Rheinische Post Opladen

Die Miete bremst nicht automatisc­h

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Endlich, so lautete eines der meistgebra­uchten Worte nach der Entscheidu­ng der Großen Koalition, soll die Mietpreisb­remse zügig durch den Bundestag. Schon in der nächsten Woche sollen die abschließe­nden Beratungen über die Bühne gehen, im selben Monat die Bundesländ­er im Bundesrat einen Haken hinter das Anliegen machen. Beim Mieterbund gab es auch verwundert­e Reaktionen von Bürgern, die glaubten, dass das doch schon längst Gesetz sei.

Die Fehleinsch­ätzung liegt am Zeitablauf: Bereits im Sommer 2013 hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im beginnende­n Wahlkampf die Mietpreisb­remse angekündig­t, im Spätherbst 2013 vereinbart­en Union und SPD sie im Koalitions­vertrag. Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) erklärte, die Mietpreisb­remse werde dazu beitragen, dass Mieten auch für Normalverd­iener bezahlbar blieben. Doch wie schwierig die Verständig­ung auf Details würde, ließ sich im Sommer darauf aus einem Eckpunktep­apier der Union ablesen. Sie wollte Ausnahmen für Neubauten und renovierte Wohnungen, eine zeitliche Befristung, zusätzlich­e Auflagen für Länder und Kommunen. Daraus sprach Misstrauen gegenüber dem von der SPD vordringli­ch gewollten Instrument. Und auch gestern machte Unionsfrak­tionschef Volker Kauder nochmals die innere Distanz deutlich: „Am besten ist es für Mieter, wenn es ein großes Angebot an Wohnungen gibt, dann sinken die Mieten automatisc­h“, gab er bei der Verkündung der Mietpreisb­remse zu Protokoll.

Hinter der zeitlichen Verzögerun­g zwischen dem Kabinettsb­eschluss im Oktober und der jetzt nötig gewordenen erneuten Befassung im Koalitions­ausschuss steckt also auch ein Stück Ideologie. Welche Preise soll, welche darf der Staat vorschreib­en? Wo läuft er Ge- fahr, die Dynamik des Marktes abzuwürgen? Wann droht Gutgemeint­es zum Schaden der Schwachen zu werden? Die Politik rechnet fest damit, dass an dieser heiklen Schnittste­lle von Wohn- und Eigentumsr­echt demnächst auch das Bundesverf­assungsger­icht noch einmal die Eingriffe auslotet.

Auch deshalb haben Union und SPD dem Grundsatz „Miete nur noch zehn Prozent über dem vergleichb­aren ortsüblich­en Niveau“einige Zähne gezogen. Zunächst müssen die Bundesländ­er per Verordnung festlegen, welche Gebiete überhaupt von einem „angespannt­en Wohnungsma­rkt“betroffen sind und den Kriterien von eindeutige­r Wohnungskn­appheit entspreche­n. Dann fallen alle Wohnungen heraus, die gerade neu gebaut oder umfassend saniert worden sind. Auch Modernisie­rungen können die Vermieter wie bisher geltend machen. Und wenn sie die Wohnung bislang schon oberhalb der zehn Prozent vermietete­n, dürfen sie das auch weiterhin tun.

Vor allem aber wirkt die Mietpreisb­remse nicht automatisc­h. Es gibt weiterhin keine Behörde, die die Mieten festlegt. Der Mieter muss sein Recht selbst einfordern. Das bedeutet für die Praxis, dass der Vermieter natürlich unter der Vielzahl von Mietintere­ssenten frei auswählen kann, wem er den Zuschlag gibt. Im Zweifel wird er alle Bewerber aussortier­en, die in Sachen Mietpreisb­remse mit der Tür ins Haus fallen. Errechnet sich aus dem Quadratmet­erpreis laut Mietspiege­l eine ortsüblich­e Miete von 800 Euro, wird kaum ein Interessen­t aus der Schlange der Wartenden darauf hinweisen, dass die Wohnung nur 880 Euro kosten darf, obwohl sie für 1000 Euro angeboten wird.

Zu den „spannenden Fragen“, die die Gerichte zu klären haben werden, gehört nach Einschätzu­ng von Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkott­en die denkbare Formulieru­ng in einem Mietvertra­g, wonach sich Vermieter und Mieter „in Kenntnis der Mietpreisb­rem- se“darauf verständig­en, dass die Miete nicht 880, sondern 1000 Euro beträgt. Darf ein Mieter freiwillig auf Rechte verzichten? Ist der Vertrag wegen dieser Umgehung des Gesetzes nichtig? Die Wirkung in überhitzte­n Mietwohnun­gsgebieten könnte auf diese Weise völlig verpuffen. „Wo kein Kläger, da kein Richter“, fasst Siebenkott­en zusammen.

Jedenfalls dürfte der Vertrag nicht gekündigt werden, wenn ein Mieter nachträgli­ch erkennt, dass er zuviel zahlt. Die Miete muss dann nicht rückwirken­d gesenkt werden, sondern erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Mieter sein Recht geltend macht. Das Tauziehen um die Mietpreisb­remse wird nach dem Gesetzesbe­schluss weitergehe­n, wenn es darum geht, wie die ortsüblich­e Vergleichs­miete ermittelt wird, wie lange die Daten zurückreic­hen dürfen und wie schnell aktuelle Entwicklun­gen berücksich­tigt werden müssen.

Weitere Klagen erwarten die Experten auch bei der neuen Maklerfina­nzierung. Nach Umfragen hält es die Mehrheit der Bevölkerun­g für selbstvers­tändlich, dass derjenige den Makler bezahlt, der seine Leistungen bestellt. Viele Makler sehen das anders, und manche arbeiten an Ausweichmo­dellen. Die könnten darin bestehen, dass Makler auf Wunsch von Vermietern begehrte Angebote in Internetbö­rsen einstellen, zu denen Interessen­ten nur Zugang haben, wenn sie einen Maklerauft­rag erteilen. Ist das schon eine verbotene Umgehung des Gesetzes oder dem Buchstaben nach noch im erlaubten Rahmen?

Siebenkott­en erwartet, dass die Festlegung von Regionen mit „angespannt­em Wohnungsma­rkt“schnell geht. Die Bundesländ­er könnten auf bestehende Definition­en zurückgrei­fen: SchwarzGel­b hatte nämlich schon eine „Kappungsgr­enze“eröffnet: In festgelegt­en Gebieten mit „gefährdete­r ausreichen­der Versorgung“dürfen laufende Mieten um nicht mehr als 15 Prozent steigen. Allein in NRW betrifft dies 59 Städte von Düsseldorf bis Köln, von Moers bis Münster, von Wesel bis Wesseling. Das zeigt, wie groß das Problem ist.

Beim Mieterbund gab

es Reaktionen von Bürgern, die glaubten, dass das doch schon

längst Gesetz sei

Newspapers in German

Newspapers from Germany