Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Warum Handel in Rheydt Potenzial hat
Der Handelsexperte der Hochschule Niederrhein, Prof. Gerrit Heinemann, zeichnet für den stationären Einzelhandel und speziell dem in Rheydt eine düstere Zukunft. Dagegen regt sich Widerspruch – auch aus anderen Teilen der Stadt.
MÖNCHENGLADBACH Er ist als Experte für Einzelhandel bundesweit gefragt – und bekannt für klare, manchmal auch harte Worte: Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein, hat im Interview mit unserer Redaktion den Effekt des Online-Handels und der Pandemie auf die stationären Geschäfte in den Mönchengladbacher Innenstädten analysiert. Für beide, aber insbesondere für Rheydt sieht er für den stationären Einzelhandel wenig Zukunft. Die Effekte des Online-Handels, den er selbst etwa vor Weihnachten ausschließlich genutzt habe, seien nicht mehr zurückzudrehen. Viele Händler hätten den Anschluss verschlafen. „Kontraproduktiver Lokalpatriotismus“präge Mönchengladbachbach so sehr wie keine andere Stadt. Da ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten.
„Ich habe mich darüber gewundert und geärgert“, sagt Christoph Hartleb, Vorsitzender des Rheydter City-Managements. Es sei doch bemerkenswert, wenn ein Professor für Handel den stationären Handel vor Weihnachten nicht als Kunde unterstütze. Wegen solchen Kundenverhaltens stimme natürlich, dass der Online-Handel nicht mehr aufzuhalten sei. „Seine Perspektivlosigkeit teile ich aber nicht“, sagt Hartleb. Zwar gebe es in Rheydt anders als in der Gladbacher Innenstadt fast keine Filialisten, aber dafür viele inhabergeführte Geschäfte – und gerade da liege die Chance. Heinemanns Aussagen sendeten „katastrophale Signale“für den bestehenden Einzelhandel und Start-ups, die mit kreativen Ideen einsteigen wollten.
Einer davon ist Bernd Müller. Er ist Spieleautor und richtet gerade in Eicken einen Laden ein, den er im Mai eröffnen will: Spielwaren mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit, auch ein Spielecafé, das in den Stadtteil ausstrahlen soll, ist geplant. Dank Müller wird es wieder einen Leerstand weniger geben. „Wir sind erschrocken, was da so ein Professor von sich gibt. Sollen jetzt alles Geschäfte zur Hindenburgstraße ziehen?“, fragt Müller in einer Mail an die Redaktion. Solche Sätze über Rheydt gehörten sich nicht. „Ich hoffe, dass die Stadt nicht alles so ernst nimmt“, was Heinemann empfehle. Den Kopf in den Sand zu stecken und allen Einzelhändlern zu unterstellen, alles falsch zu machen, sei keine Lösung.
Von Abgesängen auf den Rheydter Einzelhandel hält auch Daniela Marischen nichts, die beim Quartiersmanagement für den Schwerpunkt „lokale Ökonomie“zuständig ist. „Die Auffassung, dass Rheydt als Einkaufsstadt keinen Sinn ergibt, teile ich absolut nicht. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Händler, die dort ihr Geschäft haben. Deshalb stört mich eine solche Aussage sehr“, sagt sie. Sie hat kein Verständnis dafür, dass auch manche Rheydter ihren Stadtteil in den schwärzesten Farben malen, gute Seiten offenbar ausblenden, statt sie selbstbewusst hervorzuheben und zu versuchen, im Wandel Positives zu erreichen.
„Natürlich muss man sich in Rheydt von den alten Zeiten verabschieden und sich neu finden“, sagt Marischen, die selbst im Stadtteil das Café Loulou`s betreibt. „Es wird nicht mehr so sein, wie es früher mal war, sondern einen Mix geben müssen.“In Rheydt gebe es nach wie vor genügend alteingesessene Geschäfte, die gut laufen, aber auch neue. „Daher bitte nicht den Einzelhandel abschreiben, sondern neu denken“, sagt Marischen. Quartiersmanager Markus Offermann sieht nicht nur alteingesessene Läden, sondern auch von Migranten geführte Geschäfte als Chance: „Es gibt eine Vielzahl von Geschäften, die sich spezialisiert haben – nicht nur auf Waren, sondern auch auf Kundenkreise. Ob das ein bulgarischer Supermarkt ist oder ein rumänischer oder ein Laden mit polnischen Waren – es gibt Spezialgeschäfte, die Dinge anbieten und einerseits die Nahversorgung für die Menschen, die hier wohnen, mitgarantieren und die andererseits Anziehungspunkte sind, zu denen Menschen aus ganz Mönchengladbach kommen.“
Mit Roland Beeten meldet sich auch einer der alteingesessenen Ladeninhaber aus Rheydt zu Wort: „Die Umsatzrückgänge von 20 bis 30 Prozent im stationären Einzelhandel betreffen in weiten Teilen die Filialunternehmen in den Oberzentren“, so Beeten. „Unser Fachgeschäft in Rheydt hat es, wie auch viele benachbarte Unternehmen, in 2021 trotz Lockdown geschafft, seine Umsätze gegenüber 2019, also vor Corona, zu steigern.“Es sei bedauerlich, dass viele Fachbereiche der Hochschule sich der Nachhaltigkeit verpflichteten, während Prof. Heinemann den Onlinehandel mit seinen ökologisch- und verkehrstechnischen Belastungen propagiere.