Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Der Brückenbauer
Bundespräsident FrankWalter Steinmeier kann am Sonntag mit seiner Wiederwahl rechnen. Der Ehemann, Vater und Politiker ist beliebt und gilt als authentisch.
BERLIN Es ist sehr kalt an diesem Novembermorgen auf der norwegischen Insel Utøya. Die Stimmung ist gedrückt, die Erinnerung an die Taten des Rechtsterroristen Anders Behring Breivik sind kaum zu ertragen. Dieser hatte vor gut zehn Jahren ein Sommerlager der norwegischen Arbeiterjugend überfallen und Jugendliche regelrecht hingerichtet. Bundespräsident FrankWalter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender stehen einen kurzen Augenblick allein am Mahnmal für die Opfer. Steinmeier sucht die Hand seiner Frau, sie drückt seine zurück. Wahrscheinlich sind beide in Gedanken bei der gemeinsamen Tochter, dankbar für ihr Wohlergehen.
Die erste Amtszeit des deutschen Staatsoberhaupts endet, und erstmals seit Horst Köhler 2009 tritt wieder ein Bundespräsident für eine zweite Amtszeit an. An der Wiederwahl von Steinmeier besteht kaum ein Zweifel.
Der 66 Jahre alte Jurist ist beliebt bei den Menschen. Seine Glaubwürdigkeit beruht auf Szenen wie denen auf der norwegischen Insel. Darauf, dass er als Ehemann, Vater, Politiker stets authentisch wirkt. Der frühere SPD-Außenminister hat mit seiner Frau schwere Zeiten durchgestanden, ihr eine Niere gespendet, damit sie weiterleben kann. Seine Familie ist die Stütze des Bundespräsidenten. Als Außenminister und Oppositionsführer hat er politische Erfahrungen gesammelt, die seinen Blick auf die Welt geprägt haben. Er ist bedachtsam und humorvoll. Ein Brückenbauer, der sein Gegenüber auf Augenhöhe sieht. Einer, der nachdenkt, bevor er spricht.
Doch er ist nicht unumstritten, Kritiker werfen ihm Belanglosigkeit vor, vermissen eine „Ruck-Rede“in der Pandemie-Zeit. In der Tat war für einen, der nur das Wort zur Verfügung hat, die Pandemie schwierig. Corona hat auch ihn ausgebremst. Über lange Zeit führte kaum noch ein Weg raus aus dem Schloss, Telefon und Videokonferenzen wurden zu den einzigen Arbeitsmitteln im Lockdown. Steinmeier, der stets den Kontakt zu Menschen vor Ort gesucht hatte, konnte nur noch Videobotschaften veröffentlichen. Auch ein Grund, warum er früh und in einem ungewöhnlichen Schritt seinen Hut für eine zweite Amtszeit in den Ring warf.
Aufgewachsen ist Steinmeier als Sohn eines Tischlers im ostwestfälischen Ort Brakelsiek. Er wächst im ländlich geprägten Lipper Bergland auf, schafft es an die Universität, als erster aus seiner Familie. Er ist bei den Jusos aktiv, studiert Jura und ist dann Beamter, bis ihn der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Staatskanzlei holt. Steinmeiers Aufstieg in der Partei geht weiter, er ist Kanzleramtsminister, Außenminister, Vizekanzler. 2009 fordert er die damalige Kanzlerin Angela Merkel heraus. Er ist in der SPD beliebt, doch es reicht nicht, die Wahl geht für die SPD verloren. Steinmeier wird Oppositionsführer, 2013 nochmal Außenminister.
Dass er 2017 ins Schloss Bellevue kam, verdankte er auch dem Unvermögen von CDU und CSU, eine eigene Kandidatin zu finden. Der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel preschte schließlich vor und brachte den damaligen Außenminister ins Spiel – ein Vorschlag, auf den sich die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel sowie CSU-Chef Horst Seehofer notgedrungen einließen. Steinmeier war nicht unbeteiligt am Zustandekommen der großen Koalition nach der Wahl 2017, als die Koalitionsverhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen platzten. Hinter den Kulissen warb er bei der SPD-Führung vehement für eine Neuauflage der großen Koalition.
Das Thema seiner ersten Amtszeit war die Bedrohung der Demokratie, national wie international. Schon in seiner Antrittsrede 2017 warnte er vor der Anfechtung der parlamentarischen Demokratie durch Populisten und Hetzer. Es gebe keinen Grund für Alarmismus, sagte er damals: „Aber ich sage mit Blick auf das, was sich da am Horizont auftut, mit ganz großer Ernsthaftigkeit: Wir müssen über Demokratie nicht nur reden – wir müssen wieder lernen, für sie zu streiten!“
In der Corona-Krise warb er zunächst um Geduld, organisierte eine Gedenkfeier für die vielen Toten der Pandemie, rief zum Impfen auf – und bemühte sich vor allem um Ausgleich. Die Corona-Pandemie und ihre Folgen – sie werden auch ein prägendes Thema in der sich abzeichnenden zweiten Amtszeit Steinmeiers sein. „Die Pandemie hat tiefe Wunden geschlagen“, sagte er, als er im Mai 2021 ankündigte, für eine zweite Amtszeit anzutreten. „Wir haben uns wundgerieben im Streit um den richtigen Weg. Ich möchte helfen, diese Wunden zu heilen.“
Steinmeiers Wiederwahl war nicht sicher und abhängig vom Ausgang der Bundestagswahl. Auch wenn er und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über die Jahre nicht immer ein ungetrübtes Verhältnis hatten, stellte Scholz seine Mannschaft so auf, dass statt Fraktionschef Rolf Mützenich mit Bärbel Bas eine Frau an die Spitze des Parlaments aufrückte – und so der Weg für eine Wiederwahl Steinmeiers frei war. Auch die Union erklärte ihre Unterstützung, die FDP favorisierte ihn von Anfang an. Schließlich lenkten auch die Grünen ein. Steinmeier wird also aller Voraussicht nach in einer zweiten Amtszeit seine Mission weiter erfüllen können. Die Erwartungen sind hoch.