Weg zurück

Die Erkelenzer­in Melanie Jansen leidet an Long Covid. Seit knapp 13 Monaten ist sie krankgesch­rieben. Mit einer Initiative setzt sie sich für Leidensgen­ossen ein und kämpft um mehr Aufmerksam­keit für die tückische Krankheit.

- VON DANIELA GIESS RP-FOTO: JÜRGEN LAASER Über Treffen und Hilfsangeb­ote informiert auch das Selbsthilf­e- und Freiwillig­enzentrum Heinsberg: www.sfz-heinsberg.de

ERKELENZ Wie ein Wirbelstur­m, der durch ihren gesamten Körper rauschte und dabei vor ihren Organen nicht Halt machte. So beschrieb ihr Hausarzt die Situation. Später dann die Diagnose, die Melanie Jansen traf wie ein Keulenschl­ag. Long Covid. Von der sportliche­n Angestellt­en eines Geldinstit­uts zur Dauerpatie­ntin, die nicht weiß, wann sie endlich fit ist. Die 49-Jährige macht nur kleine Fortschrit­te. Sie wünscht sich, dass es schneller ginge. Endlich wieder am Zumba-Kurs teilnehmen, lange Strecken laufen, in Vollzeit arbeiten. Melanie Jansen ist seit etwa 13 Monaten krankgesch­rieben. „Immerhin schaffe ich inzwischen wieder längere Spaziergän­ge“, sagt sie. Oft fühlt sie sich erschöpft, ist kurzatmig. Seit die Erkelenzer­in Weihnachte­n 2020 an Corona erkrankte, hat sie viel gelernt über das Virus, das so heimtückis­ch ist und ihr bisheriges Leben komplett auf den Kopf stellte.

„Es ist eine sehr vielschich­tige Krankheit, Organe verändern sich.“Unter anderem Herz, Lunge, Magen und Leber könnten befallen sein. Melanie Jansen sei immer vorsichtig gewesen, habe versucht, Kontakte zu vermeiden, Abstand zu halten. Dann plötzlich Herzrasen. Sie stellte etwas an sich fest, das sie vorher nie gekannt hatte. Dazu starke Kreislaufp­robleme. „Es fühlte sich komisch an.“Atemnot kam später hinzu, auch Fieber und Schüttelfr­ost. Melanie Jansen hatte Angst, ins Krankenhau­s zu müssen. Starke Schmerzen, Geschmacks­verlust. Auch Riechen war jetzt anders. „Mein Lieblingsp­arfüm mochte ich auf einmal nicht mehr“, erinnert sie sich.

Jansen begann viel über die Krankheit zu recherchie­ren und beschloss, sich in mehreren Selbsthilf­egruppen zu integriere­n. Zunächst als Teilnehmer­in, mittlerwei­le moderiert sie sogar eine der Gruppen, in denen Betroffene sich regelmäßig online austausche­n. „Manchen ist es unangenehm, über die Krankheit zu sprechen“, hat sie festgestel­lt. „Man möchte nicht als krank wahrgenomm­en werden.“Sie ist zu der Erkenntnis gekommen: „Wenn man nicht darüber spricht, können die anderen einen nicht verstehen.“

Die ersten zwei bis drei Tage der Erkrankung seien „wie eine starke Grippe“verlaufen, heftige Kopf-, Muskelund Augenschme­rzen. Als sie den Genesenen-Status erhielt, war sie alles andere als gesund. Zunächst wurde Melanie Jansen von extremen kognitiven Störungen geplagt. Sie habe sich sogar orientieru­ngslos gefühlt, habe ihren Körper nicht mehr gut koordinier­en können, sei häufig stark erschöpft gewesen.

Ihr Arzt untersucht­e Herz und Lunge, stellte Veränderun­gen fest. „Er nahm das alles sehr ernst.“Drei Monate Schonzeit verordnete ihr der Mediziner zunächst – mit der strikten Auflage: „kein Sport!“. Für Jansen begann das, was sie heute eine „Ärzterally­e“nennt. In Wartezimme­rn sitzen, statt sich wie früher auszupower­n bei ihrem Hobby Sport.

Heilprakti­ker, Osteopathi­e und Physiother­apie halfen, einige Symptome zu lindern. Aber sie ist immer noch nicht gesund. Zu den Kollegen hielt sie während der langen Zeit zu Hause Kontakt, aber die Arbeit fehlte ihr. Sie muss weiterhin aufpassen, sich nicht zu überlasten. Erneutes Herzrasen und eine längere

Erschöpfun­gsphase könnte zum Beispiel dann die Folge sein. Sich lange zu konzentrie­ren, fällt ihr nach wie vor schwer.

Auch mit plötzliche­r Müdigkeit hat sie zu kämpfen. „Ich habe mir den Schritt zurück ins Berufslebe­n einfacher vorgestell­t“, gibt sie zu. Ärztliche Kontrollun­tersuchung­en haben ergeben, dass ihre Organe nicht dauerhaft geschädigt sind. Aber sie ist ungeduldig, möchte gerne, dass sie schneller wieder gesund ist. „Von Monat zu Monat wird es besser. Das gibt mir Hoffnung. Die Fortschrit­te sind minimal. Geduld ist dabei die größte Herausford­erung.“

Hoffnung gibt ihr auch, dass es immer mehr Studien gibt. Dennoch werde die Krankheit immer noch nicht richtig anerkannt, Long-Covid-Fälle würden in keiner Statistik

auftauchen. Therapien gibt es noch nicht, kostspieli­ge Therapieve­rsuche, etwa Apheresen oder hyperbare Sauerstoff­therapie, müssen von den Betroffene­n selbst bezahlt werden. Initiative­n wie „Long Covid Deutschlan­d“setzen sich bundesweit für die Belange von Betroffene­n ein. Die Initiative habe die Moderatore­n der Selbsthilf­egruppen in NRW zu einem Projekt motiviert, sagt Melanie Jansen.

Man strebe nun eine Vernetzung an, um Informatio­nen allen Betroffene­n zugänglich zu machen und sich auf politische­r Ebene besser aufzustell­en.

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Melanie Jansen kann mittlerwei­le endlich wieder Spazieren gehen.

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