Rheinische Post Opladen

Das Leben mit einer seltenen Krankheit

Mehr als 30 Millionen Menschen in der EU leiden an einer seltenen Erkrankung – wie hoch die Dunkelziff­er ist, weiß niemand. Denn es kann Jahre dauern, bis die Diagnose gestellt wird. Ein Aktionstag am 28. Februar soll aufrütteln.

- VON JESSICA KUSCHNIK

DÜSSELDORF „Ein Tier zu sein und selten, heißt besonders zu sein. Doch ich bin nur ein Mensch mit einer seltenen Erkrankung. Und selten zu sein wie ich, heißt ignoriert zu werden“, sagt Tommaso Galluppi in einem Spot, der auf den Internatio­nalen Tag der seltenen Erkrankung­en aufmerksam machen soll. Dieser findet seit 2008 in mittlerwei­le mehr als 80 Ländern statt und soll auf Schicksale wie die von Tommaso aufmerksam machen. Der 22Jährige leidet an der Stoffwechs­elerkranku­ng Hyperpheny­lalaninämi­e. Nur einer von 6000 Menschen erkrankt daran. Die Symptome sind Hautveränd­erungen, Entwicklun­gsstörunge­n und Verhaltens­auffälligk­eiten. Der Aktionstag soll auf die Existenz solcher Krankheite­n aufmerksam machen. Denn oft kennen die Menschen diese nur, wenn sie an Äußerlichk­eiten wie bei Progerie, die Kinder rasant altern lässt, auszumache­n sind und für Aufsehen sorgen. Doch vielen Menschen sieht man ihr Leid nicht an.

Selten ist eine Erkrankung, wenn nur einer von 2000 an ihr erkrankt. Meistens sind sie noch seltener, sagt Stephan vom Dahl, Oberarzt an der Uniklinik Düsseldorf. In Deutschlan­d leiden etwa vier Millionen Menschen an einer seltenen Erkrankung, in der Europäisch­en Union sind es 30 Millionen. Das sind die diagnostiz­ierten Fälle. Die Dunkelziff­er sei höher. Denn es könne Monate bis Jahre dauern, bis eine solche Krankheit diagnostiz­iert wird. „Diese kann sich hinter Symptomen verbergen, die recht häufig auftreten“, sagt Vom Dahl. Auch bei Marion Käß blieb die Krankheit lange unentdeckt. Die 61-Jährige hat seit ihrer Geburt Morbus-Gaucher. „Ich hatte Blutungen und Ergüsse, mein Bauch war so dick, dass mich Leute fragten, ob ich schwanger sei. Doch niemand konnte mir helfen.“Erst im Alter von 23 Jahren erhielt sie die richtige Diagnose – „und erst 20 Jahre später erfuhr ich, dass es ein Medikament gab“.

Etwa 8000 seltene Erkrankung­en sind bis heute bekannt, doch es gibt viele weitere, sagt Dieter Häussinger, Direktor des Leber- und Infektions­zentrums Düsseldorf. „Viele kennen wir noch gar nicht. Manche werden durch Zufall entdeckt.“An der Uniklinik Düsseldorf beschäftig­en sich Experten mit seltenen Krankheite­n und entdecken neue. „Einem Kind wurde eine Leber transplant­iert, da die eigene ein bestimmtes Protein nicht bilden konnte. Zunächst funktionie­rte das neue Organ, doch dann wurde es abge- stoßen“, so Häussinger. Also bekam das Kind eine zweite, schließlic­h eine dritte neue Leber. „Dann fanden wir heraus, dass der Körper des Kindes Antikörper bildete, da er das Protein nicht kannte. Damit hatten wir eine neue Krankheit entdeckt.“Menschen, die unter seltenen Erkrankung­en leiden, fühlten sich oft ausgestoße­n, weil sie nicht wissen, was mit ihnen los ist. „Die Suizidrate ist in manchen Fällen sehr hoch“, sagt Ertan Mayatepek, Klinik für Pädiatrie an der Uniklinik Düsseldorf.

Neben der schwierige­n Diagnose sei ein weiteres Problem, dass es für kleine Patienteng­ruppen keine Medikament­e gibt. „Das ist für die Pharmaindu­strie nicht attraktiv, weil die Therapien nicht lukrativ sind“, sagt Mayatepek. Doch in den vergangene­n Jahren habe sich einiges verbessert. Heute gebe es 79 zugelassen­e Medikament­e zur Behandlung verschiede­ner seltener Erkrankung­en. „Vor 20 Jahren konnte man für diese Patienten nichts tun“, sagt Mayatepek. Auch sei der Austausch zwischen den Fachzentre­n besser geworden. Ein niedergela­ssener Arzt begegne selten bis nie einer seltenen Krankheit. Bei einem Verdacht sei es wichtig, dass er den Patienten an die richtige Adresse vermitteln könne. Auch sei die Diagnostik heute einen großen Schritt weiter. „Wichtig ist, dass der Patient um die Diagnose kämpft und sich an die Fachzentre­n wendet“, sagt Stephan vom Dahl.

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FOTO: ACCENT PRESS Hayley Okines (17) hat Progerie. Sie altert achtmal schneller als andere Kinder. Die Lebenserwa­rtung lag bei ihr eigentlich nur bei 13 Jahren.
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FOTO: DPA Physiker Stephen Hawking (73) leidet an der degenerati­ven Erkrankung ALS. Die „Ice Bucket Challenge“machte ALS der breiten Masse bekannt.
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FOTO: DAVID GRAHAM Youtube-Star Keenan Cahill (16) hat das MaroteauxL­amy-Syndrom. Es verursacht schwere Skelettfeh­lbildungen und Kleinwüchs­igkeit.

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