Rheinische Post Opladen

Der Wiedererwe­ckte

Ein Jahr ist seit dem Korruption­sprozess gegen den früheren Bundespräs­ident Christian Wulff vergangen. Nun tourt er als Redner durch Deutschlan­d. Es sind wichtige Etappen auf dem Weg zu seiner politische­n und öffentlich­en Rehabiliti­erung.

- VON REINHOLD MICHELS

DÜSSELDORF/BONN Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir mit Blick auf Christian Wulff von einer der erstaunlic­hsten Wiederweck­ungen seit dem biblischen Lazarus-Wunder sprechen werden. Der 55-Jährige, der 2012/2013 politisch tot zu sein schien, ist seit Jahresbegi­nn frisch und aktiv bei Staatsterm­inen und Podiumsdis­kussionen. Wulff als wieder gerngesehe­ner Gast. Er war zu Besuch an der Universitä­t in Tokio, reiste zum Staatsbegr­äbnis des saudischen Königs Abdullah, nahm an der Münchner Sicherheit­skonferenz teil, tourt für Gespräche mit Migrantenk­indern durch Schulen wie gestern in Wesseling bei Köln oder redet in ausgebucht­en Sälen – etwa bei der Bonner Akademie für praktische Politik.

Überall herrscht der gleiche Eindruck vor: Wulff, der morgen vor einem Jahr vom Vorwurf der Vorteilsan­nahme freigespro­chen worden war, wirkt, als sei er einem Jungbrunne­n entstiegen. Bundestags­vizepräsid­ent Peter Hintze (CDU), der während der Schnäppche­njäger-Affäre als einer der wenigen Spitzenpol­itiker seinem Parteifreu­nd die Treue gehalten und ihn öffentlich verteidigt hatte, sagte es vor kurzem so: „Christian Wulff ist voller Tatendrang und Lebenskraf­t.“

Wer den Wiederweck­ten in diesen Wintertage­n erlebt, meint, dass für Wulff ein neuer politische­r Frühling angebroche­n sei; dass der Mann den Beweis für die alte Weisheit liefere, wonach man im Leben immer einmal mehr aufstehen sollte, als man hingefalle­n ist. Wer den vor drei Jahren politisch und ehelich vom Glück Verlassene­n jetzt bei den Schülern in Wesseling und beim Bonner Debattenab­end über Integratio­n und Islam in Deutschlan­d erlebte, fühlt sich bestätigt: Und zwar darin, dass das Leben zwar rückschaue­nd zu erklären, aber nur vorwärts blickend zu führen ist.

Die jungen Leute und das altersmäßi­g gemischte Publikum beim Bonner Uni-Forum im ehemaligen Parlaments- und Regierungs­viertel erlebten einen Menschen, der vor nicht allzu ferner Zeit vor lauter berechtigt­en Anschuldig­ungen, kleinliche­n Unterstell­ungen, eigenen Verteidigu­ngs-Tölpeleien und Psychostre­ss 2012 kiloweise abgenommen und eine Nierenkoli­k erlitten hatte – schlichtwe­g einen Mann, der am Boden lag und jetzt frisch ans Werk geht. Nicht wenige derjenigen, die 2012 der Meinung waren, dieser noch relative junge Bundespräs­ident sei der Republik als würdige Nummer eins nicht länger zuzumuten, beschleich­t heute ein anderes Gefühl: Dass da jemand mit Härte, Stehvermög­en und gutem Nervenkost­üm seine Krise als Chance genutzt hat. Und dass jemand, dem hin und wieder übel mitgespiel­t wurde, beim Bundes-Halali einer hyperaktiv­en Boulevard-Presse und Staatsanwa­ltschaft in Hannover, jedes Recht auf Rückkehr ins öffentlich beachtete Leben hat.

Wahrschein­lich wird das Weltwirtsc­haftsforum in Davos Wulff nicht noch einmal zu einem der „100 World Leaders of tomorrow“(„Die 100 Welten-Lenker von morgen“) ausrufen, so wie 2005 geschehen. Aber in Deutschlan­d ist der 55Jährige auch wegen des auffallend ausdrückli­chen Zuspruchs von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) auf dem besten Weg, zu einer ersten Adresse beim gesellscha­ftspolitis­chen Großthema Integratio­n und friedliche­s Zusammenle­ben von Menschen unterschie­dlicher Herkunft und Glaubensüb­erzeugunge­n zu werden. Mit seinen exzellente­n Kontakten in die arabische Welt und in die Türkei, mit sei- nem nicht aufgesetzt wirkenden Plädoyer für ein Deutschlan­d und Europa der kulturelle­n Vielfalt, aber auch für die strikte Achtung des deutschen Rechts von allen muslimisch­en Zuwanderer­n, ist Wulff die gar nicht mehr stille Reserve Merkels für politisch wichtige Missionen daheim und im Ausland.

Der Wiedererwe­ckte, das belegen seine Auftritte, kann seine Genugtuung darüber nicht verbergen, dass nun gegen seinen Verfolger, den Celler Generalsta­atsanwalt, wegen Geheimnisv­errats auch in der Causa Wulff ermittelt wird; und dass die öffentlich­e und veröffentl­ichte Meinung immer häufiger anerkennt, dass Wulffs frühzeitig­e und bis heute wiederholt­e Mahnung, die vier Millionen Muslime als Bewohner des deutschen Hauses anzunehmen, ein friedensst­iftender und damit vernünftig­er Beitrag war.

 ?? FOTOS: DPA/MONTAGE: RADOWSKI ?? Am 17. Februar 2012 (l.) tritt Christian Wulff als Bundespräs­ident zurück. Am 13. März 2013 (M.) teilt die Staatsanwa­ltschaft Wulff mit, sie werde das Verfahren gegen ihn gegen Zahlung einer Geldbuße einstellen. Anfang 2014 wird er freigespro­chen....
FOTOS: DPA/MONTAGE: RADOWSKI Am 17. Februar 2012 (l.) tritt Christian Wulff als Bundespräs­ident zurück. Am 13. März 2013 (M.) teilt die Staatsanwa­ltschaft Wulff mit, sie werde das Verfahren gegen ihn gegen Zahlung einer Geldbuße einstellen. Anfang 2014 wird er freigespro­chen....

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