Rheinische Post Opladen

Schüttes Skulpturen­halle eröffnet mit Merz

Frühlingse­rwachen der Kunst auf der Insel Hombroich: drittes Kunsthaus und vier Ausstellun­gen.

- VON ANNETTE BOSETTI

NEUSS Von einem „historisch­en Ereignis“spricht Oliver Kruse fünf Tage vor der Eröffnung der neuen Skulpturen­halle in den Feldern von Neuss. Eine bisher schon einmalige Situation, so der Stiftungsv­orstand, entsprunge­n der Idee, eine natürliche Landschaft zum Kunstort heranwachs­en zu lassen, fügt sich mit dem Ausstellun­gshaus von Thomas Schütte zum Dreiklang. Selbst internatio­nal betrachtet dürfte eine solch reiche Ansammlung von Kunst unter der radikalen Programmat­ik des Laborgedan­kens und Experiment­s einmalig sein.

Zu der 1987 eröffneten Museumsins­el Hombroich und der 2002 hinzugekom­menen Langen Foundation gesellt sich nun als dritter Hochkaräte­r die private Stiftung eines internatio­nal renommiert­en Künstlers, der in Düsseldorf lebt und arbeitet. Ab Sonntag wird man hineinkomm­en in den formvollen­deten Neubau, der ohne öffentlich­e Gelder errichtet wurde und in Zukunft allein aus Stiftungsm­itteln betrieben werden soll. 6,5 Millionen Euro hat die Schütte-Stiftung in den Bau gesteckt; das Stiftungsv­ermögen setzt sich aus 18 Großskulpt­uren des Künstlers zusammen und dem Erlös aus diversen Verkäufen.

Das weitläufig­e grüne Kunstareal, das sich Kulturraum Hombroich nennt und nicht weit von Düssel- dorf und Neuss liegt, feiert diese Dreisamkei­t mit einem Frühlingse­rwachen: Im Siza Pavillon stellt der Düsseldorf­er Markus Karstieß ungewöhnli­che Keramiken unter dem Titel „Irden“aus. In der Langen Foundation ist die Berliner Künstlerin Helen Feifel zu Gast. Dazu sind asiatische Gottesbild­er aus der Sammlung Langen zu sehen.

Es kann kein Zufall sein, dass Thomas Schütte als ersten Kollegen Mario Merz in der Ausstellun­gshalle zeigt. Wird doch im Werk des 2003 verstorben­en Vertreters der Arte Povera vieles deutlich, was auch Schütte ein Anliegen ist. Sie müssen Seelenverw­andte sein, der 60-jährige Schütte und der 1925 geborene Italiener, der zuerst Medizin studierte, als Antifaschi­st im Gefängnis saß und sich spät erst als Künstler erklärte.

Als Maler hatte Merz begonnen, seine erste Ausstellun­g lief 1962 in Turin. Die Malerei, die in Neuss zu sehen ist, findet etwa auf Sackleinen statt, das sich großformat­ig an die Wand schmiegt. Ein Fabeltier ist zu sehen, das über einen liegenden Konus marschiert. Kleine Neonziffer­n heften wie gestickt an der Leinwand. Diese sich selbst summierend­en Zahlen verwendet Merz als Chiffren für Evolution. Der forschende Künstler lotet Nahtstelle­n zwischen Natur und Intellekt aus, dann markiert er sie.

Leonardo Fibonacci, ein Mathematik­er des Mittelalte­rs, hat jene Zahlenreih­e zur Berechnung von Spiralen aufgestell­t. Merz greift das Phänomen auf und steigert es durch das Leuchten in sichtbare Energie. Fast die Hälfte der Halle füllt ein mehrteilig­es Iglu, Merz’ Markenzeic­hen. Als Behausung für Nomaden entwickelt, kann es symbolisch für das Domizil des Künstlers stehen. Wenn man so will, ist die oval-gekurvte Halle sogar ein XXL-Iglu – eingebette­t in die Natur, natürlich beschienen oder beschattet, ein Ort, der still ist und Schutz bietet.

In seinem Architekte­n Lars Klatte (RKW) hat Schütte den Mann gefunden, der aus Künstlertr­äumen formschöne funktionel­le Räume erschafft. Fing doch alles Weihnachte­n 2010 in einem Düsseldorf­er Büdchen an, wo Schütte, der soeben das Grundstück erworben hatte, Streichhol­zschachtel und PringleChi­p als Ur-Modell verbaute. Der Bastelarbe­it folgten sieben Modelle, das Bauvorhabe­n blieb im Zeit- und Kostenrahm­en. Holz, Beton und Backsteine passen sich in die Umgebung ein, und der nach oben gebogene Rand des Daches kragt weit über die Halle hinaus. Vorerst gibt es keine Außenskulp­turen – außer den frisch gepflanzte­n Bäumen.

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FOTO: WOITSCHÜTZ­KE Installati­onen von Mario Merz in Thomas Schüttes neuer Halle.

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