Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Hercule Poirot und das Rätsel der fünf Leichen
Kenneth Branagh setzt seine Reihe von Agatha-Christie-Neuverfilmungen fort. „Tod auf dem Nil“wartet mit einigen Überraschungen auf.
Die großen Agatha-ChristieVerfilmungen der 1970erund frühen 80er-Jahre waren so etwas wie „Traumschiff“Episoden. Nur dass in „Mord im Orient-Express“oder „Das Böse unter der Sonne“natürlich kein Ensemble aus deutschen TV-Darstellern eine Klassenfahrt in fremde Länder unternahm, sondern eine mitunter unwahrscheinlich anmutende Runde aus Hollywood-Legenden, deren Ruhm blass in die Gegenwart schimmerte. Bette Davis, Lauren Bacall, David Niven und Ingrid Bergman traten darin noch einmal auf. Und es war Teil des Vergnügens, diese Stars aus einer vergangenen Ära vor den gestrengen Augen Peter Ustinovs als Hercule Poirot unter Verdacht geraten zu sehen.
Der Film wirkt optisch zeitlos, bisweilen sogar wie ein Märchen
Vor fünf Jahren begann Kenneth Branagh, diese Klassiker für die Gegenwart zu adaptieren. Sein „Mord im Orient-Express“brachte Johnny Depp mit Michelle Pfeiffer zusammen und Judi Dench mit Penélope Cruz. Obwohl die meisten Kritiken die Produktion als herzlos abkanzelten, war sie an den Kinokassen ein großer Erfolg. Bei einem Budget von 55 Millionen Dollar spielte sie 350 Millionen ein. Rasch war klar, dass man Branagh seinen Wunsch erfüllen würde, weitere Poirot-Filme zu drehen.
Nun startet also die zweite Lieferung, und „Tod auf dem Nil“ist amüsanter, raffinierter und buchstäblich wärmer geraten als die Mördersuche im Zug. Das mag auch daran liegen, dass Branagh sich nicht damit begnügt, John Guillermins Originals aus dem Jahr 1978 lediglich aufzumöbeln. Er geht weiter, er gibt der neuerlich von ihm selbst gespielten Hauptfigur eine Geschichte, eine Biografie. Der Film beginnt in Schwarz-Weiß, und das Publikum begegnet dem jungen Hercule
Poirot als belgischem Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Poirot zeichnet sich damals schon durch gesteigerte Aufmerksamkeit und Scharfblick aus. Er rettet seine Einheit, kommt aber durch den Fehler eines weniger talentierten Vorgesetzten zu Schaden und wird im Gesicht entstellt. Die Krankenschwester, die ihn pflegt, ist zufällig die Frau, mit der er sich zuvor verlobt hatte. Ob sie ihn nun noch wolle, fragt er unter Tränen. Er wisse wohl nicht, wie Liebe funktioniere, entgegnet sie. Und: „Von nun an trägst du Schnurrbart.“So geht Poirot als Liebender mit einem seine
Versehrtheit kaschierenden Moustache in diesen Film, als unglücklich und unvollendet Liebender, wie man im Verlauf der zwei Stunden erfahren wird.
Dieser Poirot hat ein feines Sensorium für die Zwischenmenschlichkeit, deshalb ahnt er gleich, dass zwischen der Millionenerbin Linnet Ridgeway (Gal Gadot) und Simon Doyle (Armie Hammer) nicht alles ist, wie es scheint. Die beiden heirateten in einer überstürzten Aktion. Liebe auf den ersten Blick, könnte man meinen. Aber Doyle war bereits Jackie versprochen (Emma Mackey), und die taucht nun in den Flitterwochen
des Paares wie eine böse Parze auf und sorgt für rätselhafte und bedrohliche Ereignisse.
Der Film leuchtet, er nimmt das Publikum von London mit nach Ägypten und bietet enorme Ansichten des Hotelpalastes in Assuan und des Tempels in Abu Simbel. Das Hochzeitspaar flüchtet auf einen luxuriösen Flussdampfer und bereist den Nil, doch auch dort wird es von Jackie aufgespürt. Das Paar bittet Poirot um seinen Schutz. Aber es hilft nichts. Fünf Leichen werden am Ende an Land getragen, und Poirot muss so hart kombinieren, dass man zu sehen meint, wie die Zahnräder
in seinem Kopf ineinandergreifen.
Branagh bemüht sich als Regisseur, den Film im besten Sinne altmodisch aussehen zu lassen. Er wirkt zeitlos, bisweilen sogar wie ein Märchen. Die Farben wurden ordentlich aufgedreht, die Kamera kreist immerzu um die Schauspieler, aber nicht so, dass es nervt, sondern damit man möglichst nah ans Geschehen herankommt. Nach allmählicher Exposition geht es Schlag auf Schlag. Die Ausstattung ist glamourös, und alles wurde mit einem leichten Blues grundiert: Unter dem Blattgold-Firnis liegt eine dicke Schicht tiefschwarze Trauer. Während auf dem Schiff Annette Bening und Russell Brand Champagner in fein geschliffenen Gläsern prickeln lassen, passieren am Ufer kleine Szenen, die auf Kommendes deuten: Ein Krokodil reißt einen Vogel, ein großer Fisch frisst einen kleinen, und am Horizont braut sich düster ein Sandsturm zusammen.
„Tod auf dem Nil“hatte bereits Ende 2019 ins Kino kommen sollen. Dass der Start mehrfach verschoben wurde, dürfte nicht nur an der Pandemie liegen. Gegen Armie Hammer, der den frisch gebackenen Ehemann spielt, wurden Missbrauchsvorwürfe mit verstörenden Details laut, die dazu führten, dass der „Call Me By Your Name“-Star aus mehreren Filmprojekten gestrichen wurde. Ihn nachträglich zu ersetzen, wie das in Hollywood mitunter passiert, wäre wegen seiner hohen Präsenz in „Tod auf dem Nil“aber wohl kaum zu realisieren gewesen.
Das Geschehen auf der Leinwand ist indes großartig inszeniert. Die schönste Szene ist jene, in der Poirot vor den Pyramiden sitzt und einfach schaut. Zu seiner Linken ein Tischchen mit zwei hart gekochten Eiern. Zur Rechten Tee, ein Stück Kuchen und der Baedeker. Er will eigentlich nur genießen, aber es geht nicht. Er sieht einfach immer zu viel.
Tod auf dem Nil