Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Was kommt nach dem Tagebau?“
Das bevorstehende Ende des Braunkohletagebaus in Garzweiler bedeutet auch für die Anrainergemeinden eine tiefgreifende strukturelle Transformation. Welche Rolle bei den Entwicklungen in den Gemeinden dabei dem Artenschutz zukommt, klären die Jugendforumsm
Wie arbeiten die Anrainergemeinden von Garzweiler bei der Bewältigung der großen Herausforderungen des Strukturwandels zusammen?
Andreas Bräuer Die Zusammenarbeit ist wirklich sehr wichtig. Der Grund dafür ist einfach: Der Tagebau hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht vor den Grenzen einer Stadt oder Gemeinde Halt gemacht. Genauso ist es jetzt bei der Gestaltung der Zukunft. Deshalb haben wir gemeinsam 2017 den Zweckverband Landfolge Garzweiler gegründet. Unsere Mitglieder sind Mönchengladbach, Erkelenz, Jüchen, Grevenbroich und Titz. Der Name unseres Verbandes klingt kompliziert, beschreibt aber genau unsere Aufgabe: Die Gestaltung der Tagebaufolgelandschaft und damit natürlich auch den Strukturwandel für mehr als 400.000 Menschen und die Unternehmen vor Ort. Die Frage lautet doch: Was kommt nach dem Tagebau? Das wird uns jetzt viele Jahrzehnte gemeinsam beschäftigen.
Der Strukturwandel im Braunkohlerevier Garzweiler ist vor allem ein tiefgreifender ökonomischer Transformationsprozess. Können seitens der Anrainergemeinden dabei ökologische Aspekte wie der Artenschutz überhaupt hinreichend berücksichtigt werden?
Barbara Weinthal Die großräumige und Jahrzehnte andauernde Landschaftstransformation durch den Tagebau bedeutet für die hier lebenden Arten eine deutliche Zäsur. Lebensräume und Angebote für den Artenschutz zu schaffen, ist daher bereits seit Jahrzehnten eine Aufgabe, die den Tagebau begleitet. Als vom Abbau betroffene Kommune, die als kreisfreie Stadt auch die Aufgabe der unteren Naturschutzbehörde innehat, befassen wir uns schon lange damit, den durch den Tagebaueingriff betroffenen Arten im Stadtgebiet neue Habitate zu bieten. Zunächst gilt es, die Bestände von Arten im Tagebauvorfeld zu erfassen, dann gilt es im Umfeld des Tagebaus artgerechte Ersatzlebensräume zu schaffen. Wir gehen dabei so vor, dass wir die im Landschaftsplan festgesetzten Ziele mit den Artenschutzzielen zusammendenken und dann die Maßnahmen in der Landschaft umsetzen. So wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel folgende Maßnahmen schwerpunktmäßig umgesetzt: Bereitstellung hunderter Fledermausquartiere im Buchholzer Wald und im Finkenberger Bruch in Verbindung mit begleitenden ökologischen Auswertungsmaßnahmen im Umfeld beider Gebiete zur Schaffung von Ersatzlebensräumen für das Braune Langohr. Durch die Integration in die Maßnahmen des Landschaftsplans werden damit keine isolierten Standorte geschaffen, sondern es werden breite ökologische und artenschutzmäßige Korridore geschaffen, die die großen Grünbereiche miteinander verbinden. Bei uns sind das der Niersgrünzug, der unmittelbar an den Tagebau anschließt und im Westen der Stadt der Naturpark Schwalm-Nette. Die Planungen des Zweckverbands nehmen diese Zielsetzungen auf und duplizieren sie, in dem sie den Artenschutz im blau-grünen Band, in der Rekultivierung und in der Seeplanung integrieren und so eine Anbindung an die jeweiligen ökologischen Korridore der Anrainer rund um den Tagebau gewährleisten.
Welches sind die zurzeit wichtigsten Projekte der Anrainergemeinden mit Blick auf Strukturwandel und Artenschutz?
Weinthal
Ich kann hier nur für die
Stadt Mönchengladbach sprechen, da der Artenschutz keine gemeindliche Aufgabe, sondern eine Aufgabe der unteren Naturschutzbehörden ist und diese sind im Zweckverband die untere Naturschutzbehörde des Rhein-Kreises Neuss, des Kreises Heinsberg und des Kreises Düren. Als kreisfreie Stadt haben wir auch die Aufgabe der unteren Behörde. Wir versuchen als untere Naturschutzbehörde den Spagat vor allem vor dem Hintergrund qualitätsvoller Landschaftsentwicklung mit Lebensraumvielfalt und Lebensraumvernetzung vor dem Hintergrund der Flächenkonkurrenz zu bestehen. Dabei haben wir schon viel geschafft, aber auch noch große Aufgaben vor uns. Zentrale Projekte sind zur Zeit die Renaturierungen an Mühlenbach und Knippertzbach, die für Ökologie, Artenschutz und Hochwassermanagement/ Starkregenmanagement gleichermaßen gut sind, das Projekt „Wege und Raine
– Leben in der Landschaft“, das wir mit dem Landschaftsverband Rheinland und der Biologischen Station Wildenrath durchführen sowie Maßnahmen im Rahmen des städtischen Vertragsnaturschutzes, die vor allem den geschützten Arten in den landwirtschaftlich geprägten Freiräumen zugutekommen. Bräuer Seit Gründung unseres Verbandes haben wir viele verschiedene Projekte entwickelt, die ganz unterschiedliche Aspekte abdecken. Speziell die Themen Artenschutz und Biodiversität spielen bei der Rekultivierung, also auf den neu entstehenden Flächen, eine Rolle. Zunächst ist das Aufgabe von RWE als Bergbautreibende. RWE hat eine eigene Biodiversitätsstrategie, die gezielt die Artenvielfalt in der Rekultivierung und auf den Artenschutzflächen fördert. Umgesetzt wird die Strategie von der Forschungsstelle Rekultivierung, die seit Jahrzehnten viel Erfahrung im Bereich der Rekultivierung und der Förderung von Biodiversität hat. Da entstehen ganz unterschiedliche Landschaften, vor allem strukturreiche Acker- und Waldflächen, aber auch Sonderbiotope und Gewässer. Unterschiedliche Lebensräume bringen Vielfalt bei Tieren und Pflanzen. Wir selbst entwickeln als Verband zum Beispiel rund um den Tagebau das Blau-Grüne Band Garzweiler. Das beinhaltet Flächen für Artenschutz und Biodiversität, die wir unter anderem aber mit landwirtschaftlichen Nutzungen und auch einem Radweg rund um den Tagebau verbinden. Das ist ein Beispiel für unsere Arbeit. Daneben haben wir Projekte zum Ausbau erneuerbarer Energien, zum nachhaltigen, ressourceneffizienten Bauen und zur Schaffung eines überörtlichen Radwegenetzes von Aachen bis Mönchengladbach und bis vor die Tore von Köln und Düsseldorf. Mittendrin, dort wo jetzt noch ein Tagebau ist, entsteht ein großer See, der auch viele Nutzungen zulässt und die Landschaft prägen wird. Hierfür machen wir eine so genannte Masterplanung und entwickeln Nutzungskonzepte zusammen mit unseren Mitgliedskommunen. Auch dabei spielt das Thema Naturschutz eine Rolle.