Rheinische Post Opladen

25 Jahre Bayer 04 – Gelsdorf nimmt Abschied

Nach zehn Jahren als Leiter der Nachwuchsa­bteilung von Bayer 04 hat sich Jürgen Gelsdorf in die Altersteil­zeit verabschie­det und verlässt damit den Klub nach einer erfolgreic­hen Zeit als Spieler, Trainer und eben zuletzt Funktionär, dessen Entwicklun­g er

- VON STEFANIE SANDMEIER

LEVERKUSEN Jürgen Gelsdorf hat es nicht viel anders gemacht als in den Jahren zuvor. Wenn Weihnachte­n naht, der Spielbetri­eb ruht und sich am Kurtekotte­n einer nach dem anderen in den Urlaub verabschie­det, sitzt er mit seinen Mitarbeite­rn gerne noch einmal zusammen. Dann wird über das Jahr gesprochen, ein Fazit gezogen, gemeinsam inne gehalten. Ein Fässchen Bier hat er mitgebrach­t, einen kleinen Ausstand vorbereite­t. Denn ganz so wie immer war es dann doch nicht.

Nach zehn Jahren als Leiter der Nachwuchsa­bteilung von Bayer 04 hat sich der 62-Jährige in die passive Phase der Altersteil­zeit verabschie­det und verlässt damit den Klub nach einer erfolgreic­hen Zeit als Spieler, Trainer und zuletzt eben Funktionär, dessen Entwicklun­g er über ein Vierteljah­rhundert lang mitgeprägt hat.

25 Jahre – „das ist schon eine lange Zeit“, entgegnet Gelsdorf. Er klingt zufrieden, wenn er das sagt. Er blicke in großer Dankbarkei­t auf intensive und aufregende Jahre zurück – im Unternehme­n Bayer 04, „das für mich immer mehr war als ein Arbeitgebe­r“, sagt der gebürtige Duisburger. „Was mich im Rückblick so stolz macht, ist die Tatsache, dass man sowohl dem Spieler, dem Trainer als auch dem Nachwuchsc­hef Jürgen Gelsdorf das Vertrauen geschenkt hat.“

Der kann selbstbewu­sst von sich sagen, dass er in jeder Phase seines Tuns in Leverkusen zur Geschichte des Klubs beitragen konnte.

Als der heute 62-Jährige zur Saison 1976/77 unters Bayer-Kreuz wechselte, war noch nicht daran zu denken, dass er fast 40 Jahre später vom Werksklub als „mein Verein“spricht, „der mir über all die Jahre ans Herz gewachsen ist“.

Der Spieler Jürgen Gelsdorf sicherte sich seinen Eintrag in die Chronik des Klubs bereits ein Jahr nach seinem Wechsel, in dem er zur erfolgreic­hen Mannschaft gehörte, die 1979 in die Bundesliga aufstieg. Alle 38 Spiele absolviert­e der Defensivma­nn, erzielte dabei acht Treffer – am Ende seiner Laufbahn waren es beinahe 300 Spiele für Bayer 04.

Was ihn auszeichne­te? „Jürgen war zwar ein knallharte­r Abwehr- spieler, aber eben auch ein guter Fußballer und immer ein toller Mensch. Mit Dieter Herzog war er sicher die Führungspe­rson in unserer Mannschaft“, erinnert sich Peter Hermann. Der langjährig­e Teamkolleg­e (und bis zuletzt InterimsTr­ainer von Fortuna Düsseldorf) ist ein enger Weggefährt­e Gelsdorfs. Noch heute verbindet beide eine Freundscha­ft. „Wir haben so manche Schlacht zusammen geschlagen“, sagt Hermann lächelnd. „Ich kam von Alemannia Aachen, Jürgen von Arminia Bielefeld. Unser Trainer Willibert Kremer wollte in Leverkusen etwas aufbauen, hat uns dafür geholt. Wir haben nicht überragend gespielt, aber wir hatten eine tolle Kameradsch­aft. Nur so war der Aufstieg möglich.“

Jürgen Gelsdorf

Hermann spielte acht Jahre mit Gelsdorf zusammen. Unvergesse­n sei der Sieg gegen den damaligen Deutschen Meister Hamburger SV 1980 oder die erfolgreic­he Relegation gegen Kickers Offenbach. „Es ging um sehr viel, so etwas schweißt zusammen“, weiß Hermann, der sich noch gut an die Feier danach erinnern kann: „Da ging es ordentlich zur Sache.“Genau wie nach dem 3:1-Erfolg 1982 gegen Darmstadt. Es war Weiberfast­nacht. Trainer Gerd Kentschke versprach: Am nächsten Tag dürften als Prämie alle ihren Deckel mitbringen.

In den ersten Bundesliga-Jahren ging es immer nur darum, die Klasse zu halten. „Aber wir sind nie abgestiege­n“, betont Hermann, der voller Stolz sagt: „Mit unseren Möglichkei­ten haben wir es geschafft, den Grundstein zu legen für das, was heute ist.“

Das Heute ist ein Klub, der in den vergangene­n Jahren regelmäßig Champions League spielte. Das zu betonen, darauf legt Gelsdorf ebenso Wert wie auf die Tatsache, dass bei aller Profession­alisierung des Fußballs der familiäre Charakter nie verloren gegangen sei. „Der Werksklub wird oft als große Filiale der Mutter Bayer abgetan. Aber was den Verein auszeichne­t, ist dass sich hier um die Menschen gekümmert wird. Egal, ob das Profis oder Nachwuchsf­ußballer sind“, erklärt Gelsdorf. „Wenn das Außenstehe­nde manch- mal etwas böswillig als Komfortzon­e bezeichnen, dann unterschre­ibe ich das gerne. Das heißt aber nicht, dass deshalb nicht profession­ell gearbeitet wird.“Vor 30 Jahren sei auch Fußball gespielt worden. „Aber wissen Sie: Wenn ich heutzutage zur Arena fahre, mir das Stadion anschaue mit diesem riesigen Dach – und zurückdenk­e, wie das in den 70er Jahren hier aussah, dann sehe ich, was sich alles getan hat in diesem Verein“, sagt Gelsdorf, der in dieses Stadion auch gerne einmal als Fußballer eingelaufe­n wäre.

Der Klub ermöglicht­e ihm den nahtlosen Einstieg ins Trainer-Dasein. Von 1986 an war er erst Nachwuchsc­oach, später Assistent von Rinus Michels, den er 1989 beerbte. Als seinen Co-Trainer holte Gelsdorf Peter Hermann, der noch immer „dankbar ist für diese Chance“und über seinen Freund sagt: „Wenn Jürgen etwas gemacht hat, dann immer mit Leib und Seele.“

Die Zeit in Leverkusen endete (vorerst) 1991 mit der Entlassung. Gelsdorf stand in der Folge unter anderem bei Borussia Mönchengla­dbach, für den VfL Bochum oder den KFC Uerdingen an der Seitenlini­e. Es folgten viele Erfolge, aber auch bittere Niederlage­n („Ich kann mich überall noch sehen lassen“). Fast 15 Jahre war er dann weg. „Für mich persönlich war das gut, auch anderswo gearbeitet zu haben. Des-

Jürgen Gelsdorf halb weiß ich die Dinge in Leverkusen zu schätzen, die in der Öffentlich­keit gerne anders gesehen werden“, sagt Gelsdorf. „Dass ich nach Jahren wieder zurückkomm­en durfte, und dass die Liebe zwischen dem Verein und mir so groß war, dass beide Seiten gesagt haben: Es passt immer noch, finde ich sehr bemerkensw­ert.“

Am 1. Oktober 2005 wurde er Nachfolger von Ralf Minge als Leiter des Nachwuchs-Leistungs-Zentrums von Bayer 04. Damit schloss sich – wenn man so will – der Kreis für Gelsdorf. „Nach Jahren als Spieler und Trainer noch einmal für die jungen Leute verantwort­lich zu sein, empfand ich als tolle Aufgabe.“Was zunächst als Übergangs-Tätigkeit gedacht war, wurden zehn Jah- re. „Christoph Kramer, Gonzalo Castro oder René Adler sind nur einige Beispiele für die gute Nachwuchsa­rbeit, die unter Jürgen Gelsdorfs Leitung verrichtet wurde“, erklärte Sportdirek­tor Rudi Völler nach Bekanntwer­den des Abschieds. „Wir sind im deutschen Lizenz- und Jugendfußb­all zu einer sehr guten Adresse geworden. Daran hat Jürgen erhebliche­n Anteil.“

Gelsdorf freut sich, wenn er die aktuelle Bayer-Mannschaft spielen sieht. „Das Mittelfeld mit Christoph Kramer und Kevin Kampl steht für den Weg von Bayer 04“, sagt er. Der führe „natürlich“idealerwei­se aus der eigenen Jugend direkt in den Profikader, dass diese beiden Jungs aber den Weg zurückgefu­nden haben, spreche für den Verein. In Person von Marlon Frey hat es dafür kürzlich wieder ein 19-Jähriger aus der eigenen Kaderschmi­ede geschafft. Gegen Mönchengla­dbach absolviert­e er seine ersten Bundesliga­minuten, im DFB-Pokal wurde er für Kramer eingewechs­elt. „Dass so kurz vorm Aufhören noch einmal mitzubekom­men, macht mich stolz“, sagt Gelsdorf. „Marlon habe ich schon als kleinen Jungen bei uns spielen sehen.“

Dass nun am Jahresende Schluss ist, „stimmt mich schon etwas traurig. Ich habe viele junge Menschen kommen und gehen sehen“, sagt Gelsdorf, der aber anfügt: „Dieser Schritt ist von mir so gewollt. Bayer 04 hat mir viel gegeben und ich dem Verein. Jetzt möchte ich die privaten Seiten des Lebens etwas mehr betonen und bin gespannt wie es ist, wenn sich nicht an jedem Tag in der Woche alles um Fußball dreht.“

Ab 1. Januar, also ab kommendem Freitag, tritt Helmut Jungheim seine Nachfolge an. Gelsdorf bleibt Abteilungs­leiter der Fußballer des TSV und wird sich weiterhin um die Belange der Frauen- und Traditions­mannschaft kümmern. Ganz ohne Bayer 04 geht es also auch in Zukunft nicht weiter. „Ich brauche bloß auf mein Fahrrad zu steigen, um die Jungs spielen zu sehen“, sagt der 62-Jährige.

Vielleicht kommen künftig repräsenta­tive Aufgaben hinzu. „Der Anzug passt mir ja noch. Und gerne mache ich solche Dinge auch, weil das mein Klub ist – und immer bleiben wird.“

„Was den Verein auszeichne­t, ist dass sich hier um die Menschen

gekümmert wird“

 ?? ARCHIV-FOTO: UWE MISERIUS ?? Jürgen Gelsdorf auf dem Trainingsg­elände am Kurtekotte­n. Im Hintergrun­d ist Bayers U 14 zu sehen.
ARCHIV-FOTO: UWE MISERIUS Jürgen Gelsdorf auf dem Trainingsg­elände am Kurtekotte­n. Im Hintergrun­d ist Bayers U 14 zu sehen.
 ?? ARCHIV-FOTO: HORSTMUELL­ER GMBH ?? Trainer Jürgen Gelsdorf und Manager Reiner Calmund (rechts) nach dem 1:0-Sieg in München am 21. Oktober 1989.
ARCHIV-FOTO: HORSTMUELL­ER GMBH Trainer Jürgen Gelsdorf und Manager Reiner Calmund (rechts) nach dem 1:0-Sieg in München am 21. Oktober 1989.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Erfolgsduo im Bayer 04-Trikot: Gelsdorf (rechts) gemeinsam mit seinem damaligen Teamkolleg­en Dieter Herzog am 4. Dezember 1978.
FOTO: IMAGO Erfolgsduo im Bayer 04-Trikot: Gelsdorf (rechts) gemeinsam mit seinem damaligen Teamkolleg­en Dieter Herzog am 4. Dezember 1978.

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