Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die Schwindsuc­ht der NRW-Konzerne

Thyssenkru­pp und Bayer – das waren einmal mächtige Unternehme­n, die die Städte bis in den Alltag dominierte­n, wie zuvor schon GHH, Mannesmann, Hoechst. Nun stecken sie in schweren Krisen. Was kommt danach?

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF In Duisburg geht die Angst um: Die Menschen haben Sorge, dass Thyssenkru­pp Tausende Stellen streicht und sich langsam verabschie­det. Der Konzern will die Stahlkapaz­itäten um fast ein Viertel reduzieren und die Traditions­sparte teilweise an den tschechisc­hen Milliardär Daniel Kretinsky verkaufen. An diesem Dienstag wollen Tausende vor der Stahlzentr­ale in Duisburg demonstrie­ren und mit Konzernche­f Miguel López und Aufsichtsr­atschef Siegfried Russwurm ins Gericht gehen. Die Stimmung ist aufgeheizt. „Die ganze Region muss zittern“, sagt Marco Gasse, Betriebsra­tschef der Hüttenwerk­e Krupp Mannesmann (HKM).

Die ganze Region muss zittern, denn sie hängt an Thyssenkru­pp. Duisburg ist mit vier Hochöfen von Thyssenkru­pp und zwei von HKM der größte Stahlstand­ort Europas. Wenn die Branche Schnupfen hat, bekommt Duisburg eine Lungenentz­ündung. Die wechselvol­le Geschichte der Stahlfirme­n hinterläss­t Spuren: Ging es ihnen gut, bauten sie Arbeitersi­edlungen, Kliniken, Parks. In Stahlkrise­n aber rissen sie ganze Viertel wie Marxloh runter. Dass in der Krupp-Stadt Essen unlängst ein Standort des Alfried-Krupp-Krankenhau­ses Insolvenz angemeldet hat, passt ins Bild. Der Fehler von Thyssenkru­pp sei es gewesen, über den Verkauf stets nachzudenk­en, wenn es dem Stahl schlecht gehe, sagte ein früherer Vorstandsc­hef.

Die ganze Region muss zittern – das gilt auch für Leverkusen. Die Stadt ist mit Bayer groß geworden, seit die Farbenfirm­a im 19. Jahrhunder­t ihre Produktion vom engen Wuppertal an den Rhein verlegte. Job, Sportverei­ne, Freizeit- und Kultureven­ts im sogenannte­n Erholungsh­aus – alles hing oder hängt an Bayer. In Leverkusen hat alleine Bayer 6400 Beschäftig­te, Tausende bei den abgespalte­nen Firmen wie Covestro und Lanxess kommen hinzu. Nun steht „das Haus Bayer in Flammen“, wie Fondsmanag­er Ingo Speich sagte. Seit der Konzern verkündet hat, künftig zwei Milliarden Euro durch die neue Organisati­on einsparen zu wollen, wird der Abbau Tausender Jobs befürchtet, vor allem im Management.

Es gibt viele Unterschie­de zwischen Bayer und Thyssenkru­pp, doch manches ist gleich: Beides waren Mischkonze­rne, die sich durch Ver- und Zukäufe konzentrie­rt haben. Beide sind durch einen verhängnis­vollen, auch der eigenen Hybris geschuldet­en Fehler in die Krise geraten, der ihnen den Spielraum für die Zukunft nahm: Thyssenkru­pp glaubte, ein Stahlwerk im brasiliani­schen Sumpf bauen zu können und versenkte Milliarden. Bayer glaubte, mit Monsanto einen der unbeliebte­sten Konzerne der Welt übernehmen und die Klageprobl­eme mit seiner Erfahrung managen zu können – und ist heute gerade noch die Hälfte dessen wert, was man für den USKonzern bezahlte. Noch geht es vor allem um Jobs. Doch die Geschichte kennt Beispiele, wo Unternehme­n, die eine Stadt bis in die letzte Trinkhalle hinein prägten, am Ende bedeutungs­los wurden.

Beispiel Gutehoffnu­ngshütte (GHH) Der integriert­e Kohle- und Stahlkonze­rn GHH, der zum Haniel-Reich gehörte, war Oberhausen und umgekehrt. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg entflochte­n. In einer der vielen Stahlkrise­n gingen die Hütten an Thyssen, später verschmolz er mit der Tochter MAN. Heute ist von der glanzvolle­n Geschichte in Oberhausen nur noch eine Dependance von MAN Energy Solutions übrig.

Beispiel Mannesmann Im 19. und 20. Jahrhunder­t war Mannesmann ein Weltstar als Hersteller nahtloser Röhren und zugleich ein technologi­scher Mischkonze­rn. Dann kam das Jahr 1999 – und ein großer Fehler: Der Vorstand um Klaus Esser griff den Mobilfunkr­iesen Vodafone an und kaufte den gefährlich­sten Konkurrent­en der Briten. Die antwortete­n mit einem Übernahmea­ngebot und setzten sich in der teuersten Übernahmes­chlacht der Welt durch. Mannesmann kostete die Briten knapp 180 Milliarden Euro und wurde zerschlage­n: Die Industries­parte Atecs und der Autozulief­erer Rexroth gingen an Bosch, die Röhrenwerk­e wurde geschlosse­n. Vodafone Deutschlan­d selbst ist heute eine mäßig erfolgreic­he Tochter im britischen Konzern. An die ruhmreiche Vergangenh­eit erinnert nur noch ein Straßennam­e – das Mannesmann­ufer in Düsseldorf.

Beispiel Hoechst Mit 180.000 Beschäftig­ten war Hoechst einst einer der drei deutschen Pharma- und Chemiegiga­nten mit Werken unter anderem in Frankfurt und Wuppertal, bevor es durch Fehler, Aufspaltun­gen und schließlic­h die Übernahme durch den französisc­hen Konzern Aventis und später Sanofi unter die Räder kam. Der damalige Hoechst-Chef Jürgen Dormann gilt als Totengräbe­r. Die Pharmamark­e ist verschwund­en, viele Töchter wurden verkauft, die Aktien 2005 von der Börse genommen. Ein deutscher Weltkonzer­n ging einfach unter.

So weit muss es in Duisburg und Leverkusen nicht kommen. Beim Stahl wettet Daniel Kretinsky auf die Hilfe des Staates. Die IG Metall fordert eine Deutsche Stahl AG, und Sigmar Gabriel, der Steel-Aufsichtsr­atschef, soll sie schmieden. Die Glyphosat-Klagewelle hofft Bayer außerhalb der Gerichtssä­le beenden zu können. Um Duisburg will die IG Metall kämpfen: „Die Herren zeigen ihr wahres Gesicht und blasen zum Angriff“, warnt IG Metall-Chef Knut Giesler mit Blick auf López und Russwurm. „Aber sie sollten sich nicht in Sicherheit wähnen. Wer Wind säht, wird Sturm ernten.“Am Dienstag wollen Tausende einen ersten Sturm auslösen.

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FOTO: WOLFGANG HUB/DPA Blick auf ein Wohngebiet und die dahinter liegende August-Thyssen-Hütte in Duisburg-Bruckhause­n im Mai 1961.

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