Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Ein Stück Identität
MEINUNG Der Ausrüster-Wechsel des DFB von Adidas zu Nike ist mehr als ein unternehmerischer Akt. Mit den Trikots verbinden die Fußballfans des Landes die großen Erfolge der Nationalmannschaften – und ganz viele Emotionen.
Der Ausrüsterwechsel des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) von Adidas zu Nike ist mehr als eine unternehmerische Entscheidung. Sensation, Revolution, Zeitenwende – große Worte über einer Nachricht, die in anderen Bereichen, bei anderen Unternehmen eine Randnotiz wäre. Doch die Dimension ist weitaus größer. Das zeigen schon die vielen empörten Kommentare in den sozialen Netzwerken. Es geht um Emotionen, Tradition, Identifikation. Vor allem für die Fußballfans der Nation, vielleicht aber nicht nur für die.
Nach dann mehr als 70 Jahren wird der deutsche Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach ab 2027 nicht mehr als Ausrüster der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auftauchen. Wirtschaftlich mag der DFB kaum eine andere Möglichkeit gehabt haben. Es ist die Rede davon, dass Adidas nur halb so viel für die weitere Partnerschaft mit dem DFB ausgeben wollte wie Nike bereit ist zu zahlen.
Das Handelsblatt schreibt von 50 zu 100 Millionen Euro. Da stellt sich für einen finanziell angeschlagenen Verband wie den DFB kaum noch die Frage, was er tun soll. Und doch ist der Wechsel zum US-Sportgiganten viel mehr als eine nüchterne wirtschaftliche Entscheidung.
Es ist der Abschied von einem Stück deutscher Fußballidentität. Der DFB und Adidas, Adidas und der DFB – das war über Jahrzehnte eine nahezu symbiotische Beziehung. Es gibt niemanden, der sich an ein DFB-Team ohne ein Stück AdidasAusrüstung erinnern kann, weil es seit der Nachkriegszeit keins gab, das Erfolge und Niederlage nicht mit den drei berühmten Streifen entweder am Schuh oder ab den 1980erJahren auf dem Trikot feierte.
Der Sportartikelhersteller wurde mit den Erfolgen der deutschen Fußballer groß und die deutschen Teams triumphierten auch dank der innovativen und besseren Ausrüstung von Adidas. Mindestens für den sensationellen WM-Titel 1954 gilt das. Das Wunder von Bern, das 3:2 im Finale gegen die überlegenen Ungarn, das ein ganzes Land nach dem Krieg in Jubel versetzte, begründete die Partnerschaft von Fußball-Nationalteam und Adolf Dassler, dem Gründer von Adidas.
Wer die Geschichte vom Wunder von Bern nicht von Eltern oder Großeltern mit Gurkenschnittchen und Butterstullen wieder und wieder serviert bekam, der bekam in dem Spielfilm, den zahlreichen Dokumentationen und Artikeln über die Helden von Bern einen Einblick in die Anfänge einer Erfolgsgeschichte. Und so mancheiner hatte den Eindruck, er war 1954 selbst dabei als die leichten, biegsamen und so ganz anders als die damals üblichen Stiefel aussehenden Fußballschuhe samt Schraubstollen von
Adi Dassler die Deutschen auf dem durchweichten Rasen in Bern zum WM-Triumph führten.
Die revolutionären Fußballschuhe, um die Fritz Walter Adi Dassler gebeten hatte, gaben dem Team um Walter, Max Morlock und dem Siegtorschützen Helmut Rahn den entscheidenden Vorteil an diesem Finaltag bei Regen. So erzählen es die Heldengeschichten und nicht zuletzt die Spieler selbst lobten das Schuhwerk. Der Triumph 1954 ist bis heute genauso eng mit den AdidasSchuhen verbunden wie Rahns Tor zum 3:2 oder der legendäre Kommentar dazu. Die Schuhe von 1954 sind ein Stück Fußballgeschichte und für Adidas waren sie der Beginn des Aufstiegs, der auch später stark mit dem Fußball verbunden bleibt.
Der DFB lebte und förderte die enge, emotionale Verbindung zu dem Sportartikelhersteller. Hob die Tradition, die Bedeutung, dass die Trikots deutscher Teams von einem deutschen Unternehmen hergestellt werden, hervor. Der Adidas-Campus wurde zu einer Art zweiten Heimat für die Nationalteams. Dort wurde gemeinsam an Entwicklungen gearbeitet und trainiert. Bei der HeimEM wird der Homeground von Adidas zum Quartier für das DFB-Team.
Deswegen dürfte der Verband kaum überrascht sein von den emotionalen Reaktionen vieler Fans. In Zeiten der Entfremdung zwischen Nationalteam und Fans, in Zeiten, in denen vielen Marketingstrategien und Kommerz eine zu große Rolle im Fußball spielen, sind es die früheren Erfolge und die noch wenigen vorhandenen Traditionen, die die Leidenschaft für diesen Sport noch lodern lassen. Das Nationaltrikot ist daher nicht nur ein Stück Stoff, bei dem es egal ist, welche Farbe es hat und welches Logo darauf prangt. Es ist für den Fußballfan ein Stück Identität. Durchwoben mit Erinnerungen an große Erfolge und bittere Niederlage, nicht selten getränkt von Bier aber eben auch Tränen der Freude und Trauer.
Deswegen wird so leidenschaftlich über jedes neue Trikot-Design diskutiert und gestritten. Deswegen vermag es ein Trikot, ein Zusammengehörigkeitsgefühl Hunderttausender zu schaffen. Deswegen werden ein Trikot, sein Hersteller und das siegreiche Team, das es trägt zum Symbol für einen Aufschwung, einen Freudentaumel einer ganzen Nation. Und deswegen ist auch der Abschied von einem Trikothersteller, der mehr war als eine Marke, eben nicht nur irgendein Wechsel auf ein anderes Logo. Selbst wenn der wirtschaftlich nötig scheint. Damit muss der DFB umgehen, dessen wird sich der DFB aber auch bewusst gewesen sein.
Die Fans haben drei Jahre Zeit, sich vom Adidas-Nationaltrikot zu verabschieden – und dann, das hat die Fußballgeschichte auch gezeigt, werden sie sich bei Erfolgen im NikeTrikot jubelnd in den Armen liegen und neue Erinnerungen schaffen.