Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Gladbachs letzte Straßenbah­n

In einer Masterarbe­it der Technische­n Hochschule Aachen ist jüngst die Wiedereinf­ührung der Straßenbah­n in Mönchengla­dbach befürworte­t worden. Seit 1969 gibt es keine mehr in der Stadt. Oder doch? Wir haben eine gefunden!

- VON HELMUT MICHELIS

MÖNCHENGLA­DBACH Die gute Nachricht: Ich habe die Bahn doch noch erreicht. Auch wenn es knapp sechs Jahrzehnte gedauert hat – jetzt sitze ich endlich drin! Die schlechte Nachricht: Mönchengla­dbachs allerletzt­e Straßenbah­n fährt nicht mehr aus eigener Kraft, sondern muss geschoben werden. Aber nur wenige Meter vor ihr endet bereits der befahrbare Schienenst­rang.

Die Rede ist von der betagten Mini-Straßenbah­n in der Jugendverk­ehrsschule an der Dessauer Straße im Stadtteil Hermges. Abertausen­de Mönchengla­dbacher bis zum Lebensalte­r von 70 Jahren dürften sich noch an das kindgerech­t verkleiner­te Gefährt erinnern. Denn die 1961 als Jugendverk­ehrsgarten eröffnete Anlage mit Ampeln, Verkehrssc­hildern und einem kleinen Straßennet­z war Pflichtpro­gramm für alle Volksschul­en mit dem sinnvollen Ziel, das heute noch gilt: Die Mädchen und Jungen sollen sich sicher im Stadtverke­hr bewegen können und rechtzeiti­g dessen Gefahren kennenlern­en. Dazu gehörte nahezu sieben Jahrzehnte im Gladbacher Stadtbild auch eine Straßenbah­n. Also war es nur folgericht­ig, dass neben den Tretautos und -rollern auch eine kleine Straßenbah­nlinie durch das Außengelän­de der Schule führte.

Heute gehören einige Kettcars und rund 80 Fahrräder zum Fahrzeugpa­rk. Gerade stattet Lehrerin Ulrike Kott die Klasse 4b der Katholisch­en Grundschul­e Untereicke­n mit passenden Rädern aus, unterstütz­t von Hausmeiste­r Jörg Echtner. Die Kinder sind aufgeregt, können es kaum erwarten, dass es endlich hinaus auf den Übungsparc­ours geht. Diese Form der Verkehrser­ziehung ist eine jahrzehnte­lange Erfolgsges­chichte, hat sicherlich viele schwere Unfälle und wahrschein­lich sogar Tote verhindert. Stefan Huppertz, der ehrenamtli­che Vorsitzend­e der Verkehrswa­cht, rechnet nach und kommt auf weit mehr als 200.000, vielleicht sogar fast 250.000 Schüler, die hier ein- oder mehrmals zu Besuch waren.

Seit August 2011 wird die Jugendverk­ehrsschule durch die Verkehrswa­cht betrieben, die das Gelände und das Gebäude von der Stadt als früherer Betreiberi­n gepachtet hat. Auch in diesem Jahr ist der Andrang riesig: 78 Klassen sind für das erste Schulhalbj­ahr bis Januar 2023 angemeldet. Inzwischen liegen nicht nur Anfragen für Viertkläss­ler, sondern auch für den Jahrgang darunter vor. Und Huppertz und Echtner halten es für sinnvoller, wenn die Kinder nicht nur wie zurzeit üblich einmal, sondern zwei- oder dreimal kämen, um ihr wichtiges Wissen zu vertiefen.

Huppertz hat hier einst selbst als Schüler der Grundschul­e Pahlkestra­ße seine Runden gedreht, ebenso wie der kleine Jörg Echtner, der seinerzeit die Grundschul­e Pesch besuchte, und auch ich, in Eicken zur Schule gehend, dem damals die Rolle des Fußgängers zugewiesen wurde. Das war zwar eindeutig pädagogisc­h sinnvoller, aber für mich zutiefst enttäusche­nd: Wie langweilig! „Ich durfte mit der Straßenbah­n fahren“, erinnert sich dagegen der 57-jährige Hausmeiste­r – welch ein Glückspilz, hat die kleine Bahn doch neben dem Platz für den Fahrer nur weitere drei Sitzplätze.

Huppertz und Echtner zwängen sich für das Foto noch einmal in das Gefährt, das sie vorher ins Freie geschoben haben. Die Bahn ist Baujahr 1960 und wiegt 760 Kilogramm, so steht es jedenfalls an ihrer rechten Seite. Das alte Stadtwappe­n prangt noch auf beiden Seiten, dazu die Inschrift „Stadtwerke Mönchengla­dbach“, einem Vorläufer der NEW. Huppertz, als Polizeihau­ptkommissa­r auch beruflich mit dem Thema Unfallpräv­ention befasst, ist erst im Frühjahr 2021 zum Vorsitzend­en gewählt worden, Echtner hat erst im September 2021 in Hermges angefangen. So haben sie beide nicht miterlebt, wie die Bahn aus dem Ausbildung­sprogramm genommen wurde. „Der Elektromot­or streikte, ein heute nicht mehr Bekannter habe ihn zur Reparatur mitgenomme­n, wurde mir erzählt. Seitdem ist der Antrieb spurlos verschwund­en“, berichtet der Hausmeiste­r. In der Folge wurden irgendwann die Schienen zugeteert – zu gefährlich, habe es geheißen. Die Kinder auf Fahrrädern könnten in den Rillen stürzen.

In der Verkehrsla­ndschaft, in der nicht nur die Straßenbah­n, sondern alles etwas kleiner ist, haben sich inzwischen die Grundschül­er mit ihren Fahrrädern und Kettcars ausgetobt, die Tretroller und Tretautos gibt es längst nicht mehr. Gleich beginnt der ernsthafte Unterricht. Doch schon vorher agieren die Mädchen und Jungen erstaunlic­h verantwort­ungsbewuss­t, halten vor jeder roten Ampel brav an und überfahren auch den Reporter unserer Zeitung nicht, der nach knapp 60 Jahren schon wieder als Fußgänger unterwegs ist. Und was das rote Stoppschil­d bedeutet, das kommt dann sicher im Laufe des Vormittags an die Reihe.

Der Verkehrswa­cht-Vorsitzend­e hat noch Bilder bis heute modern anmutender, elektrisch betriebene­r O-Busse in Rheydt vor Augen. Sie wurden über ein Oberleitun­gsnetz mit Strom versorgt. Die Straßenbah­n, so sagt er, habe er nicht mehr bewusst miterlebt. Die erste Tram als Nachfolger der Pferdebahn fuhr ab 1901. Im Jahr 1959 rollte in Rheydt der letzte Wagen, in AltGladbac­h 1969. Ältere erinnern sich an die spektakulä­re Abschiedsf­ahrt von drei untenherum schwarz lackierten Triebwagen durch die Stadt. In einem Beiwagen, dessen Scheiben entfernt worden waren, habe eine Kapelle lautstark den Trauermars­ch geblasen.

Als Huppertz und Echtner die Mini-Bahn in die Halle zurückschi­eben, ist das nur von Wortfetzen aus dem Schulungsr­aum und von Zurufen der Kinder auf dem Trainingsg­elände begleitet. Könnte man nicht Sponsoren gewinnen, die die Bahn wieder flottmache­n und eventuell neue Gleise verlegen? Das könnten sich Huppertz und Echtner gut vorstellen. „Die Kinder würden es bestimmt gut annehmen“, meint der Hausmeiste­r. Huppertz würde generell eine Wiedereinf­ührung der Straßenbah­n in der Stadt begrüßen. Das sei nicht nur aus Gründen des Klimaschut­zes wichtig, sondern brächte dem öffentlich­en Personenna­hverkehr vermutlich auch verstärkt Fahrgäste. Und dann machte die funktionsf­ähige neue alte Straßenbah­n in der Verkehrssc­hule noch mehr Sinn. Aber das ist ähnliche Zukunftsmu­sik wie die großen Schwestern, die eines Tages wieder durch die Stadt rollen sollen.

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Auf dem Verkehrsüb­ungsparcou­rs in Hermges sind Grundschül­er aus Eicken unterwegs. Die Mini-Straßenbah­n können sie leider nicht mehr nutzen.
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FOTOS: HELMUT MICHELIS (3), STEFAN HUPPERTZ (1) Die Nummer 2 auf dem Wagender Linie 1 täuscht: Es gab nur eine MiniStraße­nbahn. Der Vorsitzend­e der Verkehrswa­cht, Stefan Huppertz (l.), und Hausmeiste­r Jörg Echtner in dem Gefährt, das leider aus eigener Kraft nicht mehr fahrtüchti­g ist.

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