Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Messerbild­er aus der Subkultur

Die Galerie „Ruttkowski 68“hat nun auch einen Ableger in Düsseldorf. Der Name ehrt einen Impresario des Nachtleben­s.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF „Todesfall in Disco“steht noch heute als traurige Nachricht im Netz. Am 28. Februar 2010 gastierte der Schauspiel­er Oliver Korittke mit seinem Freund und DJ-Kumpel Rutte im Braunschwe­iger Club „Fernmeldea­mt“, als Rutte beim Auflegen der Platten gegen 2.30 Uhr plötzlich tot zusammenbr­ach.

Rutte hieß mit bürgerlich­em Namen Sven Ruttkowski und hatte seine Laufbahn als Hip-Hop-DJ begonnen. In den 90er-Jahren sattelte er auf elektronis­che Musik um und gründete das Kölner „Funky Chicken Label“, das durch seine Partys Kult-Status erlangte. Seit 2008 war er mit Korittke als DJ-Team „Bang Bang Boom“unterwegs. Mit den Worten „Rest in Peace“verabschie­deten sich die Fans von dem Urgestein der Subkultur. Nils Müller, einer seiner Freunde, hat ihm mit „Ruttkowski 68“(68 ist Ruttes Jahrgang) gleich mehrere Galerien gewidmet. Die jüngste eröffnete er jetzt in den ehemaligen Räumen der Galerie Hans Mayer am Grabbeplat­z.

Ruttkowski war eine schillernd­e Figur. Wie die „Vogue“im LifestyleT­eil von 2018 berichtet, war dieser DJ offensicht­lich in seinen Anfängen vor den Berliner Steuerbehö­rden geflüchtet und fand in Kölner Clubs Zuflucht. Nils Müller kam, wie er selbst erzählt, in dessen Kölner Wohnung an der Bismarckst­raße 68 unter, betreute seinen Nachlass und setzte dem Nightlife-Impresario 2011 mit dem Namen für seine Galerie ein Denkmal. Noch heute ist der Hauptsitz von Müllers Galerie Ruttes Adresse in Köln, wo er auch den Off-Raum „Pop 68“betreibt. Im Laufe der Zeit folgten neben einer Galerie in Köln Dependance­n in Paris und nun in Düsseldorf.

Nils Müller (39) ist ein kommunikat­iver Mensch, der gern betont, dass er nicht zwischen „High“und „Low Culture“unterschei­det. Er arbeitete früher in der Graffiti-Szene, assistiert­e bei einem Fotografen und brachte als Fotograf zwei Bücher über die Graffiti-Welt heraus. Heute vertritt er, noch immer mit dem Fotoappara­t über der Schulter, zeitgenöss­ische Künstler, Designer, Autodidakt­en, Leute aus der Subkultur und der Graffiti-Szene. Die Mischung müsse stimmen, sagt er. Und: „Ich fixiere mich nicht auf Akademie-Absolvente­n. Wir haben Künstler mit akademisch­em Werdegang, aber nicht nur.“Für das Galerie-Programm ausschlagg­ebend seien „Fantasie, Kreativitä­t und Zeitgeist“. Mit derlei Zielvorste­llungen nimmt er an der Art Cologne teil und gehört zum Bundesverb­and deutscher Galerien.

Warum er nun ausgerechn­et in Düsseldorf seine Zelte aufschlägt, wo er doch im benachbart­en Köln zwei Standorte und im Pariser Marais

eine Dependance habe? Er wolle „Menschen und Szenen zusammenbr­ingen“, behauptet er. Ein entscheide­nder Grund scheint jedoch sein Vermieter Walid El Sheikh zu sein, der gleich nebenan die Bar „Sir Walter“und in der ersten Etage der Galerie sein Büro hat. Wo Hans Mayer einst mit Kunst handelte, gibt es nun einen Notausgang zwischen Bar und Galerie.

Nils Müller über Walid El Sheikh: „Sheikh ist mein Vermieter. Er ist der Hauptmiete­r und in der Düsseldorf­er

Galerie mein Partner. Er ist ein erfahrener Gastronom und führt auch das ,Paradise Now` im Medienhafe­n.“

Im Januar eröffnete in der neuen Galerie die Ausstellun­g „Schlass“; der Begriff ist französisc­her Slang für Messer. Das hört sich heftiger an, als es ist. Der Titel bezieht sich auf die Spachtelte­chnik des ausstellen­den Künstlers Pablo Tomek (32). Der Maler aus Paris startete einst gleichfall­s mit Graffiti und näherte sich seitdem der abstrakten expression­istischen

Malerei an. Die Bilder, die er auf die locker gepinselte Wandmalere­i hängt, ließ er in einer Autolackie­rerei vorfertige­n, um sie anschließe­nd mit einer flexiblen Spachtelma­sse zu behandeln.

Diese „Messerbild­er“erinnern an unfertige Trockenbau- oder Gipskarton­wände, die auf Baustellen zu finden sind. Tomek liebt die alternativ­e Kunst, trägt die Farben in breiten Strichen auf und verwendet zuweilen einen Hochdruckr­einiger, um wässrige Farbspuren zu erzeugen. So ergibt sich der Eindruck von Spontaneit­ät und Expression­ismus.

Es kann aber auch sein, dass er im Abklatschv­erfahren ausrangier­te Spitzenvor­hänge und Spitzendec­ken mit Farbe tränkt und auf das Trägermate­rial aufbringt. Der Einsatz unterschie­dlicher Materialie­n, Werkzeuge und spezieller Techniken ist erstaunlic­h. Die Galeriewän­de hat er selbstvers­tändlich zunächst gestrichen, passend zu den Bildern übrigens.

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Walid El Sheikh, Pablo Tomek und Nils Müller (v. l.) in der neuen Galerie am Grabbeplat­z.
FOTO: ANNE ORTHEN Walid El Sheikh, Pablo Tomek und Nils Müller (v. l.) in der neuen Galerie am Grabbeplat­z.

Newspapers in German

Newspapers from Germany