Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Zurück zu den Wurzeln
Amy Gutmann kommt als US-Botschafterin in Deutschland in die Heimat ihres jüdischen Vaters.
WASHINGTON Für ihren Vater Kurt empfindet Amy Gutmann bis heute tiefe Dankbarkeit für dessen Weitblick, kurz nach der Machtübernahme der Nazis seine fränkische Heimatstadt Feuchtwangen verlassen zu haben. „Meine gesamte Familie wäre ausgelöscht worden, hätte mein Vater das nicht getan“, sagt die designierte Botschafterin in Deutschland über dessen Flucht 1934 nach Indien. In Bombay betrieb ihr Vater einen Metallwarenladen, siedelte dann 1948 in die USA um, wo er seine Frau Beatrice bei einem Aufenthalt in New York kennengelernt hatte. Ein Jahr später kam ihre erste Tochter, Amy, auf die Welt. Dass Gutmann als Botschafterin in das Land zurückkehren wird, aus dem ihr jüdischer Vater geflohen war, ist nicht nur der krönende Höhepunkt einer Karriere, sondern bringt sie zu ihren Wurzeln zurück.
Die Präsidentin der renommierten University of Pennsylvania war im vergangenen Juni von US-Präsident Joe Biden nominiert worden. Ihre Bestätigung durch den Senat zog sich über ein halbes Jahr hin, war am Ende aber mit 52 zu 42 Stimmen nicht viel mehr als eine Formsache. Wie auch das sogenannte Agrément durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. „Das ist für mich sehr aufwühlend“, sagte Gutmann nach der Abstimmung im Senat: „Ich kämpfe mit den Tränen.“Dass sie heute zu einem Verbündeten zurückkehre, zeige, „was die Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland über die Zeit möglich gemacht hat“.
Anders als ihr Vorgänger Richard Grenell, der in Berlin vor allem als Rabauke auffiel, bringt die Wissenschaftlerin nicht nur die Sprachkenntnisse, sondern auch die historische Sensibilität für den Posten am Brandenburger Tor mit. Sie genießt dabei die volle Rückendeckung Bidens, mit dem sie eine lange und persönliche Freundschaft verbindet. Ihre Bestätigung im Senat war dringlich, weil der Botschaftersessel in Berlin mitten in der Ukraine-Krise unbesetzt war. Die Liste der Themen reicht von Nord Stream 2 über die Abstimmung von Finanzsanktionen bis hin zu Überflugrechten und Truppenverlegungen. Auch im Verhältnis zu China gibt es Abstimmungsbedarf. Die neue US-Regierung betrachtet die Volksrepublik als strategischen Rivalen und drängt auf eine härtere Gangart im Handel, bei der Verteidigung von geistigem Eigentum und dem Schutz der Informationsnetzwerke. Die erste Frau an der Spitze der amerikanischen Botschaft in Deutschland bringt mit ihrer langjährigen Erfahrung in Führungspositionen das Fingerspitzengefühl mit in den Job, Lösungen zu finden.
Die Wahl der von Newsweek als eine von „150 Frauen, die die Welt aufrütteln“ausgezeichneten Präsidentin der Universität von Pennsylvania verstehen Insider in Washington als Spitzenbesetzung mit einer Powerfrau. In erster Linie ist sie eine Macherin, die den Zugang zu bezahlbarer Bildung, Initiativen gegen den Klimawandel und globales Engagement zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Und eine moralische Instanz, die als Maßstab ihres Handelns die gelebte Geschichte ihrer Familie mit nach Berlin bringen wird.