Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Familie im Wald – Gutachter sagt aus
„Auffällig intensiv“sei das Verhalten des angeklagten Vaters, sagte der Experte im Prozess.
MÖNCHENGLADBACH Im Prozess wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht sowie der Misshandlung Schutzbefohlener hat ein Gutachter den Angeklagten als „an der Grenze zu einer wahnhaften Störung“stehend bezeichnet. Dabei müsse differenziert werden, sagte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Forensischer Psychiatrie.
In seiner religiösen Überzeugung sei der 50-Jährige zwar „auffällig intensiv“, dies jedoch ohne krankhaften Charakter, sagte der Gutachter. Schwierig werde es bei umweltbewussten Themen sowie seinen Ansichten zu Covid-19 und dem von ihm erklärten „Impfzwang“.
Der Angeklagte war mit seiner Familie im Juli 2020 in ein Zelt in einem Waldstück an der ehemaligen Niederrheinkaserne gezogen. Angeblich weil das von seiner fünfköpfigen Familie bewohnte Apartment von Umweltgiften verseucht war. Seit die Polizei sie aufgefunden hat, sind die Kinder in der Obhut des Jugendamtes. Aktuell sind sie in Pflegefamilien untergebracht.
Laut Anklage sollen die Eltern den ältesten Sohn nicht eingeschult haben, alle drei Kinder von Dritten isoliert und sie bei vermeintlichem Ungehorsam mit dem Gürtel geschlagen haben. Laut Gutachter wisse der Familienvater, dass das Züchtigen der Kinder strafrechtlich falsch sei. Der Vater sei der Meinung, sich an die Aussage der Bibel zu halten.
Der Angeklagte hatte eine Untersuchung verweigert. Daher musste sich der Sachverständige auf ein Gutachten in einem Prozess von 2012 wegen Kindesentziehung sowie die Verhaltensbeobachtung im aktuellen Verfahren stützen. Demnach sei der 50-Jährige paranoid, misstrauisch, egozentrisch und habe selbstgerechte sowie zwanghafte Züge: „Er doziert, tritt belehrend auf und setzt sich selbst sehr stark in den Mittelpunkt“, sagte der Sachverständige. Trotz seiner „verzerrten Weltsicht“sei der Mann laut Gutachten in der Lage, sich zu steuern und zu entscheiden, was für ihn richtig sei.
Ein zweiter Sachverständiger erstattete am Donnerstag das kinderpsychiatrische Gutachten. Nachdem die Kinder beim Erstkontakt alle sehr zurückhaltend und still gewesen seien, hätten sie eine relativ rasche und gute Entwicklung durchgemacht, sagte er. Wenn sie nicht im Wald entdeckt worden wären, seien wegen des „Raushalten aus dem normalen sozialen Kontext“sowie der körperlichen Züchtigung Entwicklungsschäden erwartbar gewesen. Letzteres sei bis heute, dreieinhalb Jahre später, Thema. Aktuell sei jedoch bei keinem der drei Kinder eine schwerwiegende psychische Störung erwartbar. Der Prozess wird am 8. Mai fortgesetzt, dann soll auch ein Urteil ergehen.