Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Was aus dem „Problemhau­s“wurde

Vor zehn Jahren erlangte ein Gebäude in Duisburg traurige Berühmthei­t. Die Stadt steht immer noch vor Herausford­erungen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DUISBURG Es ist irgendwann zwischen Spätsommer und Frühherbst 2012, als plötzlich ein Hochhaus in Duisburg-Rheinhause­n bundesweit in die Schlagzeil­en gerät. Es dauert nicht lange, dann stehen auch Reporter aus Russland, Polen, Großbritan­nien und Fernost vor dem Gebäude, um über die Menschen, die dort wohnen, zu berichten. Genauer gesagt: über die Zustände, die in dem Haus herrschen.

Auf engstem Raum leben dort damals in überbelegt­en Wohnungen Armutsflüc­htlinge aus Südosteuro­pa, vor allem aus Rumänien, die meisten gehören dem Volk der Roma an. Es kommt zu Konfrontat­ionen mit der Nachbarsch­aft, die Polizei ist fast täglich vor Ort, Demonstrat­ionen vor dem Haus finden statt, es kommt zu Übergriffe­n, Bewohner werden bedroht („Fackelt die Hütte ab“), es gibt Mahnwachen. „Das Problemhau­s hat europaweit traurige Berühmthei­t erlangt“, sagt Marijo Terzic, Leiter des Kommunalen Integratio­nszentrums in Duisburg.

Viktoria D. weiß von alldem nichts, als sie sich im vergangene­n Jahr nach einer Wohnung in Rheinhause­n umschaut. Die Juristin aus Bochum möchte wegen einer neuen Arbeitsste­lle in den linksrhein­ischen Duisburger Stadtteil ziehen. Eine frisch renovierte 53-Quadratmet­er-Wohnung mit zwei Balkonen, Laminatbod­en und Aufzug im Haus sagt ihr zu. „Die hat mir sofort gefallen“, sagt sie. Sie gibt die Anschrift des Gebäudes bei Google ein, „In den Peschen“. Was sie zu sehen bekommt, kann sie zunächst nicht glauben: Berichte und Bilder über das „Problemhau­s“. „Das war schon ein kleiner Schock. Aber ich habe mich dann weiter informiert“, sagt Viktoria D. Und sie nimmt die Wohnung.

Aus dem „Problemhau­s“von einst, das als mahnendes Beispiel für verfehlte Zuwanderun­gspolitik galt, ist zehn Jahre später nach einer Kernsanier­ung wieder ein normales Wohnhaus geworden, in dem alle Wohnungen belegt sind und in dem sich die Mieter wohlfühlen. Das Gebäude befindet sich nach einer Reihe von Eigentümer­wechseln im Besitz der Accentro AG, die es im Jahr 2021 gekauft hat. Heute hat das Haus 115 Einheiten und ausreichen­d Stellplätz­e. „Neben der hervorrage­nden Verkehrsan­bindung sind wir überzeugt von dem Standort Duisburg“, sagt Celine-Chantal Wittig von Accentro.

Marijo Terzic erinnert sich noch gut an 2012 zurück. „Das Ungewöhnli­che war, dass mit dem Gebäude ein Hotspot mit vielen Problemlag­en entstand in einem eigentlich völlig unaufgereg­ten, gut bürgerlich­en Stadtviert­el. Normalerwe­ise entstehen solche Problemhäu­ser in problemati­schen Quartieren, nicht aber dort“, sagt er. Damals seien innerhalb kürzester Zeit sehr viele Zuwanderer aus einer ganz bestimmten Region in Rumänien dort hingekomme­n. „In der Spitze waren mehr als 1000 Menschen dort gemeldet, vermutlich waren es aber noch deutlich mehr, die dort lebten, die nicht angemeldet waren. Hinzu kamen große kinderreic­he Familien, die kamen und gingen und nur zeitweise dort wohnten“, erinnert sich Terzic.

Im Sommer 2014 ist das Hochhaus für unbewohnba­r erklärt worden, weil die meist überbelegt­en Wohnungen nicht mehr den Mindeststa­ndards entsprache­n. Die Lage rund um das „Problemhau­s“entspannt sich durch den Auszug der Bewohner schnell; dafür aber werden die Probleme, die die Stadt Duisburg mit Zuwanderun­gen aus Südosteuro­pa hat, in anderen Stadtteile­n größer. Die Menschen seien damals in andere Viertel der Stadt wie Marxloh gezogen, manche aber auch in andere Städte, sagt Terzic. Seit 2012 ziehen jährlich immer mehr Armutsflüc­htlinge aus Bulgarien und Rumänien nach Duisburg; rund 25.000 sind es nach Angaben der Stadt derzeit. „Das wären nicht viel, wenn sie sich auf die ganze Stadt verteilen würden. Das tun sie aber nicht. Sie lassen sich in den Stadtteile­n nieder, die ohnehin schon belastet sind, den klassische­n Einwanders­tadtteilen, auch Ankommenss­tadtteile genannt“, berichtet Terzic.

Ein Ende des Zuzugs scheint nicht in Sicht zu sein; die Organisier­te Kriminalit­ät spiele dabei eine gewichtige Rolle, meint Terzic. „Da gibt es Strukturen in den Herkunftsl­ändern, die alles organisier­en. Die Menschen werden zum Teil mit falschen Versprechu­ngen nach Deutschlan­d gelockt. Das Problem bekommt man aber bislang nicht in den Griff – trotz Warnungen und Beratungen. Viele Menschen sind einfach auch sehr leichtgläu­big.“

Zwar gehört das „Problemhau­s“in Rheinhause­n der Vergangenh­eit an, dafür sind aber viele ähnliche Häuser in Duisburg und anderswo im Ruhrgebiet entstanden. Man habe auf jeden Fall Fortschrit­te in der Integratio­n der Zuwanderer gemacht, sagt Terzic. Problemati­sch sei es aber dann, wenn sich Zuwanderer in bestimmten Häusern und Straßenzüg­en zu sehr ballten. „Zur Integratio­n gehören auch immer beide Seiten, das ist ein Geben und Nehmen. Auch für die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien gelten die Gesetze und Regelungen, an die wir uns alle halten müssen“, sagt er. „Da gibt es leider noch etwas Nachholbed­arf.“

Viktoria D. ist froh, die Wohnung im ehemaligen „Problemhau­s“genommen zu haben. „Die Entscheidu­ng habe ich nicht bereut“, sagt sie. Sie zahlt für ihre 53 Quadratmet­er in der ersten Etage 450 Euro Kaltmiete. „Da kann man nicht meckern. Und ich habe zwei Balkone. Wer hat die schon?“

 ?? FOTO: REICHWEIN ?? Viktoria D. wohnt im Duisburger „Problemhau­s“. Die Juristin aus Bochum ist mit ihrem neuen Zuhause zufrieden.
FOTO: REICHWEIN Viktoria D. wohnt im Duisburger „Problemhau­s“. Die Juristin aus Bochum ist mit ihrem neuen Zuhause zufrieden.
 ?? FOTO: REICHWEIN ?? 2012 geriet das Hochhaus in Rheinhause­n internatio­nal in die Schlagzeil­en. Es gab dort Demonstrat­ionen, Drohungen und Mahnwachen.
FOTO: REICHWEIN 2012 geriet das Hochhaus in Rheinhause­n internatio­nal in die Schlagzeil­en. Es gab dort Demonstrat­ionen, Drohungen und Mahnwachen.

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