Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Söder verteidigt Aussetzen der Pflege-Impfpflicht
Der Stiko-Chef zeigt Verständnis, Juristen halten Bayerns Pläne dagegen für unzulässig. Der Städtetag fordert Hilfe von NRW.
Der Streit um die Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen spitzt sich zu. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verteidigte seine Kritik: „Wir sind für die Impfpflicht – sowohl für die einrichtungsbezogene als auch die allgemeine, aber sie muss auch in der Praxis umsetzbar sein, weil sonst jegliches Vertrauen in den Staat verloren geht“, sagte Söder unserer Redaktion. Die bisherigen Vorgaben seien „völlig unklar“, daher würden die Pflegeverbände auch Alarm schlagen. Der Bund habe bislang keine praxistauglichen Vorgaben gemacht. „Es ist wie bei der allgemeinen Impfpflicht: Die Regierung ist einfach untätig. Das könnte zu einem Pflegenotstand führen“, so der CSU-Politiker. Er bekräftigte, dass Bayern alle rechtlichen Übergangszeiten im Vollzug nutzen werde, bis die offenen Fragen geklärt seien.
Der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, äußerte Verständnis. „Bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht stehen derzeit viele Umsetzungsprobleme im Vordergrund und auch die Sorge, dass die Durchsetzung zu weiteren Personalengpässen im Pflegebereich führen könnte“, sagte Mertens.
Arbeitsrechtler halten Söders Vorgehen dagegen für unzulässig. Beim Regelwerk zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht nach dem Infektionsschutzgesetz handle es sich um ein Bundesgesetz. „Als solches gilt es bundeseinheitlich für alle, sowohl für die betroffenen Einrichtungen und Unternehmen als auch die staatlichen Vollzugsbehörden“, sagte der Kölner Arbeitsrechtler Yannik Beden. Die Norm sehe keine Aussetzungsmöglichkeit für die Länder vor, auch existierten keine Übergangsfristen. „Wenn die bayerische Staatsregierung den Gesetzesvollzug verweigert, sind die bayerischen Krankenhäuser trotzdem verpflichtet, Nachweiskontrollen durchzuführen“, so Beden.
Der Städtetag NRW fordert das Land auf, dass es die Gesundheitsämter bei der Kontrolle personell unterstützt. „Die Städte halten die einrichtungsbezogene Impfpflicht weiter für richtig“, sagte der Städtetags-Vorsitzende, Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen: „Diese neue Aufgabe und der immense Aufwand dürfen nicht allein bei den Städten abgeladen werden.“Clausen verlangte klare Regeln. Dabei gehe es im Kern um die Frage, ob Ungeimpfte ihre Tätigkeit nach dem 15. März nicht mehr ausüben dürften und welche Ausnahmen es gebe. „Dafür sind klare einheitliche Entscheidungskriterien nötig“, so Clausen: „Bundesweit rechnen wir mit über 100.000 Verwaltungsverfahren, die zügig entschieden werden sollen.“Die Gesundheitsämter hatten bereits erklärt, dass sie die zahlreichen Einzelfälle nicht zeitnah kontrollieren können. Sie erwarten, dass bis zu bis zu zehn Prozent der Beschäftigten keinen eindeutigen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen können und den Ämtern deshalb gemeldet werden.
Auch die gesetzlichen Krankenkassen wollen den schwarzen Peter nicht zugeschoben bekommen. Ihr Spitzenverband erklärte, die Kontrolle einer allgemeinen Impfpflicht sei Aufgabe des Staates. Die Ampelkoalition prüft dagegen, dies den Krankenkassen zu übertragen. Die Entscheidung über ein Gesetz zur allgemeinen Impfpflicht könnte sich aber verschieben. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte in einer RTL-Sendung, es ergebe mehr Sinn, Ende März oder Anfang April eine „fundierte Entscheidung“zu treffen. Dann habe man auch „ausreichend Daten“zur Omikron-Variante, um zu klären, ob man die Impfpflicht überhaupt noch brauche. Dürr sagte, der Fahrplan solle eingehalten werden. Die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 Jahren planen, dass diese zum 1. Oktober greifen soll.