Zwei Schwestern
Wir hatten doch mit den Leuten hier nie groß zu tun, wenn ich mich recht erinnere.“„Ihr wart an der Putnam Highschool. Und Klassenbeste noch dazu.“
„Ich vielleicht. Judy war Viertbeste.“
„Das ist kein Grund, eine Lehrerin wie Miss – wie hieß sie noch gleich? –, die sich so für Judy eingesetzt hat, nicht einzuladen.“„Ja, wie hieß sie noch gleich?“„Cassie, bitte.“„Also gut, aber wir sollten der Tatsache ins Auge sehen, dass wir wohl kaum eine Einladung an sie richten können, wenn wir nicht wissen, wie sie heißt.“
„Das würde uns schon einfallen, wenn du ein bisschen helfen würdest. Hat Judy gestern Abend mit dir darüber gesprochen?“
„Nein, ich glaube nicht. Gestern Abend ging es wirklich um was anderes.“
„Sie hat es nicht einmal erwähnt?“„Leute zur Hochzeit einzuladen?“„Nein, nicht nur das, alles – was sie halt beschlossen haben.“
Ich erwog, einen weiteren Schluck Kaffee zu trinken, entschied mich dann aber dagegen, erhob mich von meinem Barhocker und setzte einen Kessel Wasser auf, während ich Granny erklärte, dass ich inzwischen lieber Tee als Kaffee zum Frühstück trank.
„Warum hast du mir das denn nicht gesagt?“, fragte sie.
Ich setzte mich wieder an den Tresen. „Ich weiß nicht mehr, was der langfristige Plan ist, aber ich erinnere mich, dass ich heute Nachmittag nach Bakersfield fahren und Dr. Lynch am Flughafen abholen werde.“„Dr. Lynch?“„Finch, pardon. John Thomas Finch.“
„Du holst ihn ab? Ihr beide, meinst du.“
„Nein, ich. Judith hat noch viel zu tun, und wir fanden beide, dass ich auf diese Weise ein bisschen – ungezwungener mit ihm reden kann. Meinst du nicht auch?“
Granny schaute mich an, biss sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn.
„Cassie“, sagte sie, „du wirst dich ja wohl nicht als Judith ausgeben oder so was?“
„Was?“Ich war aufrichtig schockiert über diesen rüden Zug bei Mrs. Abbott, der sie dazu verleitete, einen so rüden Zug bei mir zu vermuten, wobei mich das eigentlich nicht hätte schockieren dürfen. Sie fand es schon immer wahnsinnig spannend, wie ähnlich wir uns sehen, was wir uns doch zunutze machen könnten, statt alles Erdenkliche zu tun, um es zu leugnen. Ich saß mit heruntergeklappter Kinnlade da, während sie fortfuhr: „Er ist ein zu netter Kerl, als dass man sich über ihn lustig machen sollte. Zieht euch doch ungefähr gleich an und holt ihn zusammen ab!“
Ich will nichts gegen meine Großmutter sagen. Sie liebt uns, sie ist der Inbegriff der Großzügigkeit, aber es gab mal eine Zeit – wir waren vielleicht acht –, da wollte sie uns sogar zwei Akkordeons kaufen und uns dazu bringen, eine kleine Nummer einzustudieren. Ich weiß noch, dass wir von der Idee durchaus angetan waren. Aber Jane ist an die Decke gegangen, und Papa ist explodiert.
Ich schaute sie mit festem Blick an und sprach sehr deutlich.
„Erst unterstellst du uns, wir wollten ihn an der Nase herumführen, und dann willst du uns ausstaffieren wie die Bobbsey-Zwillinge. Wo stehst du, Granny? Das wüsste ich wirklich gern“, sagte ich, als wüsste ich es nicht ganz genau.
Granny sah traurig aus. „Ich konnte nie etwas Falsches darin sehen, dass ihr –“
„Sag es nicht“, unterbrach ich sie. „Sprich das Wort nicht aus.“
„Niemand sonst, der es ist, hat so eine Einstellung dazu“, sagte Granny in dem bekümmerten Tonfall, in dem sie diese Unterhaltung immer führt, die Unterhaltung über unser Sosein, um es mal so zu nennen. Es tut mir leid, wenn ich sie bekümmere oder ihr die Freude verderbe, aber ich muss einfach klar sagen, worum es geht, denn jemand vom Wesen und Gemüt meiner Großmutter begreift nicht, was es heißt, zu einer Lebensweise wie unserer genötigt zu sein – es ist ein Zustand, den wir insgeheim genießen, zugleich aber auf Schritt und Tritt gegen die bedrohliche Masse von Klischees verteidigen müssen, mit denen man uns traktiert. Es ist nicht einfach, so zu sein wie wir, wir müssen ständig auf irgendwelche Kleinigkeiten achten. Ich habe das alles durchdacht, wir haben es gemeinsam durchdacht. Ich habe meiner Ärztin zu erklären versucht, dass es darauf ankommt, unablässig an unserer größtmöglichen Verschiedenheit zu arbeiten, denn erst wenn eine Kluft besteht, kann man sie überbrücken. Und das Überbrücken ist das eigentliche Projekt.
„War das nicht ulkig gestern Abend?“, sagte Granny, jetzt nicht mehr traurig. „Dein Gesicht beim Anblick von Judys Hochzeitskleid – also, so was habe ich, glaube ich, noch nie gesehen.“
„Köstlich“, sagte ich. „Gott sei Dank habe ich es nicht bar bezahlt. Ich kann es wieder zurückbringen.“
Ich stand auf, drehte das Gas unter dem Teekessel ab, spülte eine Kanne mit heißem Wasser aus, und Granny nahm sie mir ab und öffnete eine Teedose.
„Judith will ihres auch zurückschicken“, sagte ich, „aber ich finde, es wäre ein gutes Kleid für sie, ein gutes Kleid für Kammermusik. Um Fauré zu spielen. Zwanglose sommerliche Kammermusik.“
Ich gestattete mir die Überlegung, wie groß wohl die Wahrscheinlichkeit war, dass es auf Teneriffa, falls wir denn dort hingingen, Kammermusik-Ensembles gab. Bestenfalls gering, doch dieser beste Fall würde nicht eintreten, es würde keinerlei Kammermusik geben. Aber irgendwie würde es sich einrichten lassen, dass wir ein eigenes Klavier hätten, vielleicht konnten wir für die Dauer unseres Aufenthalts dort eins mieten. Ich könnte die eine Hand für einige der Mozart-Sonaten einstudieren, die wir früher gespielt hatten. Die Rechte natürlich. Denn alles, was recht ist – alles Linke liegt mir nicht. Früher haben wir ständig Mozart-Sonaten aufgeteilt, und da ich den einen Teil spielte, waren die Darbietungen nie sonderlich geschliffen, aber es war anregend, wie Pingpong, und so könnte es wieder sein. Nach einem Tag in der Sonne heimkommen, ein paar Mozart-Sonaten spielen, dann Judy allein zuhören, während ich mir die Haare kämmte; und dann würden wir gemeinsam losziehen, um irgendwo etwas zu essen.
(Fortsetzung folgt)