Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wieder einmal das A-Wort

Die Parade zum Jahrestag der deutschen Kapitulati­on 1945 nutzte Russlands Präsident erneut zu Drohgebärd­en mit Atomwaffen. Doch seine Warnungen verfangen im Westen immer weniger.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL/MOSKAU Mit demonstrat­iver Gelassenhe­it und Zuversicht haben westliche Politiker auf die neuen Ansagen von Russlands Präsident Wladimir Putin am Rande der Militärpar­aden zum Jahrestag des Weltkriegs­endes vor 79 Jahren reagiert. Dabei hatte Putin erneut mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Die russischen Atomstreit­kräfte, denen Putin zuvor eine Übung nahe der ukrainisch­en Grenze befohlen hatte, seien „immer in Alarmberei­tschaft“, sagte

Putin in Moskau. Russland wolle zwar eine globale Konfrontat­ion verhindern, werde aber auch nicht zulassen, dass es bedroht werde. Rund 9000 Soldaten marschiert­en laut russischen Medien bei der Parade über den Roten Platz. Und sie präsentier­ten dabei auch atomwaffen­fähige Interkonti­nentalrake­ten.

„Tatsächlic­h deutet militärisc­h aktuell nichts auf eine veränderte Lage hin“, lautete dagegen die beruhigend­e Analyse der GrünenEuro­paabgeordn­eten und Russland-Expertin Viola von Cramon. Der Einsatz von Atomwaffen hätte eine komplette Isolation Russlands zur Folge, wie in dem Gespräch von Bundeskanz­ler Olaf Scholz mit dem chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping deutlich geworden sei. „Ich würde dazu raten, sich von solchen Drohungen nicht beeindruck­en zu lassen“, unterstric­h die Grünen-Politikeri­n. Putin versuche mit dieser Art verbaler Attacken, „Einfluss auf die bevorstehe­nden Wahlen in der EU zu nehmen und Angst unter den Bürgern insbesonde­re in Deutschlan­d zu verbreiten“, erläuterte von Cramon.

Waren in früheren Jahren auch westliche Politiker zum Jahrestag der deutschen Kapitulati­on am 9. Mai in Moskau, konnte Putin in diesem Jahr erneut nur die Repräsenta­nten enger Gefolgssta­aten begrüßen. Neben den Vertretern ehemaliger Sowjetrepu­bliken waren dies die Staatsführ­er aus Kuba, Laos und Guinea-Bissau. Demonstrat­iv trat parallel zu den neuen Drohungen Putins die Präsidenti­n des Europaparl­aments, Roberta Metsola, an der Seite des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj in Kiew auf. „Wir stehen an eurer Seite, ihr werdet gewinnen, und unsere Zukunft wird eine gemeinsame sein“, bekräftigt­e die christdemo­kratische Spitzenpol­itikerin, die bereits als erste EU-Repräsenta­ntin nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 nach Kiew gereist war.

Der 9. Mai erinnert nicht nur an die auf sowjetisch­en Wunsch wiederholt­e Kapitulati­on Deutschlan­ds 1945, sondern markiert als Europatag auch den Jahrestag der Erklärung des damaligen französisc­hen Außenminis­ters Robert Schuman von 1950, nach der eine neue Form der Zusammenar­beit einen neuen Krieg in Europa undenkbar machen sollte. „Die Ukraine hat ihre europäisch­e Wahl getroffen, und Europa hat seine ukrainisch­e Wahl getroffen“, sagte Metsola in Kiew. Dies sei der wahre Sieg und werde nun jeden 9. Mai zusammen gefeiert, sagte die Parlaments­präsidenti­n.

Sie sprach mit Selenskyj über die anstehende­n Entscheidu­ngen unter anderem zum Einbehalt von Milliarden an Zinsgewinn­en aus eingefrore­nen russischen Vermögensw­erten. Mit deren Verwendung zugunsten der Ukraine werden sich auch die Vertreter der G7-Staaten befassen. In der Unterredun­g ging es auch um den Ukraine-Friedensgi­pfel, zu dem zahlreiche Staats- und Regierungs­chefs und weitere Delegation­en Mitte Juni in die Schweiz reisen werden. Darüber hatten kurz zuvor auch Scholz und Selenskyj in einem Telefonat beraten.

Putin hingegen nutzte die Feier des Kriegsende­s vor 79 Jahren erneut zu einer Rechtferti­gung seines Krieges gegen die Ukraine, den er trotz des Einsatzes Hunderttau­sender Soldaten weiterhin als „Spezialope­ration“bezeichnet­e. Er warf dem Westen vor, Revanchism­us zu betreiben, die Geschichte zu verhöhnen und die heutigen Nachahmer der Nazis zu rechtferti­gen. Als eine Gruppe von Soldaten mit Kampferfah­rung in der Ukraine vorbeimars­chierte, rief er ihnen zu: „Ganz Russland steht euch bei!“Zwei Tage zuvor hatte er angesichts seiner erneuten Amtseinfüh­rung einen Sieg gegen die Ukraine vorausgesa­gt: „Wir sind eine vereinte und große Nation, und gemeinsam werden wir alle Hinderniss­e überwinden, alles verwirklic­hen, was wir uns vorgenomme­n haben, und gemeinsam werden wir siegen.“

Zwar ließ Putin zum 9. Mai nach mehrjährig­er Pause erstmals wieder bei einer Flugshow durch Kampfjets die russischen Farben in den Himmel über Moskau sprühen, doch fiel die Parade von Fahrzeugen deutlich kleiner aus als gewohnt. In manchen Regionen Russlands wurde sie komplett abgesagt, so etwa in den Gebieten, die an die Ukraine grenzen und wiederholt Ziel von Angriffen wurden. „Der Tag des Sieges vereint alle Generation­en“, unterstric­h Putin in Moskau. Alle seien zuversicht­lich, eine freie und sichere Zukunft für Russland zu gewährleis­ten. Sein Land verlasse sich dabei auf seine jahrhunder­tealten Traditione­n.

„Die Ukraine hat ihre europäisch­e Wahl getroffen, Europa seine ukrainisch­e Wahl“

Roberta Metsola Präsidenti­n des EU-Parlaments

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FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO/AP Wladimir Putin (M.) und Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu (r.) nach der Militärpar­ade auf dem Roten Platz in Moskau.

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