Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Was Schutt und Steine uns erzählen

Claudia Bosse verwandelt das Forum Freies Theater gerade in Landschaft­en mit Erdhügeln, Trampelpfa­den und Steinen.

- VON SABINE JANSSEN

DÜSSELDORF Nein, es ist kein Rückschrit­t, wenn man im Foyer des FFT derzeit über Sand und Erde stapft und dort ein Spaten an der Wand lehnt. Im November erst ist das Forum Freies Theater am Konrad-Adenauer-Platz in sein neues Zuhause eingezogen, da sieht es schon wieder nach Baustelle aus. Mit Absicht.

Claudia Bosse und ihre Komplizinn­en bereiten gerade ihre Installati­on für die „Commune 1-73“vor: Ein Erdhügel ragt auf, Trampelpfa­de aus Schmiersan­d und Mutterbode­n schlängeln sich durchs Foyer, feine Knochen ragen aus Wällen auf, die mit Rheinkiese­ln versetzt sind, ein Loch klafft im Boden, Fotos mit Detailaufn­ahmen urbaner Trümmerlan­dschaften hängen an der Wand. „Wir werden mit Licht und Projektion­en arbeiten“, sagt Bosse. Eine multimedia­le städtische Brache wird die Künstlerin mitten in der Düsseldorf­er Innenstadt entstehen lassen. Darin werden von Freitag bis Sonntag Performanc­es, Choreograf­ien, Texte und Klänge zu erleben sein.

„Commune 1-73“ist ein archäologi­sch angehaucht­es Happening, das in ein gewichtige­s theoretisc­hes Fundament – bestehend aus dem Projekt „Place Internatio­nale“und der Pariser Commune von 1871 – eingelasse­n ist.

Da ist das Stadtlabor „Place Internatio­nale“, bei der die freie Kunstszene aufgerufen ist, das Thema Stadtgesel­lschaft neu zu denken und mit aktuellen Formen städtische­r Demokratie zu experiment­ieren. Und da ist die Pariser Commune von 1871, deren Gründung sich 2021, im Umzugsjahr des FFT, zum 150. Mal jährte und zum Leitmotiv des Stadtlabor­s avancierte. In der Commune stellten Männer, Frauen und Kinder die Frage nach einer besseren Gesellscha­ftsordnung und Selbstregi­erung, ein Aufstand der Moderne gegen das Mittelalte­r und ein Fixpunkt für viele Künstler.

„,Place Internatio­nale` sollte ursprüngli­ch den Umzug des FFT begleiten“, sagt Moritz Hannemann, Mitarbeite­r der künstleris­chen Leitung: „73 Tage, so lange wie die Commune dauerte, wollten wir hier durchrocke­n.“Als sich der Umzug verzögerte, brauchte es eine andere Lösung. Im Herbst 2021 gab es rund fünf Wochen ein Stadtlabor. Im Mai dieses Jahres findet es mit internatio­naler Besetzung seinen Abschluss. Und mittendrin, im Februar: Bosse mit ihren Fragmenten zur Commune, die die gesellscha­ftlichen Fragen wörtlich auf den Boden zurückholt.

„The Assembly of Different Beings 1-3“heißt das multimedia­le Kunstevent im Untertitel. „Ich hatte mich in einem Selbstvert­rag verpflicht­et, passend zur Commune 73 Annäherung­en zu schaffen“, erklärt die in Wien und Berlin lebende Künstlerin. 54 Fragmente haben sie und ihre Komplizinn­en bereits versammelt. Im Mai sollen es 73 sein.

Für ihre Sammlung haben sie sich auf diverse Brachen begeben, unter anderem auf das Grand Central Düsseldorf. Sie sind dort gewandelt, haben gebuddelt, dem Wind gelauscht, Müll gesammelt, Treppen gebaut, die reinigende Wirkung von Schuttpfla­nzen studiert, ein totes Tier gefunden und Fahnen aufgestell­t – das alles haben sie sinnhaft mit dem Aufstand der Commune verbunden. Die Begegnunge­n mit dem Brachland sind auf www.theatercom­binat.com zu sehen.

„Mich interessie­rt die Frage: Welche Kunst können wir jetzt machen? Es ist die Suche nach einer anderen Mythologie, einer anderen Erzählweis­e“, sagt Bosse. Für die Regisseuri­n und Choreograf­in sind es die urbanen Orte, die ihre Geschichte­n

erzählen, wenn man genau hinschaut und lauscht. Etwas Altes ist abgerissen, etwas Neues entsteht. Sie versucht, die Landschaft­en zu lesen. Haben diese Brachen ein Eigenleben? Wie verändern sie sich, wenn sie als Zwischenrä­ume auf eine andere Ortsaneign­ung warten? Die vielleicht nicht kommt – wie im Fall eines geplanten und nicht realisiert­en Wasserwerk­s.

Neben der Brache im Foyer wird es eine Landschaft im Bühnenraum geben. Fahnen stehen dort, Symbole

der Einnahme eines Territoriu­ms. Entlaubte Äste hängen von der Decke. Eine Windmaschi­ne wird zum Einsatz kommen. Drei Tänzerinne­n, eine Schauspiel­erin und eine Performeri­n werden die FFT-Brachfläch­en bespielen. „Die Besucher werden durch die Landschaft­en wandeln können. Es wird eine haptische Erfahrung“, verspricht Bosse. Wäre das Wort „Spaziergan­g“nicht durch Corona-Proteste belegt, man könnte es einen solchen nennen. Aber Expedition trifft es eh viel besser.

 ?? FOTO: TOM JASNY ?? Das Foyer des FFT wird für die Installati­on und Performanc­e „Commune 1-73“zur Brache umgebaut.
FOTO: TOM JASNY Das Foyer des FFT wird für die Installati­on und Performanc­e „Commune 1-73“zur Brache umgebaut.
 ?? FOTO: JAN LEMITZ ?? Die Regisseuri­n und Choreograf­in Claudia Bosse hat sich mit urbanen Brachen beschäftig­t. Die künstleris­chen Begegnunge­n mit dem Boden hat sie auf einer Website dokumentie­rt.
FOTO: JAN LEMITZ Die Regisseuri­n und Choreograf­in Claudia Bosse hat sich mit urbanen Brachen beschäftig­t. Die künstleris­chen Begegnunge­n mit dem Boden hat sie auf einer Website dokumentie­rt.
 ?? FOTO: GÜNTHER AUER ?? Claudia Bosse bereitet die Installati­on „Commune 1-73“vor.
FOTO: GÜNTHER AUER Claudia Bosse bereitet die Installati­on „Commune 1-73“vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany