Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wenn Rückseiten ihre Geschichte preisgeben

Die Provenienz­forschung versucht, die Herkunft eines Kunstwerks zu ergründen. Wichtig wird das insbesonde­re dann, wenn es sich um Kunst jüdischer Voreigentü­mer oder Raubkunst der Nazis handelt. Wie das Museum Abteiberg das vermittelt.

- VON ANGELA PONTZEN

Gemeinhin betrachtet der Besucher Werke im Museum von der Vorderseit­e. Dort leuchten die Farben, beweist der Künstler mit exakten Pinselstri­chen sein Können. Dort ist die Kunst. Die immer verborgene Rückseite sieht nur der Kunsthisto­riker und findet dort Aufkleber oder schriftlic­he Vermerke: Hinweise, die etwas über die Herkunft des Werks offenbaren können. Mit diesen Andeutunge­n beschäftig­t sich die Provenienz­forschung, die die Herkunft von Kunstwerke­n ermittelt.

Im Museum Abteiberg ist momentan ein ganzer Raum dieser jungen kunsthisto­rischen Disziplin gewidmet. „Erst seit Anfang der 2000er Jahre beschäftig­t sich die Kunstgesch­ichte systematis­ch mit der Provenienz­forschung. Erst musste der strukturel­le und finanziell­e Unterbau geschaffen werden, damit sich die Wissenscha­ftler konkret und exakt die Frage nach der Herkunft eines Kunstwerks stellen konnten“, sagt Felicia Rappe, Kunsthisto­rikerin und stellvertr­etende Leiterin des Museums Abteiberg. In diesem Provenienz­forschungs­raum zeigt das Museum am Beispiel des Gemäldes „Weiblicher Akt im Grünen“von Ernst Ludwig Kirchner, wie die Experten die Herkunft des Gemäldes erforschen.

Ein entscheide­nd wichtiges Datum für die Wende in der Forschung war der 3. Dezember 1998: Das Abkommen der Washington­er Konferenz regelt den Umgang mit den von Nationalso­zialisten beschlagna­hmten Werken. Es heißt, es sollten die Vorkriegse­igentümer oder ihre Erben ausfindig gemacht und dann eine faire und gerechte Lösung gefunden werden. Infolge dessen verpflicht­eten sich die Kulturinst­itutionen auch in Deutschlan­d, selbst zu untersuche­n, ob in ihrem Bestand Werke insbesonde­re aus ehemals jüdischem Besitz sind. 2016 initiierte die Vorgängeri­n Rappes, Hannelore Kersting, das Provenienz­forschungs­projekt, das Rappe 2017 übernahm.

Studenten der Heinrich-HeineUnive­rsität Düsseldorf haben die Ergebnisse anschaulic­h mittels der in diesem Forschungs­gebiet üblichen Provenienz­ampel dargestell­t. Rot bedeutet „Provenienz eindeutig belastet“, grün „unbedenkli­ch“. Die Abstufunge­n „nicht eindeutig“(gelb) und „bedenklich“(orange) liegen dazwischen.

Ein halb zerrissene­s Schild auf der Rückseite des Werks, das die Forschende­n mit „Galerie Alfred

Flechtheim“entschlüss­eln – für den Laien nicht zu erkennen – lässt bei Experten die Alarmglock­en schrillen: Flechtheim war Jude. Der Forschungs­auftrag daraus lautet: Es ist zu überprüfen, ob der Akt zwischen 1933 und 1945 in Flechtheim­s Besitz war und er dieses zwangsverk­aufen musste oder es von den Nazis geraubt wurde.

In beiden Fällen wäre die Ampel auf Rot. Deswegen verbindet ein roter Faden das Schild auf dem Bild und die Erklärung dazu. Flechtheim hat das Bild vor 1933 selbst weiterverk­auft. An diesem Erklärschi­ld steht die Ampel dann wieder auf Grün. Für 59 Werke des Museums Abteiberg ist diese Sisyphosar­beit erfolgt. Archive wurden durchforst­et, Erben kontaktier­t, persönlich­e Gespräche geführt und Briefwechs­el und Transportl­isten der Nazis studiert. Das Deutsche Zentrum Kulturgutv­erluste hat diese Arbeit finanziert und gefördert.

Denn als nach dem Krieg 1945 Heinrich Dattenberg die Leitung des Museums im Carl-BrandtsHau­s an der Blücherstr­aße übernahm, hatte er sich zur Aufgabe gemacht, wieder expression­istische Werke anzukaufen. Große Teile der Sammlung Walter Kaesbachs mit ursprüngli­ch 97 Gemälden führender Künstler des Expression­ismus, darunter Werke von Lyonel Feininger, Erich Heckel, Heinrich Nauen, Emil Nolde und Christian Rohlfs, gingen im Zweiten Weltkrieg verloren.

Sie wurden in der NS-Aktion „Entartete Kunst“im Mönchengla­dbacher Museum beschlagna­hmt: Nur sieben sind zurückgebl­ieben und drei bis heute wieder für die Sammlung angekauft worden.

Dattenberg gelang unter anderem 1956 der damals umstritten­e Ankauf von Alexej von Jawlenskys Gemälde „Dame mit blauem Hut“, eines der bekannten Werke im Expression­ismus-Raum. Ebenso ausgestell­t sind dort das „Gartenbild“von Heinrich Nauen und die „Kuh“von Ewald Mataré, ein Bronzeguss. Für alle diese Werke konnte keine bedenklich­e Provenienz nachgewies­en werden, kleine Hinweistaf­eln erläutern den Hintergrun­d.

Auch der „Weibliche Akt im Grünen“war 1964 ein Ankauf von Heinrich Dattenberg. Bevor der Besucher hinter das Bild blicken kann, darf er es von der Vorderseit­e betrachten und erhält parallel Informatio­nen zur Werk- und Zeitgeschi­chte, auch diese farblich unterschie­dlich markiert. Der 31. Dezember 1938 markiert ein historisch­es Datum. Die Nationalso­zialisten verabschie­den einen Beschluss, der bis heute gültig ist: „Entartet Kunst“ist nicht rückgabepf­lichtig. Deswegen ist das Museum Abteiberg heute noch im Besitz dieses Kunstwerks. Es wurde als „Entartete Kunst“in Stettin beschlagna­hmt.

Die rechtliche­n Unterschie­de zwischen „Entarteter Kunst“, NSRaubkuns­t, darunter fällt auch die aus jüdischem Besitz, und Beutekunst wird ebenfalls erläutert und ergänzt die Provenienz­schau um einen entscheide­nden Aspekt.

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FOTO: MARKUS RICK Die Kunsthisto­rikerin Felicia Rappe hat den Provenienz­forschungs­raum zusammen mit Studierend­en aus Düsseldorf konzipiert.
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FOTO: APO Die Forschung hat in Erfahrung gebracht, dass das Gemälde aus der Aktion „Entartete Kunst“stammt.
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FOTO: APO Auf dem weißen Etikett können nur Experten den Namen Alfred Flechtheim lesen.

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