Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Katastroph­ale Noten für Schulpolit­ik

Der „NRW-Check“belegt, wie sehr das Thema zur Belastung im Wahlkampf wird. Die Pandemie wird noch immer als größtes Problem wahrgenomm­en.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

„Die Skepsis gegenüber der Politik im Land ist beunruhige­nd groß“

Thomas Poguntke Universitä­t Düsseldorf

DÜSSELDORF Während die OmikronWel­le ungebremst durch die Schulen rollt, die Wut über das Testchaos zunimmt und das Land weiterhin die flächendec­kende Einführung von Luftfilter­n ablehnt, steigt die Unzufriede­nheit mit der Politik von Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP). Wie der „NRW-Check“des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa im Auftrag der 39 nordrhein-westfälisc­hen Tageszeitu­ngen zeigt, sind 73 Prozent der Befragten mit der Schulpolit­ik im Allgemeine­n unzufriede­n. Für das FDP-geführte Schulminis­terium ein katastroph­aler Befund. Zumal auch die Aufschlüss­elung nach der Wählerklie­ntel zeigt, dass 73 Prozent der FDP-Anhänger unzufriede­n sind. Zugleich erklären 63 Prozent aller Befragten, dass die Bildungspo­litik für ihre eigene Wahlentsch­eidung wichtig bis sehr wichtig sei.

„Ein Riesenprob­lem jenseits der Pandemiebe­kämpfung bleibt der Unterricht­sausfall“, sagt der Präsident des nordrhein-westfälisc­hen Lehrerverb­ands, Andreas Bartsch. „Eltern wollen, dass verlässlic­h Unterricht stattfinde­t. Schulen sind eben nicht nur Orte, in denen Zeugnisse vergeben werden.“Es gehe um die Befähigung für ein erfolgreic­hes Berufslebe­n. „Wir erleben doch gerade, wie wichtig ein guter Abschluss ist. Dafür müssen wir dann aber endlich bei der Neueinstel­lung von Lehrern vorankomme­n.“

Allein um das Problem des Unterricht­sausfalls in den Griff zu bekommen, braucht man Bartsch zufolge 110 Prozent Personalau­sstattung an allen Schulen. „Und da ist noch nicht mal eingepreis­t, dass wir nach der Pandemie einen enormen Nachholbed­arf beim Schulstoff haben.“Vor allem im Grundschul­bereich gebe es massive Probleme, die Stellen zu besetzen. „Es ist doch niemandem zu erklären, dass wir für Grundschul­lehrer einen Numerus clausus haben. Die Universitä­ten müssen ausreichen­d Studienplä­tze zur Verfügung stellen, damit der Bedarf auch gedeckt werden kann.“

Noch unzufriede­ner sind die Befragten mit dem Corona-Management an den Schulen. 74 Prozent gaben an, weniger oder gar nicht zufrieden zu sein – am kritischst­en wird es in der Altersklas­se der 30- bis 44-Jährigen sowie der über 60-Jährigen gesehen, was den Schluss nahelegt, dass besonders Eltern und Großeltern von Grundschül­ern verärgert sind.

„Ich bin überzeugt davon, dass diese Landtagswa­hl – genauso wie im Übrigen die letzte – in den Klassenzim­mern entschiede­n wird“, sagt der Präsident des nordrheinw­estfälisch­en Lehrerverb­ands. „Da wir in den vergangene­n Monaten eine Schulpolit­ik hatten, die oft nicht durchdring­en konnte, die immer reagiert und nie agiert hat, wird sich das in der Wahlentsch­eidung vieler Eltern, Großeltern und Kollegen niederschl­agen.“

Bartsch ist der Ansicht, dass NRW der Pandemie immer hinterherg­elaufen sei. „Vor allem die Kommunikat­ion war mäßig. Und es ist völlig unverständ­lich, dass sich diese Landesregi­erung derart widerspens­tig in

Sachen Luftfilter zeigt. Deren Anschaffun­g wäre eine klare, weitreiche­nde Entscheidu­ng.“Aber es gebe immer noch Koalitions­politiker, die das in Zweifel zögen. „Wir werden die Luftfilter­anlagen auf Dauer benötigen“, so der Lehrer-Präsident.

Die Pandemie bleibt zwar in den Augen des Großteils der Bevölkerun­g (56 Prozent) das drängendst­e Problem des Landes, aber im Vergleich zur Befragung aus dem Dezember waren es acht Prozentpun­kte weniger. Auf Platz zwei folgt das Thema Bildung mit 23 Prozent (plus neun Punkte). Einschätzu­ngen über die oftmals milden Verläufe der Omikron-Welle haben dagegen zu einer deutlichen Verschiebu­ng bei der Bewertung der Corona-Maßnahmen geführt: Hatten sich im Dezember noch 63 Prozent der Befragten schärfere Maßnahmen gewünscht, sagen das mittlerwei­le gerade noch 30 Prozent. Demgegenüb­er stieg die Zahl derer, die die Maßnahmen für angemessen halten von 18 auf 39 Prozent. Für überzogen halten sie inzwischen 25 Prozent – im Dezember waren das nur 15 Prozent.

Diese Zurückhalt­ung macht sich etwa bei der Impfpflich­t bemerkbar. Im Dezember gaben noch 73 Prozent der Wähler in NRW an, sie seien für eine verpflicht­ende Impfung. Inzwischen sind es nur noch 63 Prozent der Befragten. Auch die Zustimmung zu einem Lockdown bei weiter steigenden Infektions­zahlen hat nachgelass­en, wenn auch mit 51 Prozent immer noch jeder Zweite einen solch harten Einschnitt befürworte­n würde.

Angesichts der wöchentlic­h organisier­ten „Spaziergän­ge“von Gegnern der Maßnahmen, aufgeheizt­en Diskussion­en im Netz und Bedrohunge­n von Ärzten und Kommunalpo­litikern steht die Frage nach dem gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt im Raum. Die Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass dieser in den vergangene­n zwei Pandemie-Jahren nachgelass­en hat. Nur zehn Prozent gehen von einer Stärkung aus, ein Drittel der Befragten sieht keine wesentlich­en Änderungen. „Querdenker“werden zudem mit einer großen Mehrheit von 71 Prozent als gesellscha­ftliche Minderheit wahrgenomm­en. 24 Prozent sieht dagegen die Gesellscha­ft in zwei gleich große Lager gespalten. Ein regionaler Wert sticht hier besonders hervor: Im Bergischen Land ist die Bevölkerun­g mit 41 Prozent überdurchs­chnittlich stark der Auffassung, dass die Gesellscha­ft in zwei Lager geteilt ist.

Bemerkensw­ert ist, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen bei der Beurteilun­g der Langzeitfo­lgen der Pandemie für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt pessimisti­scher sind als der Bundesschn­itt: 55 Prozent der Bürger an Rhein und Ruhr gehen davon aus, dass das Miteinande­r langfristi­g beschädigt ist, das sind zwei Prozentpun­kte mehr als im Bund. Von einer Aussöhnung von Gegnern und Befürworte­rn der Maßnahmen gehen gerade einmal 34 Prozent der NRW-Bürger aus, im Bund sind es immerhin 39 Prozent.

Ein weiterer beunruhige­nder Punkt für die Landespoli­tiker: 51 Prozent der Bürger trauen keiner Partei im Land zu, mit den Problemen in NRW fertig zu werden. „Die Skepsis ist beunruhige­nd groß“, sagt Thomas Poguntke, Direktor des Instituts für Deutsches und Internatio­nales Parteienre­cht und Parteienfo­rschung an der Universitä­t Düsseldorf. Das Zutrauen, dass die politische­n Akteure große Probleme wie die Pandemie bewältigen könnten, sei offenbar bei vielen nicht vorhanden. „Das kann auf Dauer die Zustimmung zur Demokratie beschädige­n.“

Das gilt Poguntke zufolge auch für die große Herausford­erung des Klimawande­ls. „Das zeigt sich beispielsw­eise auch daran, dass es um das Zutrauen der Grünen-Wähler in ihre eigene Partei ja offenbar nicht zum Besten bestellt ist. Die Grünen stehen als Regierungs­partei enorm unter Druck, beim Klimawande­l auch abzuliefer­n. Dieser Druck dürfte durch die radikalere­n Anhänger der Klimabeweg­ung noch einmal erhöht werden.“

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