Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Die richtigen Lieder für ein sauberes Zuhause
WINDBERG „Eine kleine Putzmusik“lautete die Überschrift. Doch schnell stellte sich an diesem überaus kurzweiligen Hörabend in der evangelischen Kirche in Windberg heraus, dass das Thema der häuslichen Reinlichkeit nur ein vorgeschobenes war – ein gedankliches Vehikel, um dem Bonmot-Feuerwerk von RP-Musikredakteur Wolfram Goertz Struktur und Gerüst zu geben und so der geneigten Zuhörerschaft Wahrheiten wie diese nahezubringen: „Auch Schmutz, den man nicht sieht, ist Schmutz.“
Und überhaupt, sei er ja früher „ein Schlunz“gewesen, bekannte der Vortragende. Im „Land der Konfusion“– laut Goertz ein Begriff aus der biblischen Schöpfungsgeschichte, der Genesis – habe er sich in jungen Jahren durchaus wohl gefühlt. Musikalischer Einspieler folgerichtig: der Titel „Land of Confusion“, Radio-Hit einer späten Inkarnation der britischen Rockband Genesis.
Die stilistische Offenheit des Kirchenmusikers und Musikwissenschaftlers Wolfram Goertz ist ein Markenzeichen seiner Hörabende. Berührungsängste zur populären Musik kennt er nicht, auch wenn sein
Herz vielleicht doch einen Hauch mehr für die Klassik und allerlei zeitgenössische E-Musik schlägt. Ach ja: Promoviert im Fach Theoretische Medizin ist der Mann auch, was für die Kirchenbesucher auch diesbezügliche Erkenntnisgewinne mit sich brachte – etwa zur unterschiedlichen Funktionsweise von weiblichem und männlichem Gehirn.
Die elementare Grundregel, beim Putzen stets oben zu beginnen, also etwa mit dem Abstauben der Bilderrahmen, nutzte Goertz zum Vorspielen des zweiten Bildes aus Mussorgskis Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“. Das beschreibt ein altes Schloss und bot dem Referenten Anlass für eine Frage ins Publikum: Welches Holzblasinstrument spielt hier die Melodie? Manche wussten oder erkannten es: das Alt-Saxofon.
Das Aneinanderreihen assoziativer Verknüpfungen zelebrierte Goertz genussvoll. Von der Umlaut-Flut in der finnischen Sprache, insbesondere deren inflationären Gebrauch des Buchstabens „ä“landete er schnurstracks beim melancholischen Gassenhauer der kölschen Mundart-Legenden Bläck Fööss: „Drink doch eine met, stell dich nit esu ahn“, klang es alsbald nicht nur aus den Lautsprechern, sondern vielstimmig auch aus dem spontan und ohne jegliche Aufforderung gebildeten Chor der Zuhörerschaft.
Goertz’ abermaliges Aufnehmen des finnischen Fadens offenbarte schließlich, worum es an diesem Abend wirklich ging: Als das zuvor noch ergriffen und ergreifend mitsingende Auditorium sich geschlagene acht Minuten andächtig lauschend auf die minimalistische Arvo-Pärt-Komposition „Spiegel im Spiegel“einließ, wurde sie im Kirchenraum förmlich greifbar, die Leidenschaft des Wolfram Goertz für „seine“Musik. Übrigens sind Spiegel besonders schwer zu putzen.