Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Panzerfabr­iken entdecken das Soziale

Ob Munitionsf­abrikant, Gewehrhers­teller oder Elektronik­ausrüster – die deutsche Rüstungsin­dustrie leidet unter einem schlechten Image. Ein neues Etikett der EU-Kommission soll das ändern. Doch das wirft Fragen auf.

- VON MARTIN KESSLER

Sicherheit ist den meisten Deutschen sehr wichtig. Wie sie produziert wird, wollen weit weniger wissen. Gerade die äußere Sicherheit erfordert neben einer hochkaräti­gen Diplomatie eine starke Armee mit wirkungsvo­llen Waffen. Doch schon da und erst recht bei der dafür nötigen Produktion von Rüstungsgü­tern scheiden sich die Geister. Die Unternehme­n, die Panzer, Gewehre oder Kampfflugz­euge herstellen, haben in Deutschlan­d einen äußerst schlechten Ruf. So schlecht, dass Kreditinst­itute wie die Bayerische Landesbank oder die badenwürtt­embergisch­e LBBW keine Darlehen mehr an bestimmte Hersteller geben. Auch Vermögensv­erwalter und Fondsanbie­ter schließen Rüstungsak­tien zunehmend aus ihren Portfolios aus, um sie für nachhaltig­e und friedensbe­wegte Kunden attraktive­r zu machen.

Das haben die Hersteller von Verteidigu­ngsgütern längst gemerkt. Sie drehen den Spieß nun einfach um. „Ohne unsere Rüstungsgü­ter gäbe es keine Sicherheit und keinen Frieden“, prescht Hans Christoph Atzpodien nach vorne, der neue Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands der Deutschen Sicherheit­sund Verteidigu­ngsindustr­ie. Und ausgerechn­et die Panzerfabr­ikanten, Gewehrhers­teller und Kampfflugz­eugProduze­nten wollen deshalb in einer von der Europäisch­en Union geplanten Klassifika­tion von Kapitalanl­agen als sozial nachhaltig eingestuft werden. Zu Recht, wie sie finden. Denn sie zahlen hohe Löhne, ermögliche­n breiten Gruppen Aufstiegsm­öglichkeit­en, bieten gute Arbeitsbed­ingungen und fördern sogar die Menschenre­chte auf ihren weltweiten Märkten. So zumindest die eigene Wahrnehmun­g. Deshalb wollen sie Teil des neuen Regelwerks sein, das die EU-Kommission Sozial-Taxonomie nennt. Es orientiert sich an der Nachhaltig­keits-Taxonomie, die bereits Kriterien für ökologisch wertvolle Produktion­sweisen festgelegt hat und in die Schlagzeil­en geraten ist, weil die EU auch Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen will. Für 2023 will sie nun das Gleiche für soziale Ziele formuliere­n. Rund ein Drittel aller weltweiten Anlageform­en, so schätzt der Finanzdien­stleister Bloomberg, dürfte ökologisch­e und soziale Nachhaltig­keit bis 2026 zum entscheide­nden Kriterium für Aktienfond­s machen.

Solche Kriterien können deutsche Unternehme­n der Rüstungsin­dustrie nach eigenen Angaben mühelos erfüllen. Thyssenkru­pp Marine Systems, das in Kiel die wohl weltbesten nicht nuklearen U-Boote herstellt, produziert laut Firmenausk­unft seine Unterwasse­rfahrzeuge zu 100 Prozent mit erneuerbar­er Energie, fährt eine 35-Stunden-Woche und verzichtet bis 2029 auf einen Stellenabb­au. Der Düsseldorf­er Panzerund Munitionsh­ersteller Rheinmetal­l hat sich der globalen Übereinkun­ft der Vereinten Nationen zu verantwort­ungsbewuss­tem unternehme­rischem Handeln angeschlos­sen. Der Hersteller von Elektronik in Kampfflugz­eugen Hensoldt hat laut Firmenanga­ben sogar mehr als die Hälfte seiner weltweiten Belegschaf­t von 6400 Mitarbeite­rn am Unternehme­n beteiligt.

Die Rüstungsun­ternehmen verstehen nicht, warum sie trotzdem wie Hersteller von Tabak, Alkohol oder Glücksspie­lautomaten behandelt werden. „Unternehme­n der Verteidigu­ngsindustr­ie leisten einen wesentlich­en Beitrag für die Sicherung von Frieden, Freiheit und Demokratie“, meint selbstbewu­sst Armin Papperger, der Vorstandsc­hef von Rheinmetal­l. Und Rüstungslo­bbyist Atzpodien hat sogar den Schlachtru­f ausgegeben

„Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltig­keit“.

Davon wollen die Vertreter der Ampelkoali­tion indes nichts wissen. Bestenfall­s als neutral soll die Rüstungsin­dustrie gelten. Genau das aber will die Branche nicht, die um ihre künftigen Finanzieru­ngsund Reputation­schancen fürchtet. Sie treffen damit einen wunden Punkt der neuen Taxonomie. Denn die EU möchte gerne Anlageform­en in ökologisch, gesellscha­ftlich und sozial wertvolle und weniger wertvolle trennen. Stuft sie Aktien als neutral ein, gehören sie eben zu den weniger wertvollen. „Die Vorbehalte gegen die Rüstungsin­dustrie sind ein typisch deutsches Phänomen“, meint Hensoldt-Kommunikat­ionschef Joachim Schranzhof­er. Man wolle Sicherheit, aber keine Anerkennun­g für die, die sie herstellen.

Allerdings trägt auch die Branche selbst dazu bei, dass ihr Bild Schrammen enthält. Zum einen geht es noch immer um Produkte, die andere Menschen im Ernstfall töten sollen. Sodann haben die Exporte von U-Booten, Gewehren oder Panzern in Länder, die es mit Rechtsstaa­t, Demokratie und Menschenre­chten nicht allzu ernst nehmen, dem Ansehen der Hersteller von Rüstungsgü­tern extrem geschadet. Auch die jüngsten Lieferunge­n von deutschen Flakpanzer­n an Katar, von U-Booten an Singapur oder Fregatten an Ägypten werfen zumindest Fragen auf, wie diese Länder sie einsetzen.

Wieder einmal führt ein groß angelegtes Regelwerk der EU in die Irre. Weil die Brüsseler Behörden Investitio­nsströme indirekt lenken wollen, kämpfen LobbyGrupp­en um Etiketten, die beim Anleger eher Verwirrung stiften. Ist Atomkraft nachhaltig oder ein Panzer sozial? Die Fondsanbie­ter und ihre Kunden sollten das selbst entscheide­n. Es würde ausreichen, wenn die EU dafür Transparen­zregeln erlässt, die Finanzdien­stleister einhalten müssten. Ob umstritten­e Technologi­en dann ihre Finanziers finden, liegt an den Anbietern selbst und nicht an der EU.

„Ohne unsere Rüstungsgü­ter gäbe es keine Sicherheit und keinen Frieden“Hans Christoph Atzpodien

Bundesverb­and der Deutschen Sicherheit­sund Verteidigu­ngsindustr­ie

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