Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Panzerfabriken entdecken das Soziale
Ob Munitionsfabrikant, Gewehrhersteller oder Elektronikausrüster – die deutsche Rüstungsindustrie leidet unter einem schlechten Image. Ein neues Etikett der EU-Kommission soll das ändern. Doch das wirft Fragen auf.
Sicherheit ist den meisten Deutschen sehr wichtig. Wie sie produziert wird, wollen weit weniger wissen. Gerade die äußere Sicherheit erfordert neben einer hochkarätigen Diplomatie eine starke Armee mit wirkungsvollen Waffen. Doch schon da und erst recht bei der dafür nötigen Produktion von Rüstungsgütern scheiden sich die Geister. Die Unternehmen, die Panzer, Gewehre oder Kampfflugzeuge herstellen, haben in Deutschland einen äußerst schlechten Ruf. So schlecht, dass Kreditinstitute wie die Bayerische Landesbank oder die badenwürttembergische LBBW keine Darlehen mehr an bestimmte Hersteller geben. Auch Vermögensverwalter und Fondsanbieter schließen Rüstungsaktien zunehmend aus ihren Portfolios aus, um sie für nachhaltige und friedensbewegte Kunden attraktiver zu machen.
Das haben die Hersteller von Verteidigungsgütern längst gemerkt. Sie drehen den Spieß nun einfach um. „Ohne unsere Rüstungsgüter gäbe es keine Sicherheit und keinen Frieden“, prescht Hans Christoph Atzpodien nach vorne, der neue Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheitsund Verteidigungsindustrie. Und ausgerechnet die Panzerfabrikanten, Gewehrhersteller und KampfflugzeugProduzenten wollen deshalb in einer von der Europäischen Union geplanten Klassifikation von Kapitalanlagen als sozial nachhaltig eingestuft werden. Zu Recht, wie sie finden. Denn sie zahlen hohe Löhne, ermöglichen breiten Gruppen Aufstiegsmöglichkeiten, bieten gute Arbeitsbedingungen und fördern sogar die Menschenrechte auf ihren weltweiten Märkten. So zumindest die eigene Wahrnehmung. Deshalb wollen sie Teil des neuen Regelwerks sein, das die EU-Kommission Sozial-Taxonomie nennt. Es orientiert sich an der Nachhaltigkeits-Taxonomie, die bereits Kriterien für ökologisch wertvolle Produktionsweisen festgelegt hat und in die Schlagzeilen geraten ist, weil die EU auch Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen will. Für 2023 will sie nun das Gleiche für soziale Ziele formulieren. Rund ein Drittel aller weltweiten Anlageformen, so schätzt der Finanzdienstleister Bloomberg, dürfte ökologische und soziale Nachhaltigkeit bis 2026 zum entscheidenden Kriterium für Aktienfonds machen.
Solche Kriterien können deutsche Unternehmen der Rüstungsindustrie nach eigenen Angaben mühelos erfüllen. Thyssenkrupp Marine Systems, das in Kiel die wohl weltbesten nicht nuklearen U-Boote herstellt, produziert laut Firmenauskunft seine Unterwasserfahrzeuge zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie, fährt eine 35-Stunden-Woche und verzichtet bis 2029 auf einen Stellenabbau. Der Düsseldorfer Panzerund Munitionshersteller Rheinmetall hat sich der globalen Übereinkunft der Vereinten Nationen zu verantwortungsbewusstem unternehmerischem Handeln angeschlossen. Der Hersteller von Elektronik in Kampfflugzeugen Hensoldt hat laut Firmenangaben sogar mehr als die Hälfte seiner weltweiten Belegschaft von 6400 Mitarbeitern am Unternehmen beteiligt.
Die Rüstungsunternehmen verstehen nicht, warum sie trotzdem wie Hersteller von Tabak, Alkohol oder Glücksspielautomaten behandelt werden. „Unternehmen der Verteidigungsindustrie leisten einen wesentlichen Beitrag für die Sicherung von Frieden, Freiheit und Demokratie“, meint selbstbewusst Armin Papperger, der Vorstandschef von Rheinmetall. Und Rüstungslobbyist Atzpodien hat sogar den Schlachtruf ausgegeben
„Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit“.
Davon wollen die Vertreter der Ampelkoalition indes nichts wissen. Bestenfalls als neutral soll die Rüstungsindustrie gelten. Genau das aber will die Branche nicht, die um ihre künftigen Finanzierungsund Reputationschancen fürchtet. Sie treffen damit einen wunden Punkt der neuen Taxonomie. Denn die EU möchte gerne Anlageformen in ökologisch, gesellschaftlich und sozial wertvolle und weniger wertvolle trennen. Stuft sie Aktien als neutral ein, gehören sie eben zu den weniger wertvollen. „Die Vorbehalte gegen die Rüstungsindustrie sind ein typisch deutsches Phänomen“, meint Hensoldt-Kommunikationschef Joachim Schranzhofer. Man wolle Sicherheit, aber keine Anerkennung für die, die sie herstellen.
Allerdings trägt auch die Branche selbst dazu bei, dass ihr Bild Schrammen enthält. Zum einen geht es noch immer um Produkte, die andere Menschen im Ernstfall töten sollen. Sodann haben die Exporte von U-Booten, Gewehren oder Panzern in Länder, die es mit Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten nicht allzu ernst nehmen, dem Ansehen der Hersteller von Rüstungsgütern extrem geschadet. Auch die jüngsten Lieferungen von deutschen Flakpanzern an Katar, von U-Booten an Singapur oder Fregatten an Ägypten werfen zumindest Fragen auf, wie diese Länder sie einsetzen.
Wieder einmal führt ein groß angelegtes Regelwerk der EU in die Irre. Weil die Brüsseler Behörden Investitionsströme indirekt lenken wollen, kämpfen LobbyGruppen um Etiketten, die beim Anleger eher Verwirrung stiften. Ist Atomkraft nachhaltig oder ein Panzer sozial? Die Fondsanbieter und ihre Kunden sollten das selbst entscheiden. Es würde ausreichen, wenn die EU dafür Transparenzregeln erlässt, die Finanzdienstleister einhalten müssten. Ob umstrittene Technologien dann ihre Finanziers finden, liegt an den Anbietern selbst und nicht an der EU.
„Ohne unsere Rüstungsgüter gäbe es keine Sicherheit und keinen Frieden“Hans Christoph Atzpodien
Bundesverband der Deutschen Sicherheitsund Verteidigungsindustrie