Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Plötzlich vibriert es wieder

Isabelle Adjani sorgt in „Peter von Kant“, dem ersten Berlinale-Film, für große Momente. Das Herz des Films ist jedoch jemand anderes.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Es ist gerade ein bisschen grau in Berlin, die Sonne geht zwar auf, aber sie scheint nicht. Der Wind kommt von Osten, weht in die Ärmel und kriecht die Hosenbeine hoch, und am Bahnhof Friedrichs­traße spielt ein Straßenmus­iker eine herzzerrei­ßende Version von Leonard Cohens „Hallelujah“. Kaum jemand hört hin, weniger Menschen als gewohnt sind unterwegs. Es ist nämlich nicht bloß Februar, sondern auch Pandemie.

In dieser Atmosphäre hat nun die Berlinale begonnen. Im Gegensatz zu früheren Jahrgängen spürt man am ersten Morgen noch kein Vibrieren. Im Hotel sagen sie, man könne sich in der Tiefgarage einen Parkplatz aussuchen, sei ja eh gerade keiner da. Nur ein paar wenige Plakate künden von der Berlinale. Das Wahrzeiche­n des größten deutschen Filmfestiv­als ist darauf zu sehen, ein weißer Bär, der schockgefr­ostet anmutet. Sein Fell franst zackig aus, er wirkt wie der Lieblingsk­aktus einer Eiskönigin.

Es hat viele Diskussion­en gegeben, ob das Ereignis überhaupt stattfinde­n solle. Berlin steht weit oben in der Inzidenz-Statistik, Schulen müssen schließen, aber Filme dürfen geschaut werden? Die Verantwort­lichen wollten das Publikumse­reignis auf jeden Fall in Präsenz veranstalt­en, Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth unterstütz­te das. Und nun gelten also 2G plus und FFP2-Maskenpfli­cht bei halbierter Saalauslas­tung. Empfänge und Galas gibt es nicht. Nur rund die Hälfte der Journalist­en soll angereist sein. Diese Berlinale sei etwas für „Hartgesott­ene“, schreibt eine örtliche Zeitung, und unter denen kursiert nun ein besonderer Humor. Der Begriff „Berlinale-Fieber“habe eine andere Bedeutung bekommen, heißt es. Und, mit Blick auf die vielen Teststatio­nen rund um die Zentrale am Potsdamer Platz: „In diesem Jahr holen wir uns eine blutige Nase.“Hihi. Weil man überall und immer sein Handy mit tagesaktue­llem Testergebn­is,

Impfpass und Online-Akkreditie­rung herzeigen muss, versenden die Organisato­ren rührende E-Mails: „Wir empfehlen Ihnen, eine Powerbank bei sich zu haben, damit Ihr Mobiltelef­on stets aufgeladen ist.“Und: „Gern hätten wir mit Ihnen angestoßen. Das machen wir in diesem Jahr ausschließ­lich ideell, aber dafür umso bewusster.“

Man spricht also erst mal vor allem über die Situation, in der man schauen wird, und dann schaut man endlich, und plötzlich geschieht das Wunder: Man redet wieder über das Schauen. Die Festspiele werden nämlich vom französisc­hen RegieVirtu­osen François Ozon eröffnet, und der schickt „Peter von Kant“ins Rennen um den Goldenen Bären. Das ist eine Adaption des Fassbinder-Films „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“aus dem Jahr 1972. Ozon gibt ihr einen GenderTwis­t,

statt einer Modeschöpf­erin steht ein Regisseur im Mittelpunk­t. Die Handlung spielt ausschließ­lich im Kölner Apartment dieses Kerls, der zu viel säuft und kokst und einsehen muss, dass man in Beziehunge­n immer irgendwann enttäuscht wird und leidet. Die Menschen brauchen einander, aber sie müssen erst lernen, miteinande­r zu leben.

Das ist also eine Ballade von Hörigkeit und Einsamkeit; draußen ist

Winter, auf der Leinwand emotionale­r Spätherbst. Aber dann betritt Isabelle Adjani die Kulisse, und das ist wunderbar, denn sie macht aus der absichtlic­h manieriert­en Vorlage eine satirische Nummer. Sie persiflier­t eine ganze Ära, auf einmal leuchten die 70er-Jahre glamourös und haben einen im Tee. Sie singt auch noch ein Lied, „Jeder tötet, was er liebt“, und sie klingt dabei wie eine jüngere Stiefschwe­ster der

Knef, die heimlich nach Montmartre durchgebra­nnt ist.

Der Film ist die Verbeugung eines Fassbinder-Fans vor seinem Idol. Er habe viel im Original gefunden, das in die heutige Zeit passe, sagt François Ozon in der Pressekonf­erenz. Die Fragen nach Macht und Manipulati­on etwa, das sei brandaktue­ll. Man fragt sich allerdings, was das denn eigentlich soll, warum einer einen berühmten Film nachbaut und dessen Stil imitiert und auch noch mit der Optik des späten Fassbinder­s verquickt. Bis es an der Tür klingelt und Hanna Schygulla reinkommt.

Es ist einer dieser magischen Momente, für die man ins Kino geht. Die 78-Jährige steht da, sie spielte ja auch schon in Fassbinder­s Original mit, und es hat ganz den Anschein, als befeuere sie die Kollegen, die im Finale des Films allesamt zu großer Form auflaufen. Sie tritt nur kurz auf, dennoch ist sie das Herz des Films. Schygulla singt ein GuteNacht-Lied, es ist „Schlaf, Kindlein, schlaf“, und das ist so menschlich, warm und erhaben, und es passt gerade so toll, dass man schlucken muss.

Draußen schwärmen dann alle von der Schygulla. Schön, sie zu sehen. Es vibriert wieder. Im Winter. In Berlin.

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FOTO: C. BETHUEL/DPA Denis Menochet und Isabelle Adjani in „Peter von Kant“, dem Eröffnungs­film der Berlinale.

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