Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Im Gespräch bleiben
Corona zwingt uns, auf die Daten zu schauen. Argumentieren bleibt aber wichtig.
Seit zwei Jahren geht es nun um Inzidenzen, Impfquoten, die Menge von Antikörpern im Blut. Zahlen zu Corona werden erhoben, verkündet, zur Grundlage von Entscheidungen gemacht. Das ist sinnvoll, denn Politik muss sich ein möglichst genaues Bild von der Lage machen, um Entscheidungen treffen und begründen zu können. Und wenn die Datenerfasser nicht nachkommen, die Angaben ungenau werden, bröckelt aus gutem Grund die Zustimmung zu Entscheidungen, das ist gerade zu erleben.
Doch die Fixierung auf Zahlen bleibt nicht ohne Folgen für das Denken – und Streiten in Deutschland. Denn das viele Sprechen über Daten vermittelt den Eindruck, das Leben in seiner Komplexität sei auf diese Weise erfassbar – und nur das Messbare relevant. Zahlen suggerieren Objektivität und Unumstößlichkeit. Das ist insoweit berechtigt, als dass messbare Größen Fakten sind und natürlich als Fakten zur Kenntnis genommen werden sollten, ob sie einem ins Weltbild passen oder nicht.
Doch die Ableitungen daraus sind Deutungen, in denen sich Haltungen und Interessen niederschlagen. Damit beginnt das Ringen um Sichtweisen, und es ist verdächtig, wenn Menschen sich diesem Ringen entziehen, indem sie behaupten, ihre Sichtweise beruhe doch auf Zahlen und ließe keine andere Interpretation zu.
Seriöse Wissenschaftler sprechen anders. Sie trennen genau zwischen Daten und dem, was sie daraus schließen können und was nicht. Natürlich fällt es auch manchen Forschern schwer, öffentlich zu revidieren, wenn sich ihre Schlüsse als falsch entpuppen, doch so funktioniert dieser Diskurs. Das kann auch für private Gespräche über Corona und die Folgen lehrreich sein. Für möglich halten, dass sich die eigene Position als falsch herausstellt. Um die eigene Sichtweise werben, statt zu beharren. Argumentieren, statt zu behaupten, die Datenlage sei doch eindeutig. Oder – das ist das andere Extrem – Statistiken seien eh alle gefälscht. Diese Mühen sind nötig, um im Gespräch zu bleiben. Und das hat die Gesellschaft bitter nötig.