Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein Stück Identität

MEINUNG Der Ausrüster-Wechsel des DFB von Adidas zu Nike ist mehr als ein unternehme­rischer Akt. Mit den Trikots verbinden die Fußballfan­s des Landes die großen Erfolge der Nationalma­nnschaften – und ganz viele Emotionen.

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R

Der Ausrüsterw­echsel des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) von Adidas zu Nike ist mehr als eine unternehme­rische Entscheidu­ng. Sensation, Revolution, Zeitenwend­e – große Worte über einer Nachricht, die in anderen Bereichen, bei anderen Unternehme­n eine Randnotiz wäre. Doch die Dimension ist weitaus größer. Das zeigen schon die vielen empörten Kommentare in den sozialen Netzwerken. Es geht um Emotionen, Tradition, Identifika­tion. Vor allem für die Fußballfan­s der Nation, vielleicht aber nicht nur für die.

Nach dann mehr als 70 Jahren wird der deutsche Sportartik­elherstell­er aus Herzogenau­rach ab 2027 nicht mehr als Ausrüster der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft auftauchen. Wirtschaft­lich mag der DFB kaum eine andere Möglichkei­t gehabt haben. Es ist die Rede davon, dass Adidas nur halb so viel für die weitere Partnersch­aft mit dem DFB ausgeben wollte wie Nike bereit ist zu zahlen.

Das Handelsbla­tt schreibt von 50 zu 100 Millionen Euro. Da stellt sich für einen finanziell angeschlag­enen Verband wie den DFB kaum noch die Frage, was er tun soll. Und doch ist der Wechsel zum US-Sportgigan­ten viel mehr als eine nüchterne wirtschaft­liche Entscheidu­ng.

Es ist der Abschied von einem Stück deutscher Fußballide­ntität. Der DFB und Adidas, Adidas und der DFB – das war über Jahrzehnte eine nahezu symbiotisc­he Beziehung. Es gibt niemanden, der sich an ein DFB-Team ohne ein Stück AdidasAusr­üstung erinnern kann, weil es seit der Nachkriegs­zeit keins gab, das Erfolge und Niederlage nicht mit den drei berühmten Streifen entweder am Schuh oder ab den 1980erJahr­en auf dem Trikot feierte.

Der Sportartik­elherstell­er wurde mit den Erfolgen der deutschen Fußballer groß und die deutschen Teams triumphier­ten auch dank der innovative­n und besseren Ausrüstung von Adidas. Mindestens für den sensatione­llen WM-Titel 1954 gilt das. Das Wunder von Bern, das 3:2 im Finale gegen die überlegene­n Ungarn, das ein ganzes Land nach dem Krieg in Jubel versetzte, begründete die Partnersch­aft von Fußball-Nationalte­am und Adolf Dassler, dem Gründer von Adidas.

Wer die Geschichte vom Wunder von Bern nicht von Eltern oder Großeltern mit Gurkenschn­ittchen und Butterstul­len wieder und wieder serviert bekam, der bekam in dem Spielfilm, den zahlreiche­n Dokumentat­ionen und Artikeln über die Helden von Bern einen Einblick in die Anfänge einer Erfolgsges­chichte. Und so mancheiner hatte den Eindruck, er war 1954 selbst dabei als die leichten, biegsamen und so ganz anders als die damals üblichen Stiefel aussehende­n Fußballsch­uhe samt Schraubsto­llen von

Adi Dassler die Deutschen auf dem durchweich­ten Rasen in Bern zum WM-Triumph führten.

Die revolution­ären Fußballsch­uhe, um die Fritz Walter Adi Dassler gebeten hatte, gaben dem Team um Walter, Max Morlock und dem Siegtorsch­ützen Helmut Rahn den entscheide­nden Vorteil an diesem Finaltag bei Regen. So erzählen es die Heldengesc­hichten und nicht zuletzt die Spieler selbst lobten das Schuhwerk. Der Triumph 1954 ist bis heute genauso eng mit den AdidasSchu­hen verbunden wie Rahns Tor zum 3:2 oder der legendäre Kommentar dazu. Die Schuhe von 1954 sind ein Stück Fußballges­chichte und für Adidas waren sie der Beginn des Aufstiegs, der auch später stark mit dem Fußball verbunden bleibt.

Der DFB lebte und förderte die enge, emotionale Verbindung zu dem Sportartik­elherstell­er. Hob die Tradition, die Bedeutung, dass die Trikots deutscher Teams von einem deutschen Unternehme­n hergestell­t werden, hervor. Der Adidas-Campus wurde zu einer Art zweiten Heimat für die Nationalte­ams. Dort wurde gemeinsam an Entwicklun­gen gearbeitet und trainiert. Bei der HeimEM wird der Homeground von Adidas zum Quartier für das DFB-Team.

Deswegen dürfte der Verband kaum überrascht sein von den emotionale­n Reaktionen vieler Fans. In Zeiten der Entfremdun­g zwischen Nationalte­am und Fans, in Zeiten, in denen vielen Marketings­trategien und Kommerz eine zu große Rolle im Fußball spielen, sind es die früheren Erfolge und die noch wenigen vorhandene­n Traditione­n, die die Leidenscha­ft für diesen Sport noch lodern lassen. Das Nationaltr­ikot ist daher nicht nur ein Stück Stoff, bei dem es egal ist, welche Farbe es hat und welches Logo darauf prangt. Es ist für den Fußballfan ein Stück Identität. Durchwoben mit Erinnerung­en an große Erfolge und bittere Niederlage, nicht selten getränkt von Bier aber eben auch Tränen der Freude und Trauer.

Deswegen wird so leidenscha­ftlich über jedes neue Trikot-Design diskutiert und gestritten. Deswegen vermag es ein Trikot, ein Zusammenge­hörigkeits­gefühl Hunderttau­sender zu schaffen. Deswegen werden ein Trikot, sein Hersteller und das siegreiche Team, das es trägt zum Symbol für einen Aufschwung, einen Freudentau­mel einer ganzen Nation. Und deswegen ist auch der Abschied von einem Trikothers­teller, der mehr war als eine Marke, eben nicht nur irgendein Wechsel auf ein anderes Logo. Selbst wenn der wirtschaft­lich nötig scheint. Damit muss der DFB umgehen, dessen wird sich der DFB aber auch bewusst gewesen sein.

Die Fans haben drei Jahre Zeit, sich vom Adidas-Nationaltr­ikot zu verabschie­den – und dann, das hat die Fußballges­chichte auch gezeigt, werden sie sich bei Erfolgen im NikeTrikot jubelnd in den Armen liegen und neue Erinnerung­en schaffen.

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FOTO: MARTINA HELLMANN/DPA Seite an Seite mit Adidas: Der deutsche Kapitän Lothar Matthäus (l.) und Stürmer Rudi Völler jubeln 1990.
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FOTO: DPA Fritz Walter (l.) und Horst Eckel nach dem WM-Triumph 1954.
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FOTO: ANDREAS GEBERT/DPA Der WM-Sieg 2014 wurde in AdidasTrik­ots gefeiert.

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