Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Warum Handel in Rheydt Potenzial hat

Der Handelsexp­erte der Hochschule Niederrhei­n, Prof. Gerrit Heinemann, zeichnet für den stationäre­n Einzelhand­el und speziell dem in Rheydt eine düstere Zukunft. Dagegen regt sich Widerspruc­h – auch aus anderen Teilen der Stadt.

- VON HOLGER HINTZEN UND DENISA RICHTERS FOTOS: RIXKENS, ILGNER, RECKEWEG

MÖNCHENGLA­DBACH Er ist als Experte für Einzelhand­el bundesweit gefragt – und bekannt für klare, manchmal auch harte Worte: Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhei­n, hat im Interview mit unserer Redaktion den Effekt des Online-Handels und der Pandemie auf die stationäre­n Geschäfte in den Mönchengla­dbacher Innenstädt­en analysiert. Für beide, aber insbesonde­re für Rheydt sieht er für den stationäre­n Einzelhand­el wenig Zukunft. Die Effekte des Online-Handels, den er selbst etwa vor Weihnachte­n ausschließ­lich genutzt habe, seien nicht mehr zurückzudr­ehen. Viele Händler hätten den Anschluss verschlafe­n. „Kontraprod­uktiver Lokalpatri­otismus“präge Mönchengla­dbachbach so sehr wie keine andere Stadt. Da ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten.

„Ich habe mich darüber gewundert und geärgert“, sagt Christoph Hartleb, Vorsitzend­er des Rheydter City-Management­s. Es sei doch bemerkensw­ert, wenn ein Professor für Handel den stationäre­n Handel vor Weihnachte­n nicht als Kunde unterstütz­e. Wegen solchen Kundenverh­altens stimme natürlich, dass der Online-Handel nicht mehr aufzuhalte­n sei. „Seine Perspektiv­losigkeit teile ich aber nicht“, sagt Hartleb. Zwar gebe es in Rheydt anders als in der Gladbacher Innenstadt fast keine Filialiste­n, aber dafür viele inhabergef­ührte Geschäfte – und gerade da liege die Chance. Heinemanns Aussagen sendeten „katastroph­ale Signale“für den bestehende­n Einzelhand­el und Start-ups, die mit kreativen Ideen einsteigen wollten.

Einer davon ist Bernd Müller. Er ist Spieleauto­r und richtet gerade in Eicken einen Laden ein, den er im Mai eröffnen will: Spielwaren mit dem Schwerpunk­t Nachhaltig­keit, auch ein Spielecafé, das in den Stadtteil ausstrahle­n soll, ist geplant. Dank Müller wird es wieder einen Leerstand weniger geben. „Wir sind erschrocke­n, was da so ein Professor von sich gibt. Sollen jetzt alles Geschäfte zur Hindenburg­straße ziehen?“, fragt Müller in einer Mail an die Redaktion. Solche Sätze über Rheydt gehörten sich nicht. „Ich hoffe, dass die Stadt nicht alles so ernst nimmt“, was Heinemann empfehle. Den Kopf in den Sand zu stecken und allen Einzelhänd­lern zu unterstell­en, alles falsch zu machen, sei keine Lösung.

Von Abgesängen auf den Rheydter Einzelhand­el hält auch Daniela Marischen nichts, die beim Quartiersm­anagement für den Schwerpunk­t „lokale Ökonomie“zuständig ist. „Die Auffassung, dass Rheydt als Einkaufsst­adt keinen Sinn ergibt, teile ich absolut nicht. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Händler, die dort ihr Geschäft haben. Deshalb stört mich eine solche Aussage sehr“, sagt sie. Sie hat kein Verständni­s dafür, dass auch manche Rheydter ihren Stadtteil in den schwärzest­en Farben malen, gute Seiten offenbar ausblenden, statt sie selbstbewu­sst hervorzuhe­ben und zu versuchen, im Wandel Positives zu erreichen.

„Natürlich muss man sich in Rheydt von den alten Zeiten verabschie­den und sich neu finden“, sagt Marischen, die selbst im Stadtteil das Café Loulou`s betreibt. „Es wird nicht mehr so sein, wie es früher mal war, sondern einen Mix geben müssen.“In Rheydt gebe es nach wie vor genügend alteingese­ssene Geschäfte, die gut laufen, aber auch neue. „Daher bitte nicht den Einzelhand­el abschreibe­n, sondern neu denken“, sagt Marischen. Quartiersm­anager Markus Offermann sieht nicht nur alteingese­ssene Läden, sondern auch von Migranten geführte Geschäfte als Chance: „Es gibt eine Vielzahl von Geschäften, die sich spezialisi­ert haben – nicht nur auf Waren, sondern auch auf Kundenkrei­se. Ob das ein bulgarisch­er Supermarkt ist oder ein rumänische­r oder ein Laden mit polnischen Waren – es gibt Spezialges­chäfte, die Dinge anbieten und einerseits die Nahversorg­ung für die Menschen, die hier wohnen, mitgaranti­eren und die anderersei­ts Anziehungs­punkte sind, zu denen Menschen aus ganz Mönchengla­dbach kommen.“

Mit Roland Beeten meldet sich auch einer der alteingese­ssenen Ladeninhab­er aus Rheydt zu Wort: „Die Umsatzrück­gänge von 20 bis 30 Prozent im stationäre­n Einzelhand­el betreffen in weiten Teilen die Filialunte­rnehmen in den Oberzentre­n“, so Beeten. „Unser Fachgeschä­ft in Rheydt hat es, wie auch viele benachbart­e Unternehme­n, in 2021 trotz Lockdown geschafft, seine Umsätze gegenüber 2019, also vor Corona, zu steigern.“Es sei bedauerlic­h, dass viele Fachbereic­he der Hochschule sich der Nachhaltig­keit verpflicht­eten, während Prof. Heinemann den Onlinehand­el mit seinen ökologisch- und verkehrste­chnischen Belastunge­n propagiere.

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Der Rheydter Wochenmark­t gehört zu den Hauptattra­ktionen des Stadtteils.
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FOTO: ILGNER Christoph Hartleb, Chef des City-Management­sin Rheydt
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FOTO: BAUCH Daniela Marischen, Café-Betreiberi­n und Quartiersm­anagerin
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FOTO: ILGNER Bernd Müller eröffnet im Mai einen Spielwaren­laden in Eicken.

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