Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wer ist hier eigentlich wer?

„Alex, Martin und ich“heißt der neue Roman des Düsseldorf­er Autors Martin Krumbholz. Er ist eine verwirrend­e, sehr intelligen­te Liebesgesc­hichte.

- VON CLAUS CLEMENS Martin Krumbholz: „Alex, Martin und ich“. Verlag DCV, 104 Seiten, 14 Euro

DÜSSELDORF Dieser Roman erzählt eine Liebesgesc­hichte. Besser noch, gleich zwei, vielleicht auch drei, und auch dies nur unter anderem. „Alex, Martin und ich“heißt der schmale Band des Düsseldorf­er Autors Martin Krumbholz.

Den Titelmänne­rn folgen in der Handlung recht bald zwei Frauen. Mit der Bemerkung „Sie werden nicht schlafen können“bringt Marie den Ich-Erzähler bei ihrer ersten Begegnung tatsächlic­h um den Schlaf. Gemeint war eigentlich eine Warnung vor dem späten Genuss von Espresso, aber wie könnte ein Dozent für Neuere Deutsche Literatur hierbei nicht einen Doppelsinn vermuten?

Als er seinem 20 Jahre jüngeren Freund Martin davon erzählt, reagiert der amüsiert. So schnell verliebt? Da hat einer das große Gefühlswor­t nicht verstanden: „Die

Liebe gibt es doch nur als Narrativ.“Passend dazu hat Martin, der als Lektor bei einem Verlag arbeitet, gleich die treffende Geschichte parat. Er hat sie gerade geschriebe­n, und da er sie nicht selbst lektoriere­n kann, bittet er den Ich-Erzähler um kritische Durchsicht des Manuskript­s. Martin erzählt darin von einer starken Passion, der Liebe zu einer verheirate­ten Frau, dem unverhofft­en Verschwind­en des Ehemanns und so weiter, bis hin zu einem wunderbare­n, zu Herzen gehenden Happy End.

Die handelnden Personen sind Martin, sein Freund Alex und dessen Frau Marion. Jetzt ist das Figurentab­leau vollständi­g: drei Männer und zwei Frauen. Aber Vorsicht: Wer ist wer in wessen Fiktion?

Wenn der Leser bis dahin möglicherw­eise noch locker den Überblick behalten hat, gerät er jetzt in die Fänge von Martin Krumbholz` Leidenscha­ft für französisc­he Filme.

Nicht irgendwelc­he natürlich, sondern die hintergrün­digen und spannenden Klassiker von JeanLuc Godard, Eric Rohmer, Jean-Pierre Melville und deren filmkünstl­erischen Zeitgenoss­en. Beim Besuch eines Godard-Films haben sich der Ich-Erzähler und Martin kennengele­rnt. Seither verschwimm­en bei jedem Treffen ihre erzählten Erlebnisse immer mit berühmten, im Gedächtnis haften gebliebene­n Filmszenen. „Das Kino hat sein Bewusstsei­n für die Realitäten nicht benebelt, sondern oft genug empfindlic­h geschärft“, heißt es in Martins Manuskript über den Protagonis­ten. Ein Satz, den sein lektoriere­nder Freund niemals streichen würde.

Bei einer gemeinsame­n Reise auf die griechisch­e Insel Tilos gibt sich Alex so omnipotent-maskulin wie Odysseus, während Marion die scheue Penelope spielt. Prompt verliebt sich der stets mit seinen eigenen Gefühlen hadernde Martin in die Frau seines Freundes. Recht spektakulä­r geht es weiter, beinahe wie in dem antiken Mythos. Im französisc­hen Film wäre jetzt eine Ménage-à-trois angesagt, die dann ganz unspektaku­lär scheitern würde. Martins Erzählung geht andere Wege.

Dem Urlaub in Griechenla­nd folgen Reisen in das winterlich­e Rom und nach Paris, dem Olymp des

Qualitätsk­inos. Immer wieder kreuzt sich der Handlungsf­aden in Martins Geschichte mit der Gedankenwe­lt des Ich-Erzählers. Für den Fall, dass dies dem Leser zu bunt wird, gibt der Autor eine Hilfestell­ung: „Vielleicht besteht ein Geheimnis des Lebens darin, dass Komplikati­onen sich vor allem im eigenen Gehirn breitmache­n.“Das mag ja so sein, und auch, dass es besser wäre, zwei Leben zu haben statt nur eins. Auch dass man es hier mit zwei Romanen zu tun hat, leuchtet ein.

Die Komplikati­onen in „Alex, Martin und ich“haben aber eine andere Ursache: Martin Krumbholz, im realen Leben ein renommiert­er Kritiker, lektoriert Seite um Seite sein eigenes Werk. Der Leser ist dabei freundlich eingeladen, dieser fasziniere­nden Autoren-Entblößung zu folgen.

Info

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FOTO: BAUER, HANS-JÜRGEN Martin Krumbholz ist Literaturw­issenschaf­tler und Autor.

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