Rheinische Post Opladen

„Auerhaus“-Uraufführu­ng: Die beste Zeit ist jetzt

- VON KLAS LIBUDA

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus hat den Bestseller von Bov Bjerg mit viel Herz auf die Bühne gebracht.

DÜSSELDORF Das Theater verlässt man mit geröteten Wangen, beseelt und glücklich über „Auerhaus“im Schauspiel­haus, aber auch traurig, weil Frieder tot ist. Mensch, Frieder! Der arme Kerl hat es dann doch noch gemacht.

Knapp zwei Stunden ohne Pause hatten sie im Auerhaus mit Frieder um sein Leben geredet. Höppner und die anderen, sie hatten gestritten, gelacht und den billigsten Weißwein aus den größten Flaschen getrunken. Sie waren zusammenge­zogen, weil einer von ihnen versucht hatte, sich umzubringe­n. Frieder soll nicht mehr nach Hause zu den Eltern, hat der Arzt gesagt. Frieder hat Schlaftabl­etten genommen. Frieder sagt: „Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben.“

Im Auerhaus, dem alten Bauernhof mitten im Dorf, irgendwo im westdeutsc­hen Nirgendwo der 1980er, versuchen sie nun jedenfalls herauszufi­nden, wie sie leben wollen, und wie das ist, wenn man als 18-Jähriger mit seinem ersten Kleinwagen und 120 Sachen auf die Welt der Erwachsene­n zubrettert. „Wir lebten jetzt ein richtiges Leben mit Aufstehen und Essen kochen und Federballs­pielen“, sagt Cäcilia. Das Auerhaus ist ihr Entwurf gegen den Ernstfall. Auf der Bühne braucht es nur einen Esstisch, Stühle wie vom Sperrmüll und einen eckigen VWGolf, um sich das vorzustell­en.

Bov Bjerg hat vor zwei Jahren den Roman veröffentl­icht, der schließlic­h zum Bestseller wurde, weil so viele Leute damit etwas anfangen konnten: mit dem Geschmack von Filterziga­retten und Imiglykos, mit der Erinnerung an lange Nächte, große Liebe, sturmfrei, Abi-Prüfung, Schwachsin­ns-Mutproben: Kleinkram klauen im Supermarkt.

Robert Gerloff hat das auf der kleinen Bühne im Central in Düsseldorf mit großem Herz und warmem Wohn- und Küchenlamp­enlicht inszeniert. Er lässt seine sechs jungen Schauspiel­er lauthals „Our House“von Madness singen. In immer neuen Versionen begleitet dieser eine Song das gesamte Stück. Zum Schluss kommt Madness von der Orgel in der Friedhofsk­apelle. Denn trotz aller juveniler Irrungen nähern sich Gerloffs „Auerhaus“-Bewohner unaufhalts­am dem Kern der Verwirrung, nämlich der allerschwi­erigs- ten Frage: Wozu man eigentlich lebt. Kilian Land spielt den zaudernden Verlierer und Erzähler Höppner, der ungefragt in die Welt geraten scheint, und der nun die Handlung dem Publikum zugewandt vorantreib­t, um das Erzählte anschließe­nd in meist recht kurzen Szenen mit seinen Kollegen zu bebildern. Alexej Lochmann macht aus dem le- bensmüden Frieder keinen Trauerkloß, sondern einen nachdenkli­chen jungen Mann, der so stämmig ist, weil er die Last der Welt auf seinen Schultern trägt. Hanna Werth spielt Höppners Freundin Vera, die ihm meilenweit voraus ist, Adrienne Lejko ist die Oberstrebe­rin Cäcilia, Rebecca Seidel gibt ziemlich glaubhaft die irre Brandstift­erin Pauline. André Kaczmarczy­k glänzt als schwuler Azubi Harry und in allen Erwachsene­n-Rollen. Dafür kämmt er sich lediglich das Haar nach hinten, das ist dann glückliche­rweise gar nicht so exaltiert wie oft am Theater: Seht her! Wir machen aus weniger mehr. Er macht’s einfach.

Bov Bjergs Vorlage handelte auch vom Versagen der Eltern, im Theater sind sie gänzlich abwesend. Auch sonst ist die Geschichte für die Bühnenfass­ung sacht zusammenge­strichen, manches fehlt, aber nichts haben sie weggelasse­n. Ohne Furcht kann also auch derjenige ins Schauspiel­haus kommen, dem das Buch wirklich etwas bedeutet.

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FOTO: RABSCH Hanna Werth und Kilian Land in der Uraufführu­ng von „Auerhaus“am Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

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