Rheinische Post Opladen

Wie Seehofer Söder schachmatt setzt

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN/MÜNCHEN Als CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t die Glocke zur Eröffnung der Winterklau­sur im ehemaligen Benediktin­erkloster Seeon am Chiemsee läutet, weiß jeder Teilnehmer, dass sie das hier zum ersten und zum letzten Mal tut: Sie ist zwar mit ihrer Truppe vom traditione­llen Wildbad Kreuth nach Seeon gewechselt, aber zur Bundestags­wahl im Herbst hört sie auf. Schon jetzt schielt die Hälfte der CSU-Abgeordnet­en auf ihren Job, der als einflussre­icher eingeschät­zt wird als der eines Bundesmini­sters. Entspreche­nd groß ist die Zahl potenziell­er Bewerber. Ein Generation­enwechsel steht an. Damit kommt auch die Nach-Seehofer-Ära in Sicht.

Weit im Rund umblicken müssen sich die Abgeordnet­en jedoch nicht, wenn sie sich Gedanken um die Person machen, die derzeit die größten Nachfolge-Chancen hat. Das macht die Sitzordnun­g klar. Hasselfeld­t sitzt zu Seehofers Linken. Zu seiner Rechten sein aktueller Lieblingsb­undesminis­ter: Alexander Dobrindt. Es vergeht seit Jahren kein CSU-Parteitag, bei dem Seehofer Dobrindt nicht lobt. Mal als scheidende­r Generalsek­retär dafür, dass er der CSU den Wahlsieg organisier­te. Mal als Maut-Minister, der rechtzeiti­g zum CSU-Parteitag die Grundsatze­inigung mit der EU-Kommission über die Maut hinkriegt. Seehofers Lieblingsp­rojekt. Zuerst gegen Merkel, dann gegen die SPD, dann gegen die EU durchgeset­zt. So gefällt Seehofer die Rolle der CSU. Dann belohnt er gerne.

Dobrindt hat nicht nur dem formellen Rang unter den Bundesmini­stern nach die goldenen Schulterkl­appen der CSU-Kabinettsm­itglieder. Seehofer hat ihn auch längst zum Koordinato­r der CSU-Politik in der Bundesregi­erung gemacht. Welches Projekt unbeanstan­det durchgeht und welches erst einmal ausgebrems­t wird – Dobrindt organisier­t den geschmeidi­gen Ablauf wie den wirksamen Widerstand. Sollte der Oberbayer in den nächsten Monaten keinen Bock schießen, wären viele verwundert, wenn er nicht Hasselfeld­tNachfolge­r würde.

Oder mehr. Denn es wird noch ein weiterer Posten frei. Der des Parteichef­s. Der nächste CSU-Vorsitzend­e soll nach dem Willen Seehofers am Kabinettst­isch in Berlin Platz nehmen. Er selbst will es nicht sein, also liegt es nahe, dass der nächste Parteichef, der für die CSU die Bundespoli­tik als Bundesmini­ster mitbestimm­en soll, schon im Wahlkampf als neue Nummer eins auftritt. Dem Vernehmen nach meint es Seehofer damit so ernst, dass er schon eine Halle für einen Sonderpart­eitag reserviere­n ließ. Am 6. Mai wird die Landeslist­e aufgestell­t. Es kann nun alles ganz schnell gehen.

Jahrelang schien es vor allem auf den bayerische­n Finanzmini­ster Markus Söder zuzulaufen. Seehofer versuchte dessen Vorwärtsdr­ängen zwar immer wieder zu stoppen, indem er ihm mal „Schmutzele­ien“, mal charakterl­iche Defizite vorwarf, mal politisch in die Schranken wies. Aber am Talent Söders kam auch er nicht vorbei. So sollte Söder nach Seehofers Kalkül durch eine aus Berlin geholte Vize-Ministerpr­äsidentin in Schach gehalten werden: Ilse Aigner. Doch Söder musste sich nicht einmal sehr anstrengen, seinen Abstand auf Aigner in der Beliebthei­t und in der Wahrnehmun­g von Durchsetzu­ngsfähigke­it auszubauen. Als Finanzmini­ster gelang es Söder, immer mehr Landtagsab­geordnete gewogen zu machen. An dem Tag, an dem Seehofer seinen Abgang verkünden würde, hätte er seine Truppe zusammen.

Einem CSU-Politiker kann Söder in Sachen Beliebthei­t und Kompetenzz­uschreibun­g freilich nicht das Wasser reichen: Seehofer selbst. Und es machte ihm immer wieder sichtlich Freude, mit der Variante zu spielen, seinen für 2018 angekündig­ten Rücktritt doch wieder zurückzune­hmen. Indem er nun die Trennung von Regierungs- und Parteiamt verfolgt, ist Seehofer in die entscheide­nde Phase des Söder-verhindern-Projektes eingetrete­n. Er bot Söder den Parteivors­itz sozusagen auf goldenem Tablett – ahnend, dass sich der schwer tun würde, seinen BayernTrau­m aufzugeben und nach Berlin auf unbekannte­s Terrain zu wechseln. Schnell lehnte Söder ab – Parteifreu­nde nennen das einen schweren strategisc­hen Fehler.

Dobrindt ist nicht der einzige, der statt Söder als CSU-Chef in Frage kommt. Unter den Anschlags- und Bedrohungs­bedingunge­n des abgelaufen­en Jahres hat sich Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann profiliert. Zudem wäre er geeignet, mit dem Gewicht eines Parteichef­s die Obergrenze zuerst in den Koalitions­verhandlun­gen und dann als neuer Bundesinne­nminister auch im Kabinett durchzuset­zen.

Die Beliebthei­t aller potenziell­en Ministerpr­äsidentenk­andidaten ist übersichtl­ich. Zuletzt war auch die Zustimmung zu Söder von 36 auf 28 Prozent gefallen. Aigner kommt auf 17 Prozent, Herrmann auf acht, Dobrindt und der in Europa einflussre­iche CSU-Vize Manfred Weber auf jeweils ganze ein Prozent. Seehofer dagegen ist unumstritt­en. So gehen führende CSU-Mitglieder davon aus, dass der Nachfolger von Seehofer 2018 tatsächlic­h Seehofer heißen könnte. Und wenn er nicht mehr dauernd als CSU-Chef nach Berlin eilen und sich dort in den Koalitions­runden die Nächte um die Ohren schlagen muss, sondern sich auf die Regierungs­geschäfte in Bayern konzentrie­ren kann, dürfte er sich weitere Jahre im Amt durchaus zutrauen. Erster Zug: Parteichef 2017 nicht Söder. Zweiter Zug: Ministerpr­äsident 2018 nicht Söder. Matt.

Aber Söder beherrscht das Strategies­piel ebenfalls. Noch hat er weder die Macht noch die Mittel, Seehofer wegzuschub­sen. Aber er hat Zeit. Seehofer würde mit 69 Jahren als Ministerpr­äsidentenk­andidat vor die bayerische­n Wähler treten. Söder ist gerade 50 geworden.

An dem Tag, an dem Seehoferse­inenAbgang verkünden würde, hätte Söder seine Truppe zusammen

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