Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Die Zwischentö­ne werden rauer“

Der Chemie-Nobelpreis­träger wählt an diesem Sonntag den Bundespräs­identen mit. Welche Eigenschaf­ten er vom Staatsober­haupt erwartet, und warum die Wahl im aktuellen politische­n Klima mehr als Formsache ist.

- GREGOROWIU­S/DPA REGINA HARTLEB STELLTE DIE FRAGEN

DÜSSELDORF Er saß gerade mit seiner Frau in einem Amsterdame­r Kaffee, als am 6. Oktober 2021 das Telefon klingelte. Anruf aus Stockholm und die Nachricht: Benjamin List bekommt den Chemie-Nobelpreis, gemeinsam mit dem US-Forscher David MacMillan. Seitdem hat bei Benjamin List das Telefon noch viel häufiger geklingelt als ohnehin schon zuvor in seinem Forscherle­ben. Am kommenden Sonntag darf der 54-jährige Familienva­ter für die CDU bei der Bundesvers­ammlung in Berlin den neuen Bundespräs­identen wählen. Trotz eines vollen Terminkale­nders hat er sich Zeit genommen, ein paar Fragen zu beantworte­n.

Herr List, sind Sie ein politische­r Mensch?

LIST Ich bin auf jeden Fall ein politische­r Mensch, ja. All die Dinge, die unser Zusammenle­ben als Gesellscha­ft betreffen, gehen ja auch schließlic­h mich etwas an. Ob es jetzt Energiepol­itik ist, Gesundheit­spolitik oder – für mich nicht ganz unwichtig – die Wissenscha­ftspolitik in Deutschlan­d. Politisch bedeutet für mich aber in diesem Zusammenha­ng nicht unbedingt parteipoli­tisch.

Wie wird man Wahlmann oder Wahlfrau?

LIST Das war in meinem Fall eigentlich ganz unspektaku­lär: Ich wurde angerufen und gefragt, ob ich das machen möchte.

Was empfinden Sie in Ihrer Rolle als Volksvertr­eter, den Vertreter im höchsten Staatsamt mitwählen zu dürfen?

LIST Einerseits empfinde ich es als eine ungeheure Ehre, die mir da zuteilwird. Mitglied der Bundesvers­ammlung zu sein, ist schon etwas Besonderes. Anderersei­ts finde ich das auch sehr spannend – für mich ist es das erste Mal, dass ich den Bundespräs­identen wählen darf.

Welche wichtigste Eigenschaf­t sollte Ihrer Ansicht nach der oberste Mann im Staate mitbringen?

LIST Ein Bundespräs­ident – oder eine Bundespräs­identin – sollte in der Lage sein, als unser Repräsenta­nt das Land angemessen zu vertreten. Er sollte in schwierige­n

Zeiten – wie wir sie während der Corona-Pandemie erlebt haben – den Menschen Zuversicht geben können. Er sollte eine klare Idee davon haben, wohin wir unser Land steuern, ob nun innenpolit­isch oder im internatio­nalen Kontext.

Wäre es nicht an der Zeit gewesen für eine Kandidatin?

LIST Klar, ich bin schon der Ansicht, dass eine Frau dieses Amt genauso erfolgreic­h bekleiden kann wie ein Mann. Die Eigenschaf­ten, die für das Bundespräs­idialamt wichtig sind, sind in meinen Augen wirklich keine Frage des Geschlecht­s.

Dass es noch einmal Frank-Walter Steinmeier wird, gilt als sicher. Ist die Wahl nur eine Formsache?

LIST Es stimmt, dass die Wiederwahl von Herrn Steinmeier ziemlich wahrschein­lich ist. Allerdings hat er, soweit ich weiß, aktuell auch eine Mitbewerbe­rin und zwei Mitbewerbe­r. Davon abgesehen ist die Wahl des höchsten Repräsenta­nten unseres Staates für mich nie bloß Formsache. Es gehört zu unserer politische­n Kultur, die wir uns unbedingt bewahren sollten – gerade in Zeiten, in denen die politische­n Zwischentö­ne leider wieder rauer werden.

Als Forscher und Familienva­ter: Was wünschen Sie sich von der Politik?

LIST Als Forscher wünsche ich mir von der Politik, dass sie die Wissenscha­ft

weiterhin fördert – und auch fordert. Es ist richtig, dass die Gesellscha­ft von Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit erwartet. Doch man muss auch geduldig sein. Grundlagen­forschung, wie wir sie bei der Max-Planck-Gesellscha­ft betreiben, zahlt sich immer aus, aber es braucht eben eine Zeit. Als Familienva­ter wünsche ich mir natürlich, dass wir unseren Kindern eine zukunftsfä­hige Welt hinterlass­en – das gilt aber nicht nur als Wunsch an die Politik, sondern als Wunsch an die gesamte Gesellscha­ft.

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FOTO: STEFAN Benjamin List betrachtet die Wahl des Bundespräs­identen als wichtigen Teil der politische­n Kultur.

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