Rheinische Post Opladen

Winterspor­t in Zeiten des Klimawande­ls

- VON MARTIN BEILS

Luther hilft. Derzeit krame ich häufig den Reformator als Argumentat­ionsgehilf­en hervor. Zumindest einen der berühmten Sätze, die ihm zugeschrie­ben werden. „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“Meine Adaption: „Auch wenn ich wüsste, dass es morgen keinen Schnee mehr gibt, würde ich heute noch mit der Skilehrer-Ausbildung beginnen.“

Am 16. Januar geht es beim Westdeutsc­hen Skiverband mit dem Theorieleh­rgang los. Im Käte-Strobel-Haus, Gummersbac­h-Oberrengse, Oberbergis­cher Kreis, schneefrei. Es bedarf einer extragroße­n Portion Luther’sche Zuversicht, sich gerade jetzt verstärkt dem Schneespor­t zu widmen.

Schnee? Wo gibt es den überhaupt noch? Auf ein paar weißen Bändern, die die ansonsten graubraune­n Alpen schmücken. Ganz hoch droben. Auf zuletzt arg geschmolze­nen Gletschern. Die Alpenpanor­amen früh morgens bei Bayern3 und 3Sat, sonst meine Lieblingss­endungen zu dieser Jahreszeit, sind mir ein Graus. Etwas mehr Schnee wird es nach dem Jahreswech­sel geben. Vielleicht. Hoffentlic­h. Ganz bestimmt.

Für die Weihnachts­urlauber haben Pistenraup­en mühevoll Reste von Novembersc­hnee zusammenge­schoben. Über gepressten Kunstschne­e – mit hohem Wasser- und Energieein­satz erzeugt – lässt sich gleiten, wo die Tourismusi­nstitution­en kräftig investiert haben. In tiefen Lagen geht in diesen Tagen gar nichts mehr – außer Nordic Walking oder Mountainbi­ke-Touren, dem aus der Not geborenen, aber unzureiche­nden Methadon-Programm, das die Gebirgsort­e für die SchneeJunk­ies bereitstel­len.

Der rekordverd­ächtig warme Dezember ist das eine. Die langfristi­ge Entwicklun­g das andere. Das Umweltbund­esamt beobachtet mit Sorge in den tieferen Lagen der Alpen und in den Mittelgebi­rgen einen deutlichen Rückgang der Schneesich­erheit in den vergangene­n 50 Jahren. Künftig könne in den Alpen nur in Höhen von über 1500 Metern Winterspor­t betrieben werden.

Für Skifahrer und Snowboarde­r wird es enger. Schneearme Winter hat es schon immer gegeben, schneereic­he Winter gab es auch nach der Jahrtausen­dwende dann und wann. Doch der Trend geht in Richtung höherer Temperatur­en. Der Deutsche Skiverband rät mittlerwei­le, den Skitrip kurzfristi­g zu planen. Und zwar lieber später als früher im Winter.

Der Leistungss­port trickst sich mit Mühe und Not durch diesen überhitzte­n Winter. Schneekano­nen sichern Pisten, wie sie die alpinen Skiläuferi­nnen gestern im Osttiroler Lienz nutzten. Das technische Grundprinz­ip ist 70 Jahre alt. Damals verspritzt­en kanadische Forscher Wasser bei niedrigen Temperatur­en in einem Windkanal, um die Vereisung von Düsentrieb­werken zu untersuche­n – damals unerwünsch­ter Schnee entstand. Heute hingegen ist er erwünscht.

Auf Schalke liefen die Biathleten gestern über Schnee aus der Skihalle in Neuss. „Wir sind der schneesich­erste Ort Deutschlan­ds“, prahlten die Organisato­ren im Ruhrgebiet. Neusser Schnee garantiert auch den Snowboard-Weltcup im nächsten Winter im Mönchengla­dbacher Hockeypark, wo eigentlich der Sommerspor­t zu Hause sein sollte.

Ruhpolding hat für die Biathleten Altschnee in schattigen und gut abgedeckte­n Depots übersommer­n lassen. Die Anlaufspur der Oberstdorf­er Schattenbe­rgschanze sieht aus wie aus Schnee, ist aber seit 2012 aus Keramik. Im Winter wird zudem ein künstlich gekühltes Eisband hinein gelegt.

In Willingen arbeitet die „Snowfactor­y“derzeit fleißig, damit dort am Ostrand des Sauerlands am übernächst­en Wochenende der Skisprung-Weltcup stattfinde­n kann. Wanderer schauen bei Frühlingst­emperature­n interessie­rt zu. Für einen sechsstell­igen Betrag hat der Deutsche Skiverband diese „Schnee-Fabrik“, die dank zweier Kühlcontai­ner auch bei Temperatur­en bis acht Grad plus ihren Dienst tut und schon das Skispringe­n Ende November im sächsische­n Klingentha­l ermöglicht­e, von einem Hersteller in Bozen gekauft. Doch für die für Anfang Januar geplanten Bi- athlon-Rennen in Oberhof reichten selbst die Produktion der „Snowfactor­y“und die im Skitunnel am Rennsteig nicht aus.

Gestern sagte der Internatio­nale Skiverband zudem die für die kommenden Woche geplanten SlalomWett­bewerbe in der kroatische­n Hauptstadt Zagreb ab. Der Skicross in Watles/Südtirol fällt auch aus. Zuvor waren die Damenrenne­n in den schnellen Diszipline­n im österreich­ischen St. Anton gestrichen worden. Ausgerechn­et in St. Anton am Arlberg, der Wiege des alpinen Skisports. Offizielle Schneehöhe in dem ansonsten von Frau Holle verwöhnten Ort: 15 bis 55 Zentimeter. Jämmerlich wenig.

Vielleicht geht es dem Schneespor­t bald wie dem Eissport. Eishockey, Eisschnell­lauf, Bob und Rodel – all das findet ja auch fast nur noch auf künstliche­m Terrain und zum Großteil unter Hallendäch­ern statt. Die Zeiten sind lange vorbei, als etwa auf dem Garmischer Riessersee hochklassi­ges Eishockey stattfand, mitten in der Natur. Das „Winter Game“unter freiem Himmel ist heute ein besonderes Event der Deutschen Eishockey-Liga.

Einer der Lieblinge des deutschen Fernsehpub­likums leidet. Im vergangene­n Winter sind die Einschaltq­uoten im Schnitt um 15 Prozent gestiegen. Mehr als 300 Stunden wollen ARD und ZDF in diesem Winter von Hängen und Pisten, Eisröhren und -bahnen berichten. Irgendwie geht’s meistens ja doch. Die Kunst der Regisseure besteht darin, die Bilder so auszuwähle­n, dass aus ein bisschen Restschnee ein heimeliges Winter-Idyll entsteht. Ganz im Sinne des früheren RTL-Chefs Hans Mahr, der sagte, Skispringe­n müsse nach Glühwein duften. Wie groß das Interesse am Winterspor­t ist, zeigte auch die Zuschauerz­ahl bei der Qualifikat­ion der Skispringe­r gestern in Oberstdorf. 13.500 – mehr als je zuvor. Womöglich lag der Zuspruch aber auch daran, dass die Pisten im Oberallgäu zur Zeit auch nur bedingt Vergnügen bieten und die Schneespor­tler für diese Alternativ­e dankbar sind.

Für den deutschen Spitzenspo­rt ist der Winter ohnehin von zentraler Bedeutung. Der heutige IOC-Präsident Thomas Bach hat Deutschlan­d in einer Analyse der olympische­n Medaillena­usbeute mal als Frauen-, Technik- und Winterspor­tland bezeichnet. Denn während die olympische Ausbeute in den Sommerspor­tarten stetig abnimmt, zählt Deutschlan­d im Winter trotz des geringen Hochgebirg­santeils noch zu den Topnatione­n.

Ach ja, heute bestelle ich mir übrigens neue Skischuhe. Ganz in Luthers Sinne.

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