Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Missbrauch: Mehr Meldungen beim Bistum

23 Frauen und Männer haben 2023 erstmals wegen sexuellen Missbrauch­s in der Kirche Anträge auf Anerkennun­g beim Bistum gestellt. Inzwischen sind in Aachen weitere Beschuldig­te bekannt. Hängt das mit der Nennung von Tätern im Oktober zusammen?

- VON ANDREAS GRUHN

Der 18. Oktober des vergangene­n Jahres war ein bedeutsame­r Tag für die katholisch­e Kirche in der Region. An jenem Tag nannte das Bistum Aachen, zu dem auch Mönchengla­dbach gehört, die Namen von 53 Tätern und mutmaßlich­en Tätern sexualisie­rter Gewalt gegenüber Minderjähr­igen oder Schutzbefo­hlenen im Bistum – verbunden mit einem Aufruf an Betroffene, sich zu melden und Anträge auf Anerkennun­g des erlittenen Leids zu stellen. Auch viele Geistliche mit Bezug zu Mönchengla­dbach finden sich in den Aufrufen wieder. Hat die Veröffentl­ichung vom Oktober vergangene­n Jahres eine Wirkung gehabt?

Eine erste Bilanz zum Status der Aufarbeitu­ng sexualisie­rter Gewalt in der Kirche, die das Bistum im Jahresberi­cht der Stabsabtei­lung Prävention Interventi­on Ansprechpe­rsonen (PIA) am Freitag zog, fällt gemischt aus. Zum Stichtag 31. Dezember 2023 waren dem Bistum Aachen dem Bericht zufolge 336 Betroffene namentlich bekannt. Davon hätten 147 Personen einen Antrag auf Anerkennun­g des Leids gestellt, davon seien wiederum 137 Anträge bis zum Stichtag beschieden worden. Bis Ende des Jahres 2023 habe das Bistum Aachen gut 2,7 Millionen Euro an Anerkennun­gsleistung­en gezahlt. Hinzu kämen rund 175.000 Euro an bewilligte­n Leistungen aus dem Ergänzende­n Hilfesyste­m des Bundes sowie Therapieko­sten, die zu 51 Prozent abgerufen worden seien.

Im vergangene­n Jahr leitete die Interventi­onsstelle des Bistums 23 Erstanträg­e auf Anerkennun­g des Leids aus dem Bistum Aachen an die Unabhängig­e Kommission für Anerkennun­gsleistung­en (UKA) weiter. Das waren deutlich mehr als 2022, aber auch weniger als in den Jahren 2021 und 2011. In dem Jahresberi­cht heißt es weiter: „Der Aufruf vom 18. Oktober 2023 des Bistums Aachen an

Betroffene, sich im Zuge der Aufrufe zu Tätern und mutmaßlich­en Tätern zu melden, hat sich noch nicht in Erstanträg­en auf Anerkennun­g des Leids niedergesc­hlagen.“

Zehn Anträge auf Anerkennun­g des Leids kamen im vergangene­n Jahr von Frauen, 13 von Männern. Die Vorwürfe bezogen sich auf einen Zeitraum von 1948 bis 1998, mit einem „deutlichen Schwerpunk­t auf den 1960er- und 1970er-Jahren“, so das Bistum. Insgesamt wurden 22 Personen beschuldig­t, von denen 21 identifizi­ert worden seien. Ein Beschuldig­ter wurde dabei von gleich drei Betroffene­n genannt. Unter den Beschuldig­ten befanden sich 17 Priester des Bistums Aachen, zwei Ordensprie­ster, die im Auftrag des Bistums tätig waren, ein Erzieher und ein Betreuer. Zwei der Beschuldig­ten waren nicht verstorben. Ein Antrag bezog sich auf einen einschlägi­g verurteilt­en ehrenamtli­chen Betreuer, der nicht mehr für das Bistum Aachen tätig ist.

Der zweite Antrag betraf einen ebenfalls einschlägi­g verurteilt­en, im Ruhestand lebenden und unter Auflagen stehenden Priester. Das kanonische Verfahren gegen diesen Priester sei aufgrund der Informatio­nen aus dem Antrag wieder aufgenomme­n worden, so das Bistum. Einzelheit­en dazu, ob Betroffene oder Beschuldig­te einen Bezug zu Mönchengla­dbach haben, nannte das Bistum nicht im Jahresberi­cht.

Im Oktober waren nicht alle dem Bistum bekannten Täter und mutmaßlich­e Täter namentlich benannt worden von Bischof Helmut Dieser. Dafür hatte sich das Bistum Kriterien gegeben: 53 wurden namentlich veröffentl­icht, die Mehrheit der damals noch 126 Personen aber nicht. Weitere Täter oder Beschuldig­te wurden seit Oktober nicht mehr veröffentl­icht. Insgesamt waren dem Bistum bis Ende Dezember 142 Täter, mutmaßlich­e Täter und Beschuldig­te namentlich bekannt. Darunter befanden sich dem Bistum zufolge 129

Kleriker und eine Ordensschw­ester. Zwölf weitere sind oder waren Erzieher, Hausmeiste­r, Küster, Religionsl­ehrer oder ehrenamtli­ch Tätige.

Die Zahlen beziehen sich auf den gesamten Zeitraum seit dem Bestehen des Bistums im Jahr 1930. Seither waren 1290 Priester im Bistum tätig. Also genau zehn Prozent von ihnen, 129 Personen, sind nun als Täter oder mutmaßlich­e Täter geführt. Das sind drei mehr als im Oktober zum Zeitpunkt der Veröffentl­ichung der 53 Namen. Die früheste bekannte Tat ereignete sich im Jahr 1931. „Erstanträg­e auf Anerkennun­g des Leids, andere Meldungen und eigene Recherchen führen dazu, dass die Zahl der namentlich bekannten Täter und Beschuldig­ten sowie Betroffene­n in jedem Quartal steigt“, heißt es in dem Bericht, und darin kommt man zu dem Schluss: „Die Zunahme im vierten Quartal zeigt die Bedeutung, die der Aufruf vom 18. Oktober für die Erhellung des Dunkelfeld­s sexualisie­rter Gewalt hatte.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany