Der Attentäter aus dem dänischen Kreuzberg
Der Kopenhagener Stadtteil Nørrebro verzeichnet eine hohe Kriminalitätsrate. Aber wird man dadurch schon zum Terroristen?
KOPENHAGEN Die dunkelroten Klinkerfassaden versprühen einen Charme, der deutsche Stadtplaner in den frühen 1990ern zu Jubelstürmen hingerissen hätte. Hier im Mjølnerparken, einem Wohnblock im Norden von Kopenhagen, der von zwei Hauptstraßen und einer Bahnlinie eingerahmt wird, soll Omar Abdel Hamid El-Hussein gelebt haben. Hier ist er auch gestorben. Erschossen von Polizisten, die ihm nach den Attentaten auf ein Kopenhagener Kulturzentrum und eine Synagoge auf der Spur waren. Zwei Menschen kamen bei den Anschlägen ums Leben. Am Ende starb auch der 22-jährige Hussein.
Ab und zu fahren hier Radfahrer mit ihren Einkäufen entlang, arabische Kinder mit einem Fußball unter dem Arm trotten über die Fußwege zwischen den einzelnen Häusern. Doch beschrieben wird die Siedlung meist nicht anhand ihrer Architektur, sondern anhand blanker Zahlen. Und die sprechen die Sprache der Gewalt und des Verbrechens. Laut einer Statistik des dänischen Städtebau-Ministeriums wohnten 2013 im Mjølnerparken 1920 Menschen. 85,5 Prozent von ihnen hatten einen Migrationshintergrund, 46,4 Prozent haben laut Statistik die Anbindung an den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem verloren. Etwas weniger als die Hälfte der Bewohner hat also entweder keine Arbeitsstelle oder aber keinen höheren Schulabschluss.
Doch dass der Wohnblock so oft in Statistiken auftaucht, hat einen anderen Grund: Drei Prozent der Bewohner über 18 Jahren wurden schon wenigstens einmal wegen Gewalt- oder Drogendelikten verurteilt. Omar Abdel Hamid El-Hussein war einer von ihnen. Dabei ist der Mjølnerparken in dieser Hinsicht längst nicht die schlimmste Wohngegend. Nur wenige Straßen weiter – am Staerevej – sind knapp sechs Prozent der Bewohner vorbestraft.
Allen Kopenhagener Wohnsiedlungen mit hoher Kriminalitätsrate ist jedoch eines gemeinsam: Sie liegen im Stadtteil Nørrebro. Der Kiez wird von den Kopenhagenern ironisch auch „Nørrebronx“genannt, in Anlehnung an den New Yorker Stadtteil Bronx, der lange für seine Bandenkriminalität bekannt war. In Wahrheit ist Nørrebro aber eher eine Art kleines Berlin-Kreuzberg. Hier leben und arbeiten viele Migranten. Hipster betreiben Klamottenläden und Cafés, in denen man Bücher leihen und Wäsche waschen kann. Die Hauptstraße Nørrebrogade ist Europas meistbefahrene Straße für Radfahrer – hier rollen ansonsten nur Busse, keine Autos.
Der Stadtteil bietet alles für Leute wie Emil Schaldemose. Der 26-Jäh- rige studiert Risikomanagement am „Metropolitan University College“, einer Fachhochschule mit mehreren Standorten in der dänischen Hauptstadt. Er lebt im Studentenwohnheim „Bispebjerg Kollegiet“. Aus seinem Zimmer im achten Stock blickt er in den idyllischen Park vorm altehrwürdigen Bispebjerg Krankenhaus, in der Ferne kann man von hier aus die Schornsteine der Tuborg-Brauerei erkennen. Lässt Schaldemose den Blick nur wenige Meter nach rechts schweifen, schaut er direkt auf den Mjølnerparken. Wie er erinnern sich auch andere Bewohner des Wohnheims, dass vor Jahren mehrfach geklaute Autos an der S-BahnStation angezündet wurden. Jugendgangs nutzten sie als Treffpunkt. „Man riecht auch jetzt immer wieder Cannabis-Geruch und sieht die Jugendlichen mit einem Joint herumstehen“, sagt Schaldemose. Aber solange man sie in Ruhe lasse, gebe es keine Probleme.
Baulich versucht die Stadt, der Isolation der Bewohner entgegenzuwirken. Für mehr als 100 Millionen Euro wurde ein Radweg verlängert, und neben einen Basketballplatz setzten die Behörden einen Spielplatz sowie einen Park, der direkt zu einem großen Freizeitzentrum führt. Zwei Orte, an denen dänische und zugewanderte Kinder zusammen spielen.
Von gezielten Nachbarschaftsprogrammen weiß Emil nichts. Diese würde Menschen wie den mutmaßlichen Terroristen El-Hussein ohnehin nicht erreichen. „Es war zu erwarten, dass so ein einsamer Wolf hier mal zuschlagen würde, diese Leute lassen sich nicht kontrollieren und nur schwer fassen“, sagt er. An solchen Sätzen wird deutlich, dass auch der so oft für seine Integrationskraft gepriesene dänische Sozialstaat an seine Grenzen stößt. Es gibt zahlreiche Programme für junge Arbeitslose, aber vor allem Zuwanderer aus dem Nahen Osten werden von den gut gemeinten Maßnahmen längst nicht immer erreicht. Unter dänischen Politikwissenschaftlern kursiert daher das bissige Sprichwort: „Der dänische Staat ist der beste der Welt – vorausgesetzt, man ist Däne.“
Emil Schaldemose hat mit Verwandten über die Anschläge von Kopenhagen diskutiert. Dass plötzlich Dutzende Polizeiwagen durch sein Viertel gefahren seien und Hubschrauber über dem Mjolnepark kreisten, habe ihn schon beunruhigt, wo doch sonst nur mal die Sirene eines Rettungswagens in der Nähe zu hören sei. Unsicher fühlt er sich in der Gegend jedoch nicht. Die Bilder im Fernsehen seien dramatischer gewesen als hier im Viertel. Er hoffe nur, dass in der Bevölkerung nun keine Panik ausbreche.