Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Gefühlschaos in Worte gefasst
Lyrik ist bei jungen Menschen nicht besonders populär. Der Student Nils Schmalbuch möchte das mit seinen Gedichten ändern.
DÜSSELDORF Vor rund zwei Jahren, am 17. Januar 2020, veröffentlichte Nils Schmalbuch auf Instagram sein erstes Gedicht: „Dystopian Dreams“nannte er es. Kommentare wie „Wow“, „<3“oder „More!“zeugten schon damals davon, dass seine Kunst offenbar gut ankam. Dieser Post sollte dann auch nur der Anfang sein. Bis heute hat Nils 42 Gedichte auf Instagram veröffentlicht. „Konnte ja keiner ahnen, dass ich in einer Lyrikbubble lande“, scherzt der 22-Jährige.
Besonders durch Corona haben viele Menschen angefangen, Kunst für sich zu entdecken. Neben Musik und Malerei spielt auch Schreiben eine große Rolle. Für Nils fängt seine Auseinandersetzung mit Kunst früher an. „Ich habe schon damals in der Schule Drehbücher geschrieben und bei Theaterstücken mitgewirkt. An Gedichte habe ich damals noch nicht gedacht, denn eigentlich wollte ich mal zum Film“, erzählt er. Auch aus diesem Grund hat er sich für sein Studium der Medienund Kulturwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf entschieden. „Vielleicht war das auch etwas naiv, dass ich dachte, ich komme jetzt an die Uni und jeder will mit mir Filme drehen. Das war dann nämlich nicht so“, sagt er. Trotzdem sei das Umfeld dort ein ganz Besonderes. „Man lernt hier so viele kreative Menschen kennen, die mich inspirieren und auch interessiert an meiner Kunst sind und Feedback geben.“
Die Entscheidung, Gedichte zu schreiben, kam für Nils mit einer Erkenntnis: „Für mich war es wichtig, dass man direkt nach dem Verfassen eines Gedichts ein positives Gefühl hat. Denn man hat es dann geschafft, etwas zu beenden. Diese unmittelbare Freude hat mir beim Verfassen von Drehbüchern schon gefehlt.“
Seitdem veröffentlicht er regelmäßig Gedichte auf Instagram, doch nicht alle seine geschriebenen Werke finden ihren Weg auf die Plattform. Nur ein Bruchteil schaffe es auf Instagram, viele Gedichte schreibe er auch einfach für sich selbst. „Es ist meine Art, Tagebuch zu schreiben“, meint Nils. Das Schreiben helfe ihm auch persönlich. „Es tut gut, viele seiner Gedanken greifbar zu machen, in
Worte zu fassen und dann auch dadurch aus dem Kopf zu bekommen.“Liest man Nils` Gedichte, so fällt einem auf, dass diese häufig melancholische Züge annehmen. Nils erklärt sich das aus vielerlei Gründen. Zum einen sei da der Fakt, dass er persönlich viel mehr melancholische und traurige Kunst konsumiere und sich von dieser inspirieren lasse. Aber auch die Pandemie sei zwangsweise eine Inspirationsquelle gewesen. „Die Corona-Pandemie war für viele Studierende sehr hart. Auf der einen Seite war da natürlich dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit und der Isolation. Aber auf der anderen Seite wurde ja auch dieser Drang nach Selbstoptimierung stärker und besonders in den sozialen Medien viel präsenter. Genau dieses Gefühlschaos wollte ich in meinen Gedichten greifbar machen. Nicht umsonst war der Lockdown die Zeit, in der ich am meisten geschrieben habe“, so Nils.
Als Untermalung sind die Gedichte immer mit einer visuellen Komponente verbunden. Das Konzept dahinter sei ganz einfach: „Ich habe mein Gedicht an Leute geschickt und sie gebeten, ihre Gedanken dazu zu visualisieren.“Wie das Ergebnis aussehen sollte, überließ er seinen Lesern. „Die Folge daraus war, dass ich Animationen dabei hatte, handgefertigte Zeichnungen, Collagen oder auch manchmal nur einen Smiley“, sagt er. Dieses Experiment habe für ihn eine wichtige Erkenntnis gebracht, nämlich, dass Gedichte auf jeden Menschen eine für ihn eigene Wirkung erzielen. „Seitdem habe ich diese Idee beibehalten.“
Auch mit anderen Formaten wie Videokunst oder Sprachaufnahmen möchte Nils in Zukunft arbeiten. Ein weiterer Plan sei außerdem, einzelne Gedichte zum Thema „Stadt“auf Sticker zu drucken und im urbanen Raum zu verteilen. „Das würde die Lyrik nämlich auch aus dem digitalen Raum in die Realität übertragen“, erläutert Nils.
Seit kurzer Zeit findet man die neuesten Gedichte auch auf einem eigenen Blog. Das solle zwar Instagram als Veröffentlichungsort nicht ablösen, aber die Lyrik vom Zwang des Algorithmus, der Beiträge nach Beliebtheit sortiert, entkoppeln. Das nötige Know-how besitzt Nils durch ein Uniseminar: „Ich habe beim Filmfest Düsseldorf mitgemacht, einem Uniprojekt unseres Instituts. Dort habe ich dann gelernt, Webseiten zu gestalten und
Designs zu entwerfen. Dieses Wissen konnte ich dann sehr gut auch für meinen Blog verwenden, und nun können auch Freunde und Verwandte, die kein Instagram haben, meine Gedichte durchlesen.“
In Zukunft hofft Nils darauf, dass Gedichte und Lyrik nicht nur auf Social Media gelesen, sondern auch gekauft werden: „Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, finde ich dort zwar Schiller, Goethe und Rilke, aber selten Newcomer in den Regalen. Lyrik ist zwar präsent, aber hat eine sehr kleine Lobby und wird von vielen nicht ernst genommen.“
Ob er selbst an einem Buch schreibt? „Ich plane gerade, ein paar meiner Gedichte in einem Buch zusammenzustellen und dann drucken zu lassen. Aber dafür möchte ich mir Zeit lassen. Dennoch kann ich nicht leugnen, dass für mich ein Traum in Erfüllung gehen würde, wenn ich eines Tages meine eigenen Gedichte haptisch in der Hand halten könnte!“