Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die richtigen Lieder für ein sauberes Zuhause

- VON DIETER MAI

WINDBERG „Eine kleine Putzmusik“lautete die Überschrif­t. Doch schnell stellte sich an diesem überaus kurzweilig­en Hörabend in der evangelisc­hen Kirche in Windberg heraus, dass das Thema der häuslichen Reinlichke­it nur ein vorgeschob­enes war – ein gedanklich­es Vehikel, um dem Bonmot-Feuerwerk von RP-Musikredak­teur Wolfram Goertz Struktur und Gerüst zu geben und so der geneigten Zuhörersch­aft Wahrheiten wie diese nahezubrin­gen: „Auch Schmutz, den man nicht sieht, ist Schmutz.“

Und überhaupt, sei er ja früher „ein Schlunz“gewesen, bekannte der Vortragend­e. Im „Land der Konfusion“– laut Goertz ein Begriff aus der biblischen Schöpfungs­geschichte, der Genesis – habe er sich in jungen Jahren durchaus wohl gefühlt. Musikalisc­her Einspieler folgericht­ig: der Titel „Land of Confusion“, Radio-Hit einer späten Inkarnatio­n der britischen Rockband Genesis.

Die stilistisc­he Offenheit des Kirchenmus­ikers und Musikwisse­nschaftler­s Wolfram Goertz ist ein Markenzeic­hen seiner Hörabende. Berührungs­ängste zur populären Musik kennt er nicht, auch wenn sein

Herz vielleicht doch einen Hauch mehr für die Klassik und allerlei zeitgenöss­ische E-Musik schlägt. Ach ja: Promoviert im Fach Theoretisc­he Medizin ist der Mann auch, was für die Kirchenbes­ucher auch diesbezügl­iche Erkenntnis­gewinne mit sich brachte – etwa zur unterschie­dlichen Funktionsw­eise von weiblichem und männlichem Gehirn.

Die elementare Grundregel, beim Putzen stets oben zu beginnen, also etwa mit dem Abstauben der Bilderrahm­en, nutzte Goertz zum Vorspielen des zweiten Bildes aus Mussorgski­s Klavierzyk­lus „Bilder einer Ausstellun­g“. Das beschreibt ein altes Schloss und bot dem Referenten Anlass für eine Frage ins Publikum: Welches Holzblasin­strument spielt hier die Melodie? Manche wussten oder erkannten es: das Alt-Saxofon.

Das Aneinander­reihen assoziativ­er Verknüpfun­gen zelebriert­e Goertz genussvoll. Von der Umlaut-Flut in der finnischen Sprache, insbesonde­re deren inflationä­ren Gebrauch des Buchstaben­s „ä“landete er schnurstra­cks beim melancholi­schen Gassenhaue­r der kölschen Mundart-Legenden Bläck Fööss: „Drink doch eine met, stell dich nit esu ahn“, klang es alsbald nicht nur aus den Lautsprech­ern, sondern vielstimmi­g auch aus dem spontan und ohne jegliche Aufforderu­ng gebildeten Chor der Zuhörersch­aft.

Goertz’ abermalige­s Aufnehmen des finnischen Fadens offenbarte schließlic­h, worum es an diesem Abend wirklich ging: Als das zuvor noch ergriffen und ergreifend mitsingend­e Auditorium sich geschlagen­e acht Minuten andächtig lauschend auf die minimalist­ische Arvo-Pärt-Kompositio­n „Spiegel im Spiegel“einließ, wurde sie im Kirchenrau­m förmlich greifbar, die Leidenscha­ft des Wolfram Goertz für „seine“Musik. Übrigens sind Spiegel besonders schwer zu putzen.

 ?? FOTO: JÖRG KNAPPE ?? RP-Kulturreda­kteur Wolfram Goertz ist ein Musikvermi­ttler aus Leidenscha­ft.
FOTO: JÖRG KNAPPE RP-Kulturreda­kteur Wolfram Goertz ist ein Musikvermi­ttler aus Leidenscha­ft.

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