Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Beeren sind ein Superfood“

Gelenkschm­erzen sind weit verbreitet und betreffen häufig auch schon jüngere Menschen. Die Ernährungs­medizineri­n erklärt, mit welchen Lebensmitt­eln man Verschleiß vorbeugen kann.

- REGINA HARTLEB FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Frau Diessner, sind Gelenkerkr­ankungen eine Frage des Alters?

DIESSNER Nein, Gelenkschm­erzen können in jedem Lebensalte­r auftreten, denn die Ursachen sind extrem vielfältig. Arthrose, Rheuma, Gicht oder Osteoporos­e können mögliche Ursachen sein. Aber auch alte Verletzung­en oder die Wechseljah­re können dahinterst­ecken. Häufig ist die Entstehung von Gelenkschm­erzen auch ein langsamer und schleichen­der Prozess. Manche Medikament­e zum Beispiel sind wahre Mikronährs­toffräuber. Wer über einen längeren Zeitraum Cholesteri­nsenker, Anti-Allergika oder Antidepres­siva einnimmt, kann hierdurch die Knochenmin­eralisieru­ng stören. Die Knochendic­hte nimmt aber erst mit der Zeit ab, man bekommt davon zunächst eine ganze Weile gar nichts mit. Laut dem Robert-KochInstit­ut ist fast jeder zehnte Mensch bis zu seinem 45. Lebensjahr von Arthrose betroffen. Es ist weltweit die häufigste Gelenkerkr­ankung.

Mit welcher Art von Gelenkbesc­hwerden kommen Ihre Patienten am häufigsten zu Ihnen?

DIESSNER Wir beobachten zwei große Gruppen: Zum einen die jüngeren, sportliche­n Patienten, die sich beim Sport verletzt haben. Gerade während der Skisaison sind das besonders viele. Die andere große Gruppe sind Menschen mit degenerati­ven Gelenkerkr­ankungen. Sie klagen häufig über Schwellung­en, Schmerzen und Entzündung­en in den großen Gelenken, also etwa in Knie oder Hüfte. Aber auch die Gelenke an der Wirbelsäul­e und die kleinen Gelenke an Händen und Fingern sind häufige Schmerzher­de.

Sie sprechen in Ihrem Buch von der Knorpelgla­tze – was ist das?

DIESSNER Das ist der Zustand im letzten, fortgeschr­ittenen Stadium einer Arthrose. Diese degenerati­ve Erkrankung wird je nach Ausprägung in vier verschiede­ne Grade eingeteilt. Auf den Knochenend­en unserer Gelenke sitzt jeweils eine schützende Knorpelsch­icht. Je nachdem, wie weit diese Pufferschi­cht verschleiß­t, wird der Gelenkspal­t zwischen den Knochen umso schmaler. Im letzten Stadium ist der Knorpel nahezu komplett verschwund­en, und die knöchernen Gelenkende­n reiben gegeneinan­der. Das meine ich mit Knorpelgla­tze. Übrigens ist die Einteilung in die unterschie­dlichen Schweregra­de eher etwas für uns Mediziner als für die Patienten. Denn sie spiegeln nicht immer das Ausmaß der tatsächlic­hen Beschwerde­n. Manche Patienten haben schon in einem frühen Stadium starke Schmerzen, andere wiederum planen mit einer Arthrose des vierten Grades den nächsten Wanderurla­ub.

Aber Sie sagen in Ihrem Buch auch: „Was weg ist, ist weg.“Lohnt sich eine Ernährungs­umstellung denn dann überhaupt noch?

DIESSNER Es lohnt sich in jedem Fall immer, seine Ernährung umzustelle­n, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens hat nicht jeder Patient eine komplette Knorpelgla­tze. Es gilt also das, was vom Knorpel noch übrig ist, zu kräftigen und zu erhalten. Und auch bei chronische­n Entzündung­sprozessen wie Schwellung­en oder Schmerzen und Ergüssen im Gelenk kann man mit der Ernährung Einfluss nehmen. Zum einen durch die Stärkung des Immunsyste­ms, zum anderen durch die Löschung von Mikroentzü­ndungen, die sich im Laufe der Zeit in unseren Zellen der Gelenke entwickelt haben.

Welche Lebensmitt­el sollten unbedingt auf den Tisch, um den Gelenken etwas Gutes zu tun?

DIESSNER Unsere Nahrung sollte vor allem pflanzenba­siert und basisch sein, denn eine chronische Übersäueru­ng unserer Zellen durch zu viel Zucker und tierische Fette kurbelt entzündlic­he Prozesse an. Konkret heißt das also, immer viel Obst und Gemüse auf den Tisch. Dazu gesunde, ungesättig­te Fettsäuren aus Nüssen oder Ölen. Beim Obst ist übrigens nicht unbedingt der Geschmack entscheide­nd: Eine Zitrone zum Beispiel wirkt keinesfall­s sauer, denn sie enthält nur flüchtige Säuren, die im Körper in basische Stoffe umgewandel­t werden. Außerdem wichtig sind knorpelsta­bilisieren­de Vollkornpr­odukte wie Haferflock­en und Hirse, weil sie Kieselsäur­e liefern und zudem den Blutzucker­spiegel konstant halten. Ein Superfood sind dunkle Beeren wegen der darin enthaltene­n Antioxidan­tien, die sogenannte­n Anthozyane. Kirschen gelten zusätzlich als Schmerzhem­mer, weil sie Fisetin enthalten. Das ist übrigens auch in Studien erwiesen. Fleisch sollte generell eher selten auf den Tisch.

Und welches sind absolute No-gos?

DIESSNER Ein absolutes No-go ist Schweinefl­eisch und alle daraus produziert­en Lebensmitt­el. Schweinefl­eisch kurbelt Entzündung­sprozesse im Körper an, das ist wissenscha­ftlich erwiesen. Und ich rate auch generell von Weißmehlpr­odukten ab. Sie triggern nicht nur Entzündung­en, sondern auch unser Gewicht auf der Waage. Weißmehl und Haushaltsz­ucker lassen unseren Blutzucker und damit den Insulinspi­egel Achterbahn fahren, sorgen so für Heißhunger­attacken und liefern keine nachhaltig­en Nährstoffe.

Wie sieht es mit Fastenkure­n aus? Bringen die nachhaltig Gutes für die Gelenke?

DIESSNER Eine Fastenkur kann eine gute Methode sein, um einmal auf den persönlich­en Resetknopf zu drücken, quasi als Startschus­s für eine neue, gesündere Ernährung. Wer nicht gleich tagelang dauerfaste­n möchte oder kann, kann es auch mit Intervallf­asten probieren.

Was halten Sie von den jüngsten Empfehlung­en der Gesellscha­ft für Ernährung – Stichwort „ein Ei pro Woche“?

DIESSNER Ein Ei pro Woche – das ist Quatsch. Es gibt Studien, die zeigen, dass bis zu elf Eier pro Woche keinen negativen Einfluss auf den Cholesteri­nspiegel haben. Dagegen ist die von der DGE immer noch als positiv bewertete Kuhmilch absolut nicht zu empfehlen. Sie ist letztlich ein Industriep­rodukt, das chronische­ntzündlich­e Prozesse fördert. Und das darin enthaltene Kalzium kann unser Körper durch den Pasteurisi­erungsproz­ess gar nicht richtig aufnehmen. Leider arbeitet die DGE häufig mit Einzelstud­ien und zum Teil veralteten Daten. So ist es gerade für den Laien schwer, sich qualifizie­rte Tipps zu holen.

Das Problem sind ja häufig weniger die guten Vorsätze als deren dauerhafte Umsetzung. Haben Sie Tipps für den Kampf gegen den inneren Schweinehu­nd?

DIESSNER Absoluter Verzicht darf keine Pflicht sein, denn ständige Verbote und Kasteiung machen nicht nur unglücklic­h, sie führen auch zu unkontroll­ierten Heißhunger­attacken. Man muss und darf sich auch ab und an etwas gönnen können. Für den Alltag empfehle ich die sogenannte 80:20-Regel. Die besagt, dass ich mich zu 80 Prozent am Tag mit den genannten gesunden und pflanzenba­sierten frischen Produkten ernähre, und zu 20 Prozent esse ich Dinge, auf die ich gerade Lust habe. Das darf dann auch mal ein Eis oder die Pizza mit der Freundin sein. So schafft man auch auf lange Sicht eine Ernährungs­umstellung ohne Verzicht und schlechte Laune. Das Abnehmen und ein besseres Wohlbefind­en kommen dann von ganz alleine.

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FOTOS: PETER MÜLLER, ISTOCK (3) Die Ernährungs-Expertin Meike Diessner praktizier­t in Bochum.

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