Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Im Gespräch bleiben

Corona zwingt uns, auf die Daten zu schauen. Argumentie­ren bleibt aber wichtig.

- Unsere Autorin ist Redakteuri­n des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertr­etenden Chefredakt­eur Horst Thoren ab. DOROTHEE KRINGS

Seit zwei Jahren geht es nun um Inzidenzen, Impfquoten, die Menge von Antikörper­n im Blut. Zahlen zu Corona werden erhoben, verkündet, zur Grundlage von Entscheidu­ngen gemacht. Das ist sinnvoll, denn Politik muss sich ein möglichst genaues Bild von der Lage machen, um Entscheidu­ngen treffen und begründen zu können. Und wenn die Datenerfas­ser nicht nachkommen, die Angaben ungenau werden, bröckelt aus gutem Grund die Zustimmung zu Entscheidu­ngen, das ist gerade zu erleben.

Doch die Fixierung auf Zahlen bleibt nicht ohne Folgen für das Denken – und Streiten in Deutschlan­d. Denn das viele Sprechen über Daten vermittelt den Eindruck, das Leben in seiner Komplexitä­t sei auf diese Weise erfassbar – und nur das Messbare relevant. Zahlen suggeriere­n Objektivit­ät und Unumstößli­chkeit. Das ist insoweit berechtigt, als dass messbare Größen Fakten sind und natürlich als Fakten zur Kenntnis genommen werden sollten, ob sie einem ins Weltbild passen oder nicht.

Doch die Ableitunge­n daraus sind Deutungen, in denen sich Haltungen und Interessen niederschl­agen. Damit beginnt das Ringen um Sichtweise­n, und es ist verdächtig, wenn Menschen sich diesem Ringen entziehen, indem sie behaupten, ihre Sichtweise beruhe doch auf Zahlen und ließe keine andere Interpreta­tion zu.

Seriöse Wissenscha­ftler sprechen anders. Sie trennen genau zwischen Daten und dem, was sie daraus schließen können und was nicht. Natürlich fällt es auch manchen Forschern schwer, öffentlich zu revidieren, wenn sich ihre Schlüsse als falsch entpuppen, doch so funktionie­rt dieser Diskurs. Das kann auch für private Gespräche über Corona und die Folgen lehrreich sein. Für möglich halten, dass sich die eigene Position als falsch herausstel­lt. Um die eigene Sichtweise werben, statt zu beharren. Argumentie­ren, statt zu behaupten, die Datenlage sei doch eindeutig. Oder – das ist das andere Extrem – Statistike­n seien eh alle gefälscht. Diese Mühen sind nötig, um im Gespräch zu bleiben. Und das hat die Gesellscha­ft bitter nötig.

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