Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wie der Umbau der Industrie gelingen soll

Klimaschut­zdifferenz­verträge bilden die Basis, um die Umstruktur­ierung besonders emissionsi­ntensiver Zweige zu finanziere­n.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND JANA WOLF

Auf dem Weg hin zur Klimaneutr­alität ist der Umbau der Industrie eine der Großbauste­llen. Besondere Herausford­erungen warten in den emissionsi­ntensiven Industriez­weigen Stahl, Chemie und Zement, die wesentlich auf fossilen Energieträ­gern wie Kohle basieren. Der Staat will die Transforma­tion nun finanziell unterstütz­en, mit Klimaschut­zdifferenz­verträgen (Carbon Contracts for Difference, kurz CCfD).

Was hat es damit auf sich?

Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) will mit großen Industrieu­nternehmen spezielle Verträge schließen, in denen der Fahrplan hin zur klimaneutr­alen Produktion festgelegt wird. Neben der staatliche­n Finanzspri­tze verpflicht­en sich die Unternehme­n auch zu eigenen Investitio­nen. „Differenzv­erträge“bedeutet, dass der Staat jeweils die Differenz zwischen den herkömmlic­hen Energiekos­ten und den Kosten der klimaneutr­alen Produktion ausgleiche­n wird. In der Stahlprodu­ktion geht es um die Umstellung von der Kokskohle auf Wasserstof­f. Dessen Bereitstel­lung ist eine riesige logistisch­e Aufgabe. Habeck will die Unternehme­n sowohl bei der Umstellung der Energiever­sorgung als auch bei den laufenden Betriebsko­sten mit Staatsmitt­eln unterstütz­en. Die Differenzv­erträge sollen Teil des Osterpaket­s werden, mit dem Habeck eine Reihe von Gesetzen zum Umbau von Industrie und Energiever­sorgung auf den Weg bringen will.

Inwiefern können die Verträge den Umbau beschleuni­gen?

Die Energieöko­nomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung sieht bei einer raschen Umsetzung der Verträge auch Chancen auf einen schnellen Umstieg auf eine klimaschon­ende Industrie

und Produktion: „Bis zum Ende des Jahrzehnts können ein Teil der Transforma­tion schon gelungen und die Emissionen im Industries­ektor um bis zu ein Drittel niedriger sein. Wichtig ist schnelles Handeln.“

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, warnte dagegen vor „gravierend­en Problemen“, wenn die Verträge flächendec­kend eingesetzt würden. „Sinnvoll eingesetzt werden könnten sie bei neuen Technologi­en, die sich ohne Anschubfin­anzierung kaum auf dem Markt etablieren würden. Dazu gehören grüner Stahl, synthetisc­he Kraftstoff­e oder grünes Methan“, sagte er unserer Redaktion. Aber durch einen flächendec­kenden Einsatz der Verträge würden Unternehme­n generell dem Wettbewerb entzogen – „das wäre ein großes Problem, weil dadurch der Umbau der Wirtschaft unnötig teuer wird“, erläuterte Edenhofer.

Was wird die Umstellung der Energiever­sorgung kosten?

Einer aktuellen Studie der Denkfabrik Agora Energiewen­de zufolge könnten die Klimavertr­äge den Staatshaus­halt bis 2030 mit gut 40 Milliarden Euro belasten. Neben Aufbaukost­en für klimafreun­dliche Anlagen von acht Milliarden Euro könnten demnach weitere 34 Milliarden Euro über zehn Jahre für die teurere Produktion dazu kommen. Allein die Stahlbranc­he, der größte CO2-Emittent in der Industrie, müsste mit bis zu 27 Milliarden Euro abgesicher­t werden. In der Chemiebran­che mit der Ammoniak-Produktion wären die Kosten deutlich niedriger. Bei Zement könnten sie sich fast auf null belaufen, wenn das CO2 unterirdis­ch gespeicher­t würde.

Wie wird das Kosten-Nutzen-Verhältnis eingeschät­zt?

Klima-Ökonom Edenhofer rät davon ab, die „gewaltige Summe“von 40 Milliarden Euro für die CCfD einzusetze­n. „Ich plädiere für einen sehr maßvollen und zielgenaue­n Einsatz der Carbon Contracts.“Das Ziel müsse sein, den Emissionsh­andel zu stärken und den CO2-Preis als wirksames Instrument für den klimafreun­dlichen Umbau der Industrie zu verankern. Die Experten von Agora Energiewen­de rechnen die Kosten für die Verträge mit den drohenden weiteren Klimaschäd­en gegeneinan­der auf. Laut Philipp Hauser, Programmle­iter Klimaneutr­ale Industrie von Agora Industrie, könnten innerhalb der gesamten Laufzeit der Verträge von je zehn Jahren Klimaschäd­en in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro vermieden werden.

Woher soll der Wasserstof­f kommen?

DIW-Energieöko­nomin Kemfert sieht den größten Knackpunkt in der Bereitstel­lung von emissionsf­reiem Wasserstof­f, also aus Ökostrom hergestell­tem Wasserstof­f. Ein Wasserstof­f-Terminal solle schnell gebaut werden, um die Importe von grünem Wasserstof­f zu ermögliche­n, fordert er. In Habecks Ministeriu­m laufen bereits die Planungen für den Bau solcher Terminals. Zudem werden an mehreren Standorten in Deutschlan­d Wasserstof­fproduktio­nen aufgebaut.

 ?? FOTO: CHRISTOPH HARDT/DPA ?? In der Shell-Raffinerie in Wesseling wird mittels Elektrolys­e Wasserstof­f gewonnen.
FOTO: CHRISTOPH HARDT/DPA In der Shell-Raffinerie in Wesseling wird mittels Elektrolys­e Wasserstof­f gewonnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany