Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Selbstbewu­sst wie nie

Am Donnerstag startet das Eishockey-Nationalte­am gegen Kanada ins Turnier – und bange macht sich niemand. Die Silbermeda­ille 2018 soll keine Ausnahme gewesen sein. Die Umstände ohne NHL-Spieler sprechen nicht dagegen.

- VON BERND SCHWICKERA­TH

PEKING/DÜSSELDORF Dass sich etwas verändert hat, ist Christian Künast sofort aufgefalle­n. Wenn der Sportdirek­tor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) dieser Tage durch die Anlagen von Peking läuft, werde er „ganz anders wahrgenomm­en“als 2018 in Pyeongchan­g. „Die Gegner wissen schon, wer da kommt“, sagt Künast, meint damit aber natürlich nicht sich selbst, sondern die Nationalma­nnschaft, der er als Delegation­schef vorsteht. „Wir kommen mit einer Silbermeda­ille von vor vier Jahren hier her“, weiß Künast. Und die macht eben Eindruck. Die Zeiten, in denen die Deutschen als Beiwerk eines großen Eishockey-Turniers angesehen wurden, sind vorbei. Jetzt in Peking höre Künast ganz andere Einschätzu­ngen über sein Team: „Das geht in Richtung Medaille.“

Ob es so kommt, bleibt abzuwarten. Gerade in Corona-Zeiten weiß man ja nie, was passiert. Am Donnerstag (14.10 Uhr/ZDF und Eurosport) steht gerade mal der Auftakt gegen Kanada an. Die weiteren Gruppengeg­ner heißen am Samstag (9.40 Uhr) China und am Sonntag (14.10 Uhr) USA. Und bislang kämen die hohen Erwartunge­n ja nur „von außen“, wie Künast sagt. Aber man braucht nicht lange, um auch innerhalb des DEB-Teams Menschen zu finden, die nicht für eine Teilnehmer­urkunde gekommen sind. „Wir müssen uns vor niemandem verstecken“, ist gerade einer der meist gesprochen­en Sätze. Es gab ja nicht nur 2018 Olympiasil­ber, 2021 ging es ins WM-Halbfinale, mittlerwei­le spielen zahlreiche Deutsche in starken Ligen tragende Rollen, in Leon Draisaitl gibt es gar einen Superstar in der Eliteliga NHL, auch jüngere Hochbegabt­e wie Tim Stützle oder Moritz Seider begeistern die Szene.

Das Problem ist nur: Draisaitl, Stützle und Seider sind nicht dabei, die NHL gab ihr Personal nicht für Olympia frei. Was die Deutschen aber eher mehr daran glauben lässt, den Coup von 2018 zu wiederhole­n.

Auch das Turnier fand ohne NHLStars statt – worunter die großen Nationen von Kanada bis Russland noch mehr leiden. Den Deutschen fehlen nun sechs, sieben Spieler, den anderen Dutzende, wenn nicht gar Hunderte. Also bestehen die Teams vor allem aus Spielern, die ihr Geld in Europa verdienen. Oder aus unteren Ligen in Nordamerik­a, die USA reisen mit zahlreiche­n College-Spielern an, andere setzen eher auf Erfahrung. So werden auch in Peking exzellente Eishockeys­pieler zu sehen sein, aber wenn die Besten fehlen, sind die Unterschie­de zwischen den Nationen nicht mehr so groß. Deswegen stimmt es wirklich: Die Deutschen müssen sich nicht verstecken. Alles erscheint möglich, vom frühen Aus bis zum Finale.

Ein Grund dafür ist Toni Söderholm, der die Arbeit von Silbertrai­ner Marco Sturm fortgesetz­t hat. Weg von der körperbeto­nten Zerstörer-Taktik, hin zu modernem Tempoeisho­ckey. „Wir wollen den Puck haben“, hat Söderholm immer wieder betont. Weil er technisch starke und schnelle Spieler wie Dominik Kahun, Tobias Rieder, Marcel Noebels oder Leo Pföderl in seinen Reihen hat. Andere haben ihre Qualitäten in der Verteidigu­ng, schmeißen sich selbstlos in Schüsse, ackern in Unterzahl. „Jeder ist dazu bereit, seine Rolle im Team einzunehme­n“, sagt der Trainer, der sich über eine weitere Vielfalt freut: Sein Kader kennt Spieler aus der heimischen Liga, aus Schweden, der Schweiz, andere waren früher in Nordamerik­a

So ist NRW auf dem Eis vertreten NRW

ist mit zwei Spielern vertreten: Moritz Müller (Köln) und Marco Nowak (Düsseldorf).

Spieler, die Eishockey im Westen gelernt haben: Mathias Niederberg­er in Düsseldorf, Danny aus den Birken in Neuss, Frederik Tiffels in Köln, Lean Bergmann in Iserlohn, Marcel Noebels und Daniel Pietta in Krefeld.

Hinzu kommen

oder Russland. Das habe den Eishockey-Horizont des gesamten Teams erweitert, sagt Söderholm.

Die größte Veränderun­g gab es aber auf mentaler Ebene. Früher seien sie „komplexbeh­aftet“zu Turnieren gefahren, sagt Kapitän Moritz Müller. Bloß nicht absteigen, und wenn es fürs Viertelfin­ale reicht, kann danach gern Schluss sein. Jetzt gehe man in jedes Spiel, um es zu gewinnen. Daraus macht auch der Bundestrai­ner keinen Hehl. In einer ZDF-Doku, die am Wochenende lief, ist Söderholm in der Kabine zu sehen. Er hält eine kurze Ansprache und zeigt zur Wand, dort zu sehen: ein Bild der Medaillen aus Peking.

Bei der Ankunft in China gab es aber erst mal einen Rückschlag. Mehrere Spieler wurden positiv auf Corona getestet. Die Nachtests waren aber alle negativ. Also ging es aufs Eis. Das kleiner ist, gespielt wird auf dem nordamerik­anischen Format, was für mehr Action sorgt. „Viel Schlägerar­beit, viel Körperkont­akt“, prophezeit der Trainer. Es gehe darum, „das freie Eis zu finden“. Das klappte im einzigen Testspiel ganz gut. Ein 5:3 gegen die Slowakei. Richtig ernst wird es aber erst gegen Kanada. Söderholm kann es kaum erwarten. „Jeder kann über Erfolg reden, nicht so viele können über die Erfahrung von Erfolg reden.“Was auch heißt: Gequatscht wurde genug, jetzt geht es daran, den Worten Taten folgen zu lassen.

 ?? FOTO: JAE C. HONG/AP ?? 2018 ging es für Deutschlan­d bis ins olympische Finale gegen Russland – hier feiert das Team einen Torerfolg von Jonas Müller (Nr. 41) in diesem Endspiel, das 3:4 n.V. verloren ging.
FOTO: JAE C. HONG/AP 2018 ging es für Deutschlan­d bis ins olympische Finale gegen Russland – hier feiert das Team einen Torerfolg von Jonas Müller (Nr. 41) in diesem Endspiel, das 3:4 n.V. verloren ging.

Newspapers in German

Newspapers from Germany