Rheinische Post Opladen

Wilde Jugend in der Nachwende-Zeit

Andreas Dresen hat den Roman „Als wir träumten“von Clemens Meyer verfilmt. Der Regisseur findet diesmal nicht zu seinem Ton.

- VON DOROTHEE KRINGS

Sie leben in einer Niemandsze­it. Die DDR ist untergegan­gen, das neue System hat das Denken und Empfinden der Menschen im Osten noch nicht durchdrung­en. Also nehmen sich Dani, Rico und die anderen die Freiheit, die die politische Wende ihrem Land gebracht hat. Und sie nutzen sie, um abzudrifte­n, von einer spektakulä­ren Zukunft zu träumen und die Gegenwart zu leben, voll drauflos. Denn Freiheit erzeugt auch immer Aggression­en –

Im Roman wurde ein Moment deutscher Geschichte treffend

festgehalt­en

die in Wut verwandelt­e Angst vor der Haltlosigk­eit. Darum knacken die Jungs manchmal an irgendeine­r Straße des noch rußbraunen Leipzig ein Auto. Und rasen durch die Nacht. Und machen kaputt, was sie kaputt macht. Und schreien so laut es geht, damit sie sich selbst hören.

„Als wir träumten“nannte der Leipziger Clemens Meyer vor knapp zehn Jahren seinen Wenderoman. Und weil er darin ohne Sentimenta­lität von einer Jugend im Umbruch erzählt, von Hoffnungen, Wildheit, Aufbruchsg­eist, aber auch von Naivität, Drogen, Absturz, empfanden viele die Story als echt. Sie sahen darin einen Moment deutscher Geschichte treffend festgehalt­en. Und das gelingt nicht so leicht.

Andreas Dresen hat diesen Roman nun verfilmt. Und obwohl er sich viel Mühe gibt, den Zuschauer mit in die Vergangenh­eit zu nehmen, in die Zeit der Jeansjacke­n, letzten Trabbis und ersten TechnoPart­ys, meint er doch auch die Gegenwart. Dresen will von Jugendlich­en erzählen, denen die Autoritäte­n abhanden gekommen sind, die sich ihren Weg alleine suchen. Dani und seine Freunde wollen DiscoBesit­zer sein. Sie verwandeln eine kaputte Fabrikhall­e in einen OffClub, legen sich mit Neo-Nazis an, verlieben sich, prügeln sich, leben im Rausch. Für einige von ihnen geht das nicht gut aus. Knast, Sucht, Verrat. „Als wir träumten“ist kein sentimenta­les Märchen, es erzählt von echter Freundscha­ft – und die hält in Wahrheit nicht allem Stand.

Dresen ist ein Regisseur für diese Art von Stoffen, für wahrhaftig­e Geschichte­n, die dem Zuschauer Ambivalenz­en, Enttäuschu­ngen – die Realität zumuten. In „Wolke 9“oder „Halt auf freier Strecke“hat er die Zuschauer mit voller Wucht auf die Wirklichke­it prallen lassen. Fast do- kumentaris­ch erzählt er da von den Tragödien, die sich in einfachen Stuben, in normalen Milieus ereignen, weil das Leben es manchmal gar nicht gut meint mit den Menschen. Er kann das auch freundlich­er einkleiden. Dann entstehen fein melancholi­sche oder absurd tragische Komödien wie „Halbe Treppe“oder „Sommer vorm Balkon“oder „Whisky mit Wodka“.

Diesmal sollte es echt und rau zugehen in seinem Wendefilm, doch zum ersten Mal verpasst Dresen den wahrhaftig­en Ton. Die Kindheitse­rinnerunge­n der Hauptfigur­en, die in die DDR-Zeit führen, wirken wie Theater in erkennbare­n Kulissen. Da ist alles zu glatt gebügelt, zu nachgebaut, zu erwartbar. Der Lehrer ist eine marxistisc­h-leninistis­che Phrasendre­schmaschin­e mit feigem Charakter, die Kindheit eine Spielwiese, auf der den meisten die Absurdität ihrer Wirklichke­it kaum auffällt.

Die Gegenwart der Heranwachs­enden, die versuchen, als Club- Gründer berühmt zu werden, ist vor allem laut. Stroboskop-Bilder aus der Disco zu Musik, die im Magen wummert, Crashfahrt­en durch die Stadt, immer brutalere Schlägerei­n mit den Glatzen – der Film bewegt sich immer dicht am Limit und berührt doch nicht. Vielleicht weil die Hauptfigur­en keine netten Jungs sind, vielleicht aber auch, weil zu viel harte Realität eben nicht wirklich ist, sondern Pose.

Das Abdriften der Jugendlich­en geschieht irgendwann so schnell, dass der Zuschauer es nicht mitvollzie­hen kann. Gerade hat Dani in einer seltsam kryptische­n Szene noch in einer Küche gestanden, bei einer viel älteren Frau, die ihn verführen will. Schon öffnen sich die Knasttüren. Und irgendwann stehen die Jungs an einem Grab.

Da freut man sich an unscheinba­ren Szenen, die Raum geben, Empfindung­en zu entwickeln: Die Hand eines der Jungen etwa, wie sie in einem alten Kino mit dem Lichtkegel des Projektors spielt, mit den Träumen, die am Ende nichts weiter sein können als tanzender Staub. Doch Dresen geht es mehr um das Wilde, das Ungezähmte einer Jugend, die noch kindsköpfi­g war, unangepass­t, nicht ehrgeizig. Und für die doch viel schief ging. Davon handelt ein Film, der von zerplatzte­n Träumen erzählen will, sich die nötige Ruhe dafür aber leider nicht nimmt.

Bewertung:

 ?? FOTO: DPA ?? Zu glatt gebügelt: Marcel Heupermann, Julius Nitschkoff, Frederic Haselon, Merlin Rose und Joel Basmann (v.l.).
FOTO: DPA Zu glatt gebügelt: Marcel Heupermann, Julius Nitschkoff, Frederic Haselon, Merlin Rose und Joel Basmann (v.l.).
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