Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
NRW besorgt über Chemiepark-Pannen
Die Kette der Unglücksfälle reißt nicht ab: Nun gab es einen Rohrbruch bei Lanxess. Wirtschaftsminister Pinkwart fordert Aufklärung und sorgt sich um die Akzeptanz der Industrie. Umweltministerin Heinen-Esser will scharf prüfen.
Die Pannenserie im Chemiepark Leverkusen reißt nicht ab: Am Mittwochabend gab es einen lauten Knall, eine weiße Rauchwolke stieg auf. In dem Park war eine Rohrleitung mit 3,4-Dichlornitrobenzol geborsten. Diese Chemikalie werde unter anderem zur Herstellung von Kosmetik, Farbstoffen oder Herbiziden verwendet, teilte das Chemieunternehmen Lanxess mit. Verletzt wurde niemand. Doch immer wieder kommt es in dem Chemiepark, der von vielen Unternehmen genutzt und von Currenta betrieben wird, zu Pannen und Unglücken.
27. Juli 2021
Im Tanklager des Entsorgungszentrums in Leverkusen-Bürrig gibt es eine schwere Explosion und einen Brand. Sieben Menschen kommen ums Leben, 31 Menschen werden verletzt. Bis heute haben Angehörige, Verletzte und die Beschäftigten keine Klarheit darüber, was genau passiert und wer schuld ist. Von multikausalen Ursachen und menschlichem Versagen ist die Rede, aber eine belastbare Analyse steht noch immer aus. Unter anderem wird geprüft, ob der Abfall in einem Tank bei unzulässig hohen Temperaturen gelagert worden war. Die Justiz ermittelt gegen drei CurrentaMitarbeiter wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und des fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion.
9. Dezember 2021
Am Dormagener Standort des Chemparks kommt es zu einem tödlichen Arbeitsunfall durch Verätzungen mit Natronlauge. Drei Mitarbeiter eines Partnerunternehmens und drei Rettungskräfte werden verletzt. Ein Mitarbeiter erliegt seinen schweren Verletzungen am Unfallort.
23. Dezember 2021
Bei einer Kontrolle stellen Currenta-Techniker festa, dass eine Klappe an einer Tankleitung undicht ist. 1300 Kubikmeter kontaminiertes Abwasser aus Bürrig, in dem Lösch- und Havariewasser enthalten ist, gelangen ohne Filterung in die Kläranlage und von da aus in den Rhein – und das über einen Zeitraum von fünf Monaten.
31. Januar 2022
Im Betrieb der Lanxess-Tochter Saltigo kommt es zu einer Verpuffung. Nitrose Gase werden freigesetzt, es entsteht eine gelbe Wolke. Es gibt vier Verletzte. Die Feuerwehr Leverkusen löst Alarm über die Warn-App Nina aus, da sie gesundheitliche Beeinträchtigungen fürchtet. Kurz darauf gibt sie Entwarnung.
9. Februar 2022
Die Rohrleitung bei Lanxess im Norden des Chemieparks berstet. „Ein Team aus Fachleuten wird nun aufklären, wie es zu diesem Sachschaden kommen konnte“, so Lanxess.
Die Firmen betonen, die Fälle hätten nichts miteinander zu tun. In der Tat nutzen 70 Unternehmen mit insgesamt 500 Betrieben den Chempark an den Standorten Leverkusen, Dormagen und Krefeld. Hier läuft ein Drittel der NRW-Chemieproduktion. Doch die Ballung der Pannen ruft nun die Politik auf den Plan. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) ist alarmiert.
„Wir betrachten diese wiederholten Schadensereignisse aufmerksam, denn wir sind im Industrieland NRW auf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit der Anlagen angewiesen“, sagte Pinkwart unserer Redaktion: „Jetzt ist eine schnelle Aufklärung wichtig, um die Akzeptanz nicht zu gefährden.“In der Tat: Die Branche gefährdet ihren Ruf. Das könnte zum großen Problem werden: Wenn Nordrhein-Westfalen die Klimawende schaffen will, müssen neue Windparks, Gaskraftwerke, Pipelines gebaut werden. Mit jedem Zwischenfall aber wächst das Misstrauen. Auch NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ist besorgt: „Ungeachtet der Explosion im Juli 2021 haben sich weitere Zwischenfälle in den Chemparks ereignet, die aktuell ebenfalls Gegenstand einer intensiven Betrachtung von Bezirksregierung und Umweltministerium sind“, erklärte ihr Sprecher.
Bei der Aufklärung des BürrigUnglücks geht es nur schleppend voran. „Die Ermittlungen zur Unfallursache dauern an. Currenta arbeitet in Abstimmung mit den zuständigen Behörden daran, dass die Sonderabfallverbrennungsanlage sicher wieder in Betrieb genommen werden kann“, erklärte der Currenta-Sprecher. Die Wiederinbetriebnahme sei wichtig, um für Entsorgungssicherheit an den Standorten und in der Kommune zu sorgen. Aktuell untersucht der Störfallexperte Christian Jochum das „Explosionsereignis“und die Abläufe bei Currenta.
Die Behörden wollen scharf prüfen. „Über die Wiederinbetriebnahme entscheidet formal die Bezirksregierung Köln, dies jedoch in enger Abstimmung mit dem Umweltministerium“, erklärt der Sprecher von Heinen-Esser: „Unabdingbare Voraussetzung einer etwaigen Wiederinbetriebnahme ist der Nachweis eines stabilen Sicherheitsmanagements – und zwar vollumfassend von der Kontrolle der Anlieferung des Abfalls bis zur Entsorgung der Rückstände inklusive des Abwassermanagements.“
Ursprünglich gehörten die Chemieparks zu Bayer. 2002 gliederte der Konzern sie in die Tochter Currenta aus. 2020 verkauften Bayer und Lanxess die Currenta (3000 Mitarbeiter) an den australischen Finanzinvestor Macquarie.