Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wer ist hier eigentlich wer?
„Alex, Martin und ich“heißt der neue Roman des Düsseldorfer Autors Martin Krumbholz. Er ist eine verwirrende, sehr intelligente Liebesgeschichte.
DÜSSELDORF Dieser Roman erzählt eine Liebesgeschichte. Besser noch, gleich zwei, vielleicht auch drei, und auch dies nur unter anderem. „Alex, Martin und ich“heißt der schmale Band des Düsseldorfer Autors Martin Krumbholz.
Den Titelmännern folgen in der Handlung recht bald zwei Frauen. Mit der Bemerkung „Sie werden nicht schlafen können“bringt Marie den Ich-Erzähler bei ihrer ersten Begegnung tatsächlich um den Schlaf. Gemeint war eigentlich eine Warnung vor dem späten Genuss von Espresso, aber wie könnte ein Dozent für Neuere Deutsche Literatur hierbei nicht einen Doppelsinn vermuten?
Als er seinem 20 Jahre jüngeren Freund Martin davon erzählt, reagiert der amüsiert. So schnell verliebt? Da hat einer das große Gefühlswort nicht verstanden: „Die
Liebe gibt es doch nur als Narrativ.“Passend dazu hat Martin, der als Lektor bei einem Verlag arbeitet, gleich die treffende Geschichte parat. Er hat sie gerade geschrieben, und da er sie nicht selbst lektorieren kann, bittet er den Ich-Erzähler um kritische Durchsicht des Manuskripts. Martin erzählt darin von einer starken Passion, der Liebe zu einer verheirateten Frau, dem unverhofften Verschwinden des Ehemanns und so weiter, bis hin zu einem wunderbaren, zu Herzen gehenden Happy End.
Die handelnden Personen sind Martin, sein Freund Alex und dessen Frau Marion. Jetzt ist das Figurentableau vollständig: drei Männer und zwei Frauen. Aber Vorsicht: Wer ist wer in wessen Fiktion?
Wenn der Leser bis dahin möglicherweise noch locker den Überblick behalten hat, gerät er jetzt in die Fänge von Martin Krumbholz` Leidenschaft für französische Filme.
Nicht irgendwelche natürlich, sondern die hintergründigen und spannenden Klassiker von JeanLuc Godard, Eric Rohmer, Jean-Pierre Melville und deren filmkünstlerischen Zeitgenossen. Beim Besuch eines Godard-Films haben sich der Ich-Erzähler und Martin kennengelernt. Seither verschwimmen bei jedem Treffen ihre erzählten Erlebnisse immer mit berühmten, im Gedächtnis haften gebliebenen Filmszenen. „Das Kino hat sein Bewusstsein für die Realitäten nicht benebelt, sondern oft genug empfindlich geschärft“, heißt es in Martins Manuskript über den Protagonisten. Ein Satz, den sein lektorierender Freund niemals streichen würde.
Bei einer gemeinsamen Reise auf die griechische Insel Tilos gibt sich Alex so omnipotent-maskulin wie Odysseus, während Marion die scheue Penelope spielt. Prompt verliebt sich der stets mit seinen eigenen Gefühlen hadernde Martin in die Frau seines Freundes. Recht spektakulär geht es weiter, beinahe wie in dem antiken Mythos. Im französischen Film wäre jetzt eine Ménage-à-trois angesagt, die dann ganz unspektakulär scheitern würde. Martins Erzählung geht andere Wege.
Dem Urlaub in Griechenland folgen Reisen in das winterliche Rom und nach Paris, dem Olymp des
Qualitätskinos. Immer wieder kreuzt sich der Handlungsfaden in Martins Geschichte mit der Gedankenwelt des Ich-Erzählers. Für den Fall, dass dies dem Leser zu bunt wird, gibt der Autor eine Hilfestellung: „Vielleicht besteht ein Geheimnis des Lebens darin, dass Komplikationen sich vor allem im eigenen Gehirn breitmachen.“Das mag ja so sein, und auch, dass es besser wäre, zwei Leben zu haben statt nur eins. Auch dass man es hier mit zwei Romanen zu tun hat, leuchtet ein.
Die Komplikationen in „Alex, Martin und ich“haben aber eine andere Ursache: Martin Krumbholz, im realen Leben ein renommierter Kritiker, lektoriert Seite um Seite sein eigenes Werk. Der Leser ist dabei freundlich eingeladen, dieser faszinierenden Autoren-Entblößung zu folgen.
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