Rheinische Post Opladen

Loveparade-Prozess rückt in weite Ferne

Die Katastroph­e auf der Loveparade in Duisburg wird wohl frühestens 2016 vor einem Gericht strafrecht­lich aufgearbei­tet werden – wenn überhaupt. Das Gutachten, auf dem die Anklage basiert, ist bislang zu lückenhaft.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DUISBURG Wenn sich die Katastroph­e auf der Duisburger Loveparade im kommenden Juli zum fünften Mal jährt, werden die zehn Angeschuld­igten sehr wahrschein­lich immer noch nicht vor Gericht stehen. Es ist seit gestern sogar unklarer denn je, ob es überhaupt noch zu einem Prozess kommen wird, bei dem das Unglück vom 24. Juli 2010 strafrecht­lich aufgearbei­tet wird, bei dem 21 Menschen in Folge einer Massenpani­k ums Leben kamen und mehr als 60 verletzt wurden.

Grund für die Annahme ist das Gutachten des britischen Panikforsc­hers Keith Still, auf das sich in zentralen Punkten die Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft stützt. Die Expertise ist offenbar sehr lückenhaft und beantwort wesentlich­e Fragen zum Unglück nicht. Darum hat die zuständige Fünfte Große Strafkamme­r des Landgerich­ts Duisburg nun beschlosse­n, dem britischen Sachverstä­ndigen im Zwischenve­rfahren Fragen zur Erläuterun­g seines Gutachtens zu stellen. „Er wird gebeten, etwa 75Einzelfr­agen zu 15 Themenkomp­lexen zu beantworte­n“, sagte Landgerich­tssprecher Bernhard Kuchler.

Der Panikforsc­her soll dem Gericht unter anderem darlegen, wie sich Planungsfe­hler im Vorfeld auf den konkreten Veranstalt­ungsablauf auswirkten. Still soll zudem genau erklären, ob die Polizeiket­te, die den Zulauf aufs Gelände stoppen sollte, Auswirkung­en auf den Unglückshe­rgang hatte. Darüber hinaus soll er offenlegen, wie er bei der Erstellung des Gutachtens vorgegange­n ist. Für die Beantwortu­ng hat ihm das Gericht eine Frist von drei Monaten gesetzt.

Eine Entscheidu­ng über die Zulassung der Anklage kann nicht vor Eingang der Antworten des Sachverstä­ndigen erfolgen. Doch selbst wenn Still fristgerec­ht antworten sollte, so schätzen Experten, werde sich die Strafkamme­r schwer tun, die Anklage zuzulassen, da sie befürchten müsse, dass die Erklärunge­n des Panikforsc­hers nicht ausreichte­n, um in einer Hauptverha­ndlung den Angriffen der gegnerisch­en Seite standzuhal­ten. Die Staatsanwa­ltschaft hatte Still damit beauftragt zu untersuche­n, wie es bei der Loveparade in Duisburg zur Massenpani­k kommen konnte.

Ein am Verfahren beteiligte­r Jurist sagte unserer Zeitung, dass das StillGutac­hten zu viele offene Flanken biete, die die Gegenseite ausnutzen würde – und es auch schon täte, indem sie immer neue Einwände gegen die Expertise einbrächte. „Es ist ein grundlegen­der Fehler der Staatsanwa­ltschaft, fast die gesamte Anklage auf ein Gutachten aufzubauen“, sagte der Jurist. Dem Landgerich­t könne man deshalb aber keine Vorwürfe machen.

Das sieht die Bochumer Rechtsanwä­ltin Bärbel Schönhof, die rund 30 Loveparade-Opfer in einem Zivilverfa­hren vertritt, genauso. „Es ist Aufgabe des Gerichts, den Sachverhal­t gründlich zu prüfen“, sagte sie. Schönhof ist sich sicher, dass durch die neuerliche Verzögerun­g ein möglicher Prozess frühestens 2016 stattfinde­n würde. „Ich vermute, dass die zuständige Strafkamme­r Ende des Jahres entscheide­n wird, ob sie die Anklage zulässt oder nicht. Alles andere wäre zu kurzfris- tig“, betonte die Anwältin. NRWJustizm­inister Thomas Kutschaty warb um Verständni­s für die lange Dauer. „Es ist ein langes Verfahren, und ich weiß, die Opfer warten auf eine Entscheidu­ng“, sagte er im Rechtsauss­chuss des Düsseldorf­er Landtags. „Ich bitte um Verständni­s, dass von der Kammer sehr gründlich geprüft wird.“Nach der Anklageerh­ebung im Februar 2014 war es mehrfach zu Verzögerun­gen gekommen. Unter anderem waren Akten nicht vollständi­g, es gab Fragen zur Übersetzun­g und zur Beteiligun­g weiterer Personen am Gutachten. Zwischenze­itlich hatte die Staatsanwa­ltschaft im Winter fehlende Akten und Datensamml­ungen nachgereic­ht.

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FOTO: DPA Die meisten der 21 Todesopfer kamen im dichten Gedränge am Treppenauf­gang ums Leben.

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