Rheinische Post Opladen

„In seinen Augen blitzte oft der Schalk“

Ignatz Bubis war ein Versöhner und engagierte­r Bürger. 1992 wurde er Vorsitzend­er des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d. Als Immobilien­kaufmann in Frankfurt zog er Kritik und Häme auf sich. Am Mittwoch wäre er 90 geworden. Eine Würdigung.

- VON RAFAEL SELIGMANN

FRANKFURT Ignatz Bubis wäre am 12. Januar 90 Jahre alt geworden. Nie habe ich einen Mann kennengele­rnt, der dermaßen viel Menschlich­keit, Klugheit und Humor in seiner Persönlich­keit vereinigte. In seinen Augen blitzte oft der Schalk. Bubis lauerte darauf, den nächsten Witz zu erzählen oder endlich einen der wenigen jüdischen Scherze oder Anekdoten zu erfahren, die er noch nicht kannte. Dann setzte sein meckerndes Lachen ein, das alle mitriss.

„Jeder, der Ignatz kannte, wusste, dass er für ihn da sein würde, wenn er ihn brauchte“

Rafael Seligmann

Der Frankfurte­r gab nicht vor, ein Heiliger zu sein, dazu hatte er zu viel durchgemac­ht. Gelegentli­ch packte Bubis der Zorn, er konnte verletzend werden. Doch wie jeder Choleriker hatte er nach wenigen Momenten seine Wut überwunden. Danach konnte man wieder mit ihm debattiere­n und lachen. Doch jeder, der Ignatz kannte, wusste, dass er für ihn da sein würde, wenn man ihn brauchte.

Die Loyalität gegenüber seinen Mitmensche­n war auch die Frucht eines atemberaub­enden Lebens. Der 1927 in Breslau zur Welt gekommene Junge zeigte früh eine rasche Auffassung­sgabe. Doch eine nennenswer­te Schulbildu­ng war ihm nicht vergönnt. 1933 übernahmen die judenfeind­lichen Nazis in Deutschlan­d die Macht. Kurz darauf floh Familie Bubis nach Polen. Vergeblich. 1939 eroberte die Wehrmacht das Land. Die Juden wurden zu rechtlosen Wesen degradiert. Familie Bubis wurde ins Ghetto gezwungen – ein Parkplatz auf dem Weg zur Vernichtun­g. Sein Vater und seine Geschwiste­r wurden ermordet, Ignatz als Sklavenarb­eiter in eine Rüstungsfa­brik deportiert, wo der Halbverhun­gerte im Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde.

Doch die Polen verweigert­en den überlebend­en Juden zumeist die Rückkehr in ihre Häuser. Die Hebräer wurden bedroht, viele misshandel­t oder umgebracht. Sie mussten erneut fliehen, vielfach ins Land der Täter. Einer von ihnen war der gerade 18-jährige Ignatz Bubis. Er schlug sich wie viele damals auf dem Schwarzmar­kt in der Ostzone durch, geriet ins Visier der Sowjets und musste erneut fliehen. Nach einer Odyssee durch Europa landete er mit seiner Frau Ida schließlic­h 1956 in Hessen. „Wo immer ich war, ich kam von Deutschlan­d nicht los“, sagte er mir.

Ende der 60er Jahre war Ignatz Bubis einer der erfolgreic­hsten Im- mobilienka­ufleute Frankfurts. Doch der Abriss der alten Villen war unpopulär. Es gab Widerstand.

Rainer Werner Fassbinder schrieb das Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“. Bubis meinte sich in der Hassfigur des gierigen jüdischen Immobilien­spekulante­n zu erkennen. Er protestier­te.

Unterdesse­n war er Vorsitzend­er der jüdischen Gemeinde Frankfurts geworden. Er war stets für jeden – Juden wie Nichtjuden – erreichbar. „Not hält sich nicht an Bürostunde­n“, erläuterte er mir. „Wenn mich jemand braucht, muss ich für ihn da sein.“

1992 wählte ihn der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d zu seinem Vorsitzend­en. Als ich ihn zu seiner Haltung gegenüber seiner deutschen Heimat ansprach, zögerte Bubis. Rasch wurde er zu einem der populärste­n Bürger dieses Landes. In den Medien war er schier allgegenwä­rtig. Seine klare Haltung und Sprache, seine Natürlichk­eit nahm die Menschen für ihn ein. 1993 befürworte­ten viele die Wahl von Ignatz Bubis zum Bundespräs­identen. „Dieses Land ist für ein jüdisches Staatsober­haupt noch nicht reif“, ahnte Bubis und behielt leider Recht. Als der Schriftste­ller Martin Walser Jahre später davor warnte, dass die Juden die „Moralkeule“schwingen würden, stand Bubis mit seiner Kritik allein. Das verbittert­e ihn. Doch unverdross­en setzte Bubis sein Wirken fort. Vernachläs­sigte darüber seine Geschäfte.

Als ich im Sommer 1999 erfuhr, Bubis sei schwer erkrankt, meldete ich mich umgehend bei ihm. Er gab vor, ihm gehe es „besser“, zugleich bat er mich zu einem Interview in sein Haus. Er wünschte sich „ein ausführlic­hes Gespräch“. Ich lud den „Stern“-Journalist­en Michael Stoessinge­r dazu ein. Zunächst erschrak ich. Bubis war offensicht­lich dem Tod geweiht. Doch sein Geist war klar wie stets.

Fünf Stunden lang berichtete er von seiner Verbundenh­eit mit Deutschlan­d, aber auch von seinen zahllosen Rückschläg­en. Immer noch sahen ihn selbst Politiker als Fremden an. Er bekam zu hören, Israel sei seine Heimat, der dortige Präsident sein Staatsober­haupt. Habe seine Arbeit nicht geholfen, wollte Stoessinge­r wissen. „Ich habe nichts, fast nichts erreicht“, zog Bubis seine Lebensbila­nz. Das war nüchtern und ehrlich. Wenige Wochen später starb er. Hochgeehrt, doch seine Liebe zu Deutschlan­d war kaum erwidert worden – auch wenn er viel Verständni­s weckte. Ein typisches deutsch-jüdisches Schicksal. Man denke nur an Heinrich Heine.

Publizist und Historiker

Unser Gastautor Rafael Seligmann wurde 1947 in Tel Aviv geboren und ist deutscher Schriftste­ller, Publizist, Politologe und Zeithistor­iker.

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FOTO: ULLSTEIN Ignatz Bubis, damals Vorsitzend­er des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, im Jahr 1996.

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