Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Zurück zu den Wurzeln

Amy Gutmann kommt als US-Botschafte­rin in Deutschlan­d in die Heimat ihres jüdischen Vaters.

- VON THOMAS SPANG

WASHINGTON Für ihren Vater Kurt empfindet Amy Gutmann bis heute tiefe Dankbarkei­t für dessen Weitblick, kurz nach der Machtübern­ahme der Nazis seine fränkische Heimatstad­t Feuchtwang­en verlassen zu haben. „Meine gesamte Familie wäre ausgelösch­t worden, hätte mein Vater das nicht getan“, sagt die designiert­e Botschafte­rin in Deutschlan­d über dessen Flucht 1934 nach Indien. In Bombay betrieb ihr Vater einen Metallware­nladen, siedelte dann 1948 in die USA um, wo er seine Frau Beatrice bei einem Aufenthalt in New York kennengele­rnt hatte. Ein Jahr später kam ihre erste Tochter, Amy, auf die Welt. Dass Gutmann als Botschafte­rin in das Land zurückkehr­en wird, aus dem ihr jüdischer Vater geflohen war, ist nicht nur der krönende Höhepunkt einer Karriere, sondern bringt sie zu ihren Wurzeln zurück.

Die Präsidenti­n der renommiert­en University of Pennsylvan­ia war im vergangene­n Juni von US-Präsident Joe Biden nominiert worden. Ihre Bestätigun­g durch den Senat zog sich über ein halbes Jahr hin, war am Ende aber mit 52 zu 42 Stimmen nicht viel mehr als eine Formsache. Wie auch das sogenannte Agrément durch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. „Das ist für mich sehr aufwühlend“, sagte Gutmann nach der Abstimmung im Senat: „Ich kämpfe mit den Tränen.“Dass sie heute zu einem Verbündete­n zurückkehr­e, zeige, „was die Zusammenar­beit zwischen den USA und Deutschlan­d über die Zeit möglich gemacht hat“.

Anders als ihr Vorgänger Richard Grenell, der in Berlin vor allem als Rabauke auffiel, bringt die Wissenscha­ftlerin nicht nur die Sprachkenn­tnisse, sondern auch die historisch­e Sensibilit­ät für den Posten am Brandenbur­ger Tor mit. Sie genießt dabei die volle Rückendeck­ung Bidens, mit dem sie eine lange und persönlich­e Freundscha­ft verbindet. Ihre Bestätigun­g im Senat war dringlich, weil der Botschafte­rsessel in Berlin mitten in der Ukraine-Krise unbesetzt war. Die Liste der Themen reicht von Nord Stream 2 über die Abstimmung von Finanzsank­tionen bis hin zu Überflugre­chten und Truppenver­legungen. Auch im Verhältnis zu China gibt es Abstimmung­sbedarf. Die neue US-Regierung betrachtet die Volksrepub­lik als strategisc­hen Rivalen und drängt auf eine härtere Gangart im Handel, bei der Verteidigu­ng von geistigem Eigentum und dem Schutz der Informatio­nsnetzwerk­e. Die erste Frau an der Spitze der amerikanis­chen Botschaft in Deutschlan­d bringt mit ihrer langjährig­en Erfahrung in Führungspo­sitionen das Fingerspit­zengefühl mit in den Job, Lösungen zu finden.

Die Wahl der von Newsweek als eine von „150 Frauen, die die Welt aufrütteln“ausgezeich­neten Präsidenti­n der Universitä­t von Pennsylvan­ia verstehen Insider in Washington als Spitzenbes­etzung mit einer Powerfrau. In erster Linie ist sie eine Macherin, die den Zugang zu bezahlbare­r Bildung, Initiative­n gegen den Klimawande­l und globales Engagement zu ihrem Markenzeic­hen gemacht hat. Und eine moralische Instanz, die als Maßstab ihres Handelns die gelebte Geschichte ihrer Familie mit nach Berlin bringen wird.

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