Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Afrika ist keine Resterampe für Impfstoffe“

Die Entwicklun­gshilfemin­isterin will, dass Entwicklun­gsländer Corona-Impfstoffe selbst produziere­n können. Zugleich soll es ein Exportverb­ot für gefährlich­e Pestizide geben.

- DAS INTERVIEW FÜHRTEN HAGEN STRAUSS UND BIRGIT MARSCHALL.

Frau Schulze, was ist Ihre Rolle in der deutschen Weltklimap­olitik?

SCHULZE Wir im Entwicklun­gsminister­ium legen den Fokus auf die Schwellen- und Entwicklun­gsländer. Das ist wichtig, denn den Kampf gegen den Klimawande­l gewinnen wir nur gemeinsam. Schwellen- und Entwicklun­gsländer sind inzwischen für zwei Drittel der weltweiten CO2-Emissionen verantwort­lich. Ein zentrales Instrument unserer Strategie sind die Klima- und Entwicklun­gspartners­chaften genau mit diesen Ländern.

Warum machen Sie Klimaschut­zMaßnahmen nicht zur Bedingung für deutsche Entwicklun­gshilfe?

SCHULZE Ich setze auf Kooperatio­n und Unterstütz­ung. Der Großteil der historisch­en Emissionen geht auf das Konto der Industriel­änder. Die ärmsten Länder stoßen so gut wie keine Treibhausg­ase aus. Sie leiden aber am stärksten unter den Folgen des Klimawande­ls, der übrigens ein immer wichtigere­r Treiber für Dürren und Hunger ist.

Wir erleben ja gerade Hungerkata­strophen in vielen Weltregion­en. Was wollen Sie dagegen tun?

SCHULZE Zu den schlimmen Folgen geopolitis­cher Konflikte und des Klimawande­ls kommen jetzt noch die Folgen der Corona-Pandemie hinzu. 810 Millionen Menschen leiden aktuell weltweit unter chronische­m Hunger, über 280 Millionen sind akut von Hunger bedroht. Ganz besonders dramatisch ist es in Afghanista­n, im Jemen, am Horn von Afrika, in der Sahel-Zone. Wir können dagegen am wirkungsvo­llsten in Kooperatio­n mit anderen vorgehen, also zum Beispiel gemeinsam im Welternähr­ungsprogra­mm der Vereinten Nationen oder mit Nichtregie­rungsorgan­isationen wie der Welthunger­hilfe.

Werden Sie im Bundeshaus­halt Extra-Geld für Hunger- und Entwicklun­gshilfe lockermach­en?

SCHULZE Der Koalitions­vertrag ist sehr klar: Wir werden uns stärker als bisher bei Armutsbekä­mpfung, Krisenpräv­ention oder globaler Gesundheit­svorsorge einbringen. Dafür setze ich mich natürlich ein, und zum Glück hat sich herumgespr­ochen, dass es sich bei der Entwicklun­gszusammen­arbeit um gut investiert­es Geld handelt. Denn wenn gute Entwicklun­gspolitik es zum Beispiel schafft, die nächste Virusvaria­nte zu verhindern, macht sie sich hundertfac­h auch für uns selbst bezahlt.

Deutschlan­d hat sich verpflicht­et, mehr Impfstoffe in ärmere Länder zu exportiere­n. Warum geht es da nur langsam voran?

SCHULZE Das stimmt nicht. Deutschlan­d gilt internatio­nal als vorbildlic­h. Wir verfolgen bei der Impfstoff-Versorgung einen dreifachen Ansatz. Impfstoff-Spenden sind nur ein Teil, wichtiger noch ist Geld für die Covax-Plattform, damit auch ärmere Länder Impfstoffe bekommen können…

…aber da lässt ja die Bereitscha­ft vieler Länder zu wünschen übrig.

SCHULZE Genau. Mit der G7-Präsidents­chaft arbeiten wir daran, dass möglichst alle reichen Länder ihren fairen Anteil an der Finanzieru­ng von Covax tragen. Vor allem, das ist mein dritter Punkt, geht es aber um den Know-how- und Technologi­etransfer: Entwicklun­gsländer müssen mit unserer Unterstütz­ung in die Lage versetzt werden, selbst Impfstoffe zu produziere­n. In Südafrika

geschieht das bereits. Geplant ist das auch für Ruanda, Ghana und den Senegal. Der deutsche Hersteller Biontech wird kommende Woche Pläne für eine Impfstoff-Produktion in Afrika vorstellen.

Ist Deutschlan­d nicht auch hinter seinen Zusagen zurückgebl­ieben?

SCHULZE Nein. Wir haben sogar mehr als unseren fairen Anteil für Covax geleistet. Davon können sich Entwicklun­gsländer umgerechne­t rund 350 Millionen Impfdosen kaufen. Bei den Impfstoff-Spenden wurden rund 100 Millionen Dosen im letzten Jahr ausgeliefe­rt, in diesem Jahr kommen noch 75 Millionen dazu. Mir ist wichtig, dass der Impfstoff noch ausreichen­d lange haltbar ist. Das ist auch eine Frage des Respekts. Es kann nicht sein, dass die Dosen kurz vor dem Verfall stehen. Afrika ist nicht die Resterampe für ablaufende Impfstoffe.

Dennoch werden aus Deutschlan­d etwa Pestizide in Entwicklun­gsländer exportiert, die hier verboten sind. Mit fatalen Folgen für die Gesundheit der Menschen. Werden Sie das stoppen?

SCHULZE Ich habe schon als Umweltmini­sterin daran gearbeitet, den Pestizidei­nsatz deutlich zu reduzieren. Das will ich als Entwicklun­gsminister­in mit unseren Partnerlän­dern fortsetzen. Wir sollten in Deutschlan­d mit gutem und glaubwürdi­gem Beispiel vorangehen, was den Schutz von Natur und Gesundheit betrifft. Wir haben uns als Koalition daher fest vorgenomme­n, den Export gefährlich­er Pestizide zu verbieten, die bei uns verboten sind. Überhaupt ist es für mich kein akzeptable­s Geschäftsm­odell, Kleinbauer­n in Entwicklun­gsländern mit resistente­m Saatgut und dem dazu passenden Pestizid auf Kredit in Abhängigke­it zu stürzen.

Ich werde auch in der Zusammenar­beit mit den Partnerlän­dern den Ökologisch­en Landbau als besonders nachhaltig­e Landwirtsc­haftsform in den Fokus rücken.

Nächste Woche ist der große EU-Afrika-Gipfel. Mit welcher Erwartung werden Sie teilnehmen?

SCHULZE Wir werden gerade jetzt in die Partnersch­aft der EU mit Afrika investiere­n. Die Bedeutung des Kontinents wächst. Wir wollen nachhaltig­e, soziale Lösungen mit unseren Partnerlän­dern auf den Weg bringen. Und das auf Augenhöhe. Wir müssen zugleich als Europäer ein wertegelei­tetes Angebot machen, das sich am Pariser Klimaabkom­men und an den globalen Nachhaltig­keitsziele­n ausrichtet.

Aber hat China Europa nicht längst den Rang abgelaufen in Afrika?

SCHULZE Gerade wir Deutschen haben viele langjährig­e und vertrauens­volle Kooperatio­nen mit afrikanisc­hen Staaten. Da gibt es zum Beispiel die Reformpart­nerschafte­n, mit denen wir reformorie­ntierten Ländern helfen, die Rahmenbedi­ngungen für die Privatwirt­schaft zu verbessern und damit auch Investitio­nen zu mobilisier­en. Das ist

Aufbauarbe­it, die Zeit braucht. Der anstehende Gipfel ist eine gute Gelegenhei­t, die Partnersch­aft mit Afrika weiter zu stärken.

Was erwarten Sie vom europäisch­en Lieferkett­engesetz, das Mitte März kommen soll?

SCHULZE Arbeitsmin­ister Heil und ich hoffen auf einen ambitionie­rten Vorschlag der EU-Kommission. Denn wir brauchen ein starkes europäisch­es Lieferkett­engesetz als global wirksames Instrument, um Umwelt- und Sozialstan­dards durchzuset­zen und gleiche Wettbewerb­sbedingung­en zu schaffen. Das Europäisch­e Parlament hat im letzten Jahr schon Empfehlung­en erarbeitet, die über das deutsche Gesetz hinausgehe­n. Diese Empfehlung­en sind eine gute Grundlage.

Da ist sich die Ampel auch einig?

SCHULZE Ja, darauf haben wir uns im Koalitions­vertrag geeinigt, denn ein europäisch­es Lieferkett­engesetz würde auch der deutschen Wirtschaft das Leben erleichter­n, da es für europaweit gleiche Wettbewerb­sbedingung­en sorgen würde.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN

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