Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Mehr Wildnis wagen
Im eigenen Garten ist es einfach, Artenvielfalt und Umwelt zu fördern. Dennoch fällt es vielen schwer.
(dpa) Ein akkurat gekürzter Rasen ist für viele Menschen nach wie vor das Schönheitsideal für ihren Garten. Erste Rasenmäher wurden bereits wieder aus dem Schuppen geholt. „Gras gehört im Frühjahr zu den ersten Pflanzen, die wieder loswachsen“, sagt Margarita Hartlieb von der TU Darmstadt.
Was viele Menschen noch immer als Paradies empfinden – exotische Gewächse wie Kirschlorbeer umrahmen englischen Rasen –, ist für die Natur genau das nicht. „Solche Flächen sind oft artenarm, fast tot“, sagt Sophie Lokatis, Natur- und Artenschutzexpertin bei der Deutschen Wildtier-Stiftung. Leider habe sich das Ideal des möglichst uniformen Zierrasens weltweit ausgebreitet.
Dass Wiesen in Mitteleuropa eigentlich zu den artenreichsten Lebensräumen zählen, lässt sich hierzulande in den meisten Gärten kaum noch erahnen. Jede einzelne Mahd mit einem der überwiegend verwendeten Sichelmäher bedeutet für die Artenvielfalt einen Rückschlag – und viele Menschen kürzen ihren Rasen in der Wachstumssaison allwöchentlich, wenn nicht gar mit einem Mähroboter stetig.
Das betrifft zum einen Pflanzen: „Gras wächst rasch von unten nach, wenn es gemäht wird“, erklärt Lokatis.
„Andere Pflanzen können da nicht mithalten.“Daher gebe es in regelmäßig kurzgeschorenem Rasen überwiegend nur zwei, drei dominierende Grasarten. Zur Blüte schafften es nur noch wenige andere Spezies wie Weißklee und Gänseblümchen, ergänzt Bettina de la Chevallerie, Geschäftsführerin der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 (DGG 1822).
Betroffen sind auch Insekten: Jede Mahd bedeutet den direkten Tod für Insektenlarven, Raupen, Grashüpfer. „Nach einem Mähvorgang sind zum Beispiel etwa 80 Prozent der Heuschrecken tot“, sagt Hartlieb, die am Projekt Biodivkultur für mehr Artenvielfalt auf Grünflächen beteiligt ist. „Insekten werden vom Sichelmäher zerschlagen“, erklärt de la Chevallerie. Hinzu kämen unzählige kleine Lebewesen, die mit den Grashaufen entsorgt werden.
Auch andere Tiere darben: „Zahl und Vielfalt der Singvögel sind in den vergangenen Jahrzehnten parallel zum Insektenschwund gesunken“, sagt Lokatis. Manche Arten seien stetig, zahlreiche andere vor allem bei der Aufzucht der Küken auf Insekten als Nahrung angewiesen. Vielen Menschen ist Experten zufolge gar nicht bewusst, welchen Wert Privatgärten für Biodiversität und Klimaanpassung haben. Nach Angaben des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW ) gibt es etwa 17 Millionen Privatgärten in Deutschland.
Ihre Bedeutung ist gerade deshalb groß, weil urbane Räume im Zuge intensivierter Landwirtschaft und abnehmender Strukturvielfalt im ländlichen Raum wichtige Rückzugsorte für etliche Arten geworden sind. „Bunte und blühende Wiesen sind aus der Kulturlandschaft fast verschwunden“, sagt de la Chevallerie. „Und ein Drittel der urbanen Räume sind Gärten.“
Wie Grünflächen-Expertin Hartlieb sagt, können auf einer natürlichen Blumenwiese von der Fläche eines Basketballfelds etwa 60.000 Insekten leben. Die Förderung der Biodiversität ist für gewöhnlich nicht das entscheidende Kriterium für die Pflanzenwahl in Privatgärten, wie das IÖW in einer 2021 vorgestellten Auswertung schloss. Es gehe eher um Faktoren wie Bodendeckung oder eine bestimmte Blütenfarbe.
Das Projekt „Tausende Gärten – Tausende Arten“bietet inzwischen ein Netzwerk an Gartenmärkten, die heimische Wildstauden produzieren und speziell entwickelte Saatgutmischungen verkaufen. Langsam, aber sicher nehme das Interesse an Naturgärten zu, sagt Gartenexpertin de la Chevallerie. Dem IÖW zufolge kann die eigene biodiversitätsfreundliche Gestaltung großen Einfluss darauf haben, Verwandte und Freunde zu inspirieren. „Man kann dabei auch ganz klein beginnen, mit einer Blumeninsel“, sagt de la Chevallerie. „Jeder Quadratmeter zählt.“