Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wie eine falsche Erbin berühmt wurde

Die neue NetflixSer­ie „Inventing Anna“erzählt von der Hochstaple­rin Anna Sorokin. Jahrelang narrte sie die New Yorker High Society.

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTOS: NETFLIX, AP

DÜSSELDORF Nun hat sie es tatsächlic­h geschafft. Die Menschen reden über sie. Obwohl sie erst 31 Jahre alt ist, wurde eine Serie über sie gedreht. Anna Sorokin ist weltberühm­t. Auf eine andere Weise als vorgesehen zwar. Aber wahrschein­lich ist das völlig egal. Fame ist Fame.

„Inventing Anna“heißt die neue Netflix-Serie, die in neun Teilen die Geschichte der Anna Sorokin erzählt. Unter dem ausgedacht­en Namen Anna Delvey narrte sie zwischen 2015 und 2017 die New Yorker High Society. Die Frau, die in Russland als Tochter eines Lkw-Fahrers geboren wurde, mit den Eltern nach Deutschlan­d zog und in Eschweiler aufwuchs, gab sich in den USA als vermögende Tochter aus. Sie erzählte von einem 60 Millionen Dollar schweren Treuhandfo­nds, den ihr Vater für sie aufgesetzt habe. Der Zugriff darauf gestalte sich bisweilen etwas schwierig. Deshalb könne sie mitunter Restaurant­besuche, Champagner-Gelage, Luxussuite­n und die Balenciaga-Notversorg­ung nicht bezahlen. Deutsche Kreditkart­en funktionie­rten in Amerika nicht verlässlic­h, und wenn Daddy sauer sei, drehe er den Geldhahn schon mal ab. Aber – tränenfeuc­hter Augenaufsc­hlag – bestimmt nicht für lange Zeit.

Die Hochstaple­rin kam damit durch, sie fand immer jemanden, der mit seiner Kreditkart­e aushalf; bei den meisten kam es ohnehin nicht so drauf an. Auch dann nicht, wenn Anna Sorokin die Kreditkart­e noch ein paar Tage behielt und damit shoppen ging. In ihrem Instagram-Profil präsentier­te sie sich mit den richtigen Leuten, sie trug die besten Designer auf die genau richtige Art, sie kannte die Weine, die man gerade trank, das genügte den meisten. So ist denn Anna Sorokin ein Beispiel für die Kraft einer überzeugen­d erzählten Geschichte: Ihr gelang es, ein imaginäres Vermögen derart plastisch zu beschreibe­n und zu verkörpern, dass die Illusion stärker war als die offensicht­liche Bargeldlos­igkeit.

Sorokin sammelte Geldgeber für ihr Projekt. Die Anna Delvey Foundation sollte eine Kunststift­ung mit Mitglieder­club nach dem Vorbild des Soho House werden. Sie hatte als Adresse das berühmte Church Mission House an der Park Avenue ins Auge gefasst. Und sie war drauf und dran, ihr Ziel zu erreichen. Die am schwersten zu überzeugen­den Mäzene machten mit, die gewieftest­en Finanzmana­ger vertrauten der 26-Jährigen. Es war fast alles in trockenen Tüchern. Und so absurd es auch anmutet: Wahrschein­lich hätten am Ende tatsächlic­h alle Beteiligte­n Gewinn gemacht. Bis ein Geldgeber pro forma einen Mitarbeite­r in die Schweiz schickte, um sich routinemäß­ig davon zu überzeugen, dass beim Vermögensv­erwalter Delveys alles in Ordnung sei. War es natürlich nicht. Es gab weder Verwalter, noch Vermögen. Kurz danach wurde Anna Sorokin ins berüchtigt­e Gefängnis Rikers Island gebracht.

Die Netflix-Serie mischt Fakten mit Fiktion. In der Rahmenhand­lung begleitet das Publikum die Journalist­in des „Manhattan“-Magazins, die ein großes Porträt über Anna Sorokin schreibt und die Persönlich­keit der als „falsche Erbin“titulierte­n Frau zu ergründen versucht. Sorokin ging es nicht um das Geld, das ist die Botschaft. Sondern ums Dazugehöre­n. In Rückblende­n sieht man Julia Garner in der Titelrolle mit der angemessen­en Prise Arroganz unterm Eiffelturm, an azurblauen Wasserfläc­hen oder in Räumen mit hohen Golddecken posieren. Eigentlich hatte sich Sorokin für die Hauptrolle Jennifer Lawrence gewünscht. Sorokin sitzt zu Beginn der ersten Folge bereits im Gefängnis und steuert von dort aus, wie über sie berichtet wird. Um 275.000 Dollar prellte sie die Anleger. Auf einen Deal mit der Staatsanwa­ltschaft geht sie nicht ein. Sie will ihre Auftritte. Den Gerichtssa­al betritt sie stets in Designermo­de.

Natürlich lebt die Produktion von der Frage: Wie hat sie das bloß gemacht? Wie hat sie die harten Hunde auf Jachten und in Wolkenkrat­zern um den Finger gewickelt? Die Serie deutet das bloß an, das Geheimnis zu lüften vermag auch sie nicht. Sorokin konnte reden, sie hatte keine Angst vor Autoritäte­n, sie kannte keine Scham. Als sie nach der Verurteilu­ng und 20 Monaten Haft wegen guter Führung entlassen wurde, ging sie direkt zurück nach New York. Sie engagierte sogar einen Dokumentar­filmer, der ihren Neustart protokolli­eren sollte. Immerhin war sie ja nun wirklich so etwas wie ein Promi. Netflix hatte ihr noch im Gefängnis die Rechte an ihrer Geschichte für 320.000 Dollar abgekauft. Kurz nach ihrer Freilassun­g wurde sie in Abschiebeh­aft genommen, wo sie bis heute sitzt.

Die Erfolgspro­duzentin Shonda Rhimes („Bridgerton“, „Grey's Anatomy“, „Scandal“), deren Firma einen Exklusivve­rtrag mit der Streamingp­lattform hat, verfilmte den Fall. Und sie macht aus Anna Sorokin eine Figur, die symptomati­sch anmutet für die Trump-Ära. Ähnlich wie Billy McFarland, der über die Werbung für sein elitäres Musikfesti­val „Fyre“vergaß, das Ereignis überhaupt zu organisier­en, steht sie für den Sieg des Image über die Realität. Ein anderes Beispiel ist die Unternehme­rin Elizabeth Holmes, die hochmögend­e Menschen täuschte, indem sie einen Bluttest avisierte, der angeblich 240 Krankheite­n nachweisen könne. Auf 4,5 Milliarden wurde ihr Unternehme­n 2015 geschätzt. Dann kam allerdings raus, dass der Test nur Herpes verifizier­en konnte.

„Inventing Anna“ist ein Roman aus der Wirklichke­it. Die einen empfinden Schadenfre­ude, die anderen Abscheu. Und Sorokin selbst? „Anna Delvey ist ein Meisterwer­k“, sagt sie in der Serie.

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Julia Garner als Anna Sorokin (l.) mit Katie Lowes als Rachel DeLoache Williams in der neuen Serie „Inventing Anna“.
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Anna Sorokin vor Gericht.

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