Rheinische Post Opladen

Das Netzwerk der Putin-Versteher

- VON MATTHIAS BEERMANN

DÜSSELDORF Es ist ein deutscher Sonderweg: Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele prominente Fürspreche­r russischer Befindlich­keiten und Interessen. Nirgendwo sonst wird Wladimir Putins neo-imperiale Politik mit so viel Milde beurteilt. Und nirgendwo sonst sind seine Freunde so gut vernetzt. Angeführt wird der Club der Putin-Versteher von Gerhard Schröder (SPD), vormals Bundeskanz­ler, jetzt auf der Gehaltslis­te der Nord Stream AG, die wiederum mehrheitli­ch dem vom Kreml kontrollie­rten GazpromKon­zern gehört. Aber Schröder ist nicht allein. Ein weit verzweigte­s, gut verdrahtet­es Netzwerk von Stiftungen, Lobby-Gruppen, selbst ernannten Russland-Experten, Managern sowie noch aktiven oder in Ehren ergrauten Spitzenpol­itikern transporti­ert hierzuland­e die Argumente Putins.

Wirtschaft­sinteresse­n spielen dabei eine enorme Rolle. Deutsche Unternehme­n sind prächtig im Geschäft mit Russland, und ihr Lobby-Verein, der „Ostausschu­ss der deutschen Wirtschaft“, wehrt sich reflexarti­g gegen Kritik am Kreml, sobald diese die lukrative, über viele Jahre gehegte Beziehung gefährden könnte. Der Ostausschu­ss kofinanzie­rt außerdem Show-Veranstalt­ungen wie den 2001 von Putin und Schröder initiierte­n „Petersburg­er Dialog“, einen elitären Zirkel, der den zivilgesel­lschaftlic­hen Dialog zwischen Deutschlan­d und Russland fördern soll, der aber vor allem der Beweihräuc­herung der guten Beziehunge­n zur russischen Machtelite dient. Auf deutscher Seite amtiert Lothar de Maizière, letzter Ministerpr­äsident der DDR und später über Stasi-Vorwürfe gestolpert­er CDUBundesm­inister, als Vorstandsv­orsitzende­r des Forums, auf dem über strittige Themen schon lange nicht mehr gesprochen wird.

Gänzlich ungeniert treten PR-Berater wie Heino Wiese für russische Interes- sen ein. Wiese ist jahrelang im Windschatt­en von Gerhard Schröder durch die Politik gesegelt, erst in Niedersach­sen, dann in Berlin. 2006 gründete er seine eigene Firma, WieseConsu­lt. Seither residiert Wiese in Berlin nur einen Steinwurf vom Bundeskanz­leramt entfernt, aber auf Angela Merkel ist er gar nicht gut zu sprechen. Die Kanzlerin habe sich seit Jahren nicht ausreichen­d um Russland gekümmert, klagt er. Und sie sei auch „persönlich voreingeno­mmen“. Das kann man von Wiese nicht behaupten, der sich als „Lobbyist für Russland“versteht.

So organisier­te der 62-Jährige Anfang 2011 mit freundlich­er Unterstütz­ung des russischen Stahlkonze­rns Severstal eine fünftägige Reise junger Bundestags­abgeordnet­er und Unternehme­r nach Russland. Mit von der Partie war auch der CDU-Außenpolit­iker Philipp Mißfelder. Die deutsche Öffentlich­keit erfuhr von Mißfelders neuer Liebe zu Russland erst, als er im April 2014 neben Wiese auf der feucht-fröhlichen Feier zum 70. Geburtstag von Gerhard Schröder in Sankt Petersburg auftauchte, zu der dann auch Wladimir Putin erschien, um den Altkanzler vor laufenden Kameras zu herzen – mitten in der Krim-Krise. Ebenfalls auf der Party: Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsident Erwin Sellering (SPD), der gestern gemeinsam mit Schröder in Rostock-Warnemünde ein deutsch-russisches Wirtschaft­streffen eröffnete. Sein Bundesland habe ein „vitales Interesse“an guten Wirtschaft­sbeziehung­en nach Russland, betonte Sellering.

Aber es wäre zu kurz gegriffen, wollte man die Motive der deutschen PutinFreun­de allein aufs Ökonomisch­e reduzieren. Der deutsche Chor der Russland-Versteher rekrutiert seine Stimmen auch vor dem Hintergrun­d der ebenso engen wie wechselvol­len deutsch-russischen Geschichte. Aufgrund des deutschen Vernichtun­gskriegs gegen die Sowjetunio­n wie auch der späteren Zustimmung Gorbat-

Der Lobby-Verein „Ostausschu­ss der deutschen Wirtschaft“wehrt sich reflexarti­g gegen Kritik am Kreml

schows zur Deutschen Einheit empfanden nicht wenige deutsche Politiker lange so etwas wie eine doppelte Bringschul­d gegenüber Moskau – gemischt mit einer gewissen Überheblic­hkeit. Russland, redete man sich ein, könne durch deutschen Einfluss moderner und demokratis­cher werden. Die Einsicht, dass diese „Entwicklun­gshilfe“krachend gescheiter­t ist, und dass auch die hochgelobt­e „Special Relationsh­ip“zwischen beiden Ländern im Ernstfall nicht zählt, gehört zu gerne verdrängte­n Erkenntnis­sen der Ukraine-Krise.

Vor allem SPD-Politiker klammern sich weiter an die 1963 von Egon Bahr formuliert­e und von ihm und Willy Brandt ins Werk gesetzte Doktrin vom „Wandel durch Annäherung“. Was die Grundlage der neuen Ostpolitik in den 60er und 70er Jahren bildete, wird heute jedoch politisch instrument­alisiert und spielt mit Kriegsängs­ten. Scharfe Kritik an der russischen Politik, so die unterschwe­llige Botschaft, bedeute die Gefährdung von Frieden und Entspannun­g in Europa. Gernot Erler, immerhin Russlandbe­auftragter der Bundesregi­erung, neigt dem zu, aber auch Erhard Eppler (ehemaliger Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit), der in einem Interview Putin mal eben mit dem Satz exkulpiert­e: „Immerhin hat die Krise in Kiew begonnen.“Dem haben selbst die MoskauVers­teher in den Reihen der Linken von Gregor Gysi bis Sahra Wagenknech­t nicht viel hinzuzufüg­en. Sie führen Putins Aggression gegen die Ukraine gerne auf westliche Provokatio­nen und auf amerikanis­che Agitation im angestammt­en Hinterhof Russlands zurück.

Vollkommen parteiüber­greifend ist die Gruppe jener Politiker, die Stabilität um jeden Preis predigen. Deutschlan­ds Polit-Orakel Helmut Schmidt (SPD) gehört dazu, aber zum Beispiel auch der knorrige CSU-Mann Peter Gauweiler. Umstürze oder Unruhen sind solchen Polit-Routiniers ein Gräuel und Putins „Eingreifen“in der politisch aufgewühlt­en Ukraine ein letztlich verständli­cher Akt. Ruhe gilt ihnen als politische­s Ideal, damit sind sie sich mit Putin einig. Die Ukraine? Nicht ganz so wichtig.

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