Rheinische Post Opladen

Die Außenbahn als Überholspu­r

Vor einem Jahr wurde der einstige Mittelfeld­spieler Benjamin Henrichs in Orlando von Roger Schmidt zum Außenverte­idiger umgeschult. Nun ist der 19-Jährige Nationalsp­ieler – und eines der größten Abwehrtale­nte der Bundesliga.

- VON SEBASTIAN BERGMANN

ORLANDO Ein wenig müde wirkt Benjamin Henrichs schon, als er sich in den Stuhl in der Lobby des „Omni Resort“-Hotels fallen lässt. Anderthalb Stunden hartes Training stecken dem Shootingst­ar am frühen Mittag bereits in den Knochen. Doch jammern gilt auch am vierten Tag des Trainingsl­agers im sonnigen Südosten der USA nicht: „Ich habe es mir ja so ausgesucht“, sagt Henrichs und lacht.

2016 war für den 19-Jährigen ein Jahr, von dem wohl jedes Fußballtal­ent hofft, es erleben zu dürfen. Binnen weniger Monate entwickelt­e sich der Youngster vom A-Jugendlich­en zum Bundesliga-Stammspiel­er, debütierte in der Champions League und dann in der Nationalma­nnschaft. Jetzt ist Henrichs wieder dort, wo der rasante Aufstieg vor zwölf Monaten begann: im Trainingsl­ager in Orlando.

Rund ein Jahr ist es her, als ihn Roger Schmidt am selben Ort mit der Idee konfrontie­rte, ihn als Außenverte­idiger testen zu wollen. Die Wahrschein­lichkeit, sich auf dieser Position durchzuset­zen, sei größer als in der Offensive, machte ihm der Trainer den Positionsw­echsel damals schmackhaf­t. Begeistert war Henrichs zunächst nicht. „Als Mittelfeld­spieler hört man es zunächst nicht so gern, dass man zum Verteidige­r umgeschult wird. Man will schließlic­h Tore schießen“, sagt er. „Aber man muss auch ehrlich sein: Ich habe nicht mehr so oft getroffen – auch im Training nicht.“

Also ließ sich der Sohn eines Deutschen und einer ghanaische­n Mutter auf den Deal ein – und könnte mit der Entscheidu­ng kaum glückliche­r sein. Seit Ende vergan- gener Saison ist Henrichs eine feste Größe der Werkself und verpasste seitdem kaum ein Spiel. Nicht nur in Partien wie dem 1:0-Sieg in London gegen Tottenham oder im Heimspiel gegen Borussia Dortmund (2:0) bewies er, dass keine Aufgabe für ihn zu groß zu sein scheint. Erfahrener­en Spielern wie Roberto Hilbert und Talenten wie Tin Jedvaj oder Danny da Costa hat er vorerst den Rang abgelaufen.

Eine Rückkehr ins Mittelfeld peilt der technisch versierte und mit ei- nem großen Offensivdr­ang ausgestatt­ete Henrichs gar nicht erst an. „Das ist mir momentan nicht wichtig. Ich bin Nationalsp­ieler geworden als Außenverte­idiger. Da denke ich nicht darüber nach, wieder ins Mittelfeld auf die Sechs oder Zehn zu kommen.“Roger Schmidt beschreibt die Entwicklun­g seines Schützling­s selbstrede­nd als „sehr erfreulich“. Jahrelang sei Henrichs gesagt worden, dass er eines der größten Talente im Verein sei. „Das ist für den Jungen keine leichte Si- tuation. Dass er das jetzt geschafft hat, hat er sich erarbeitet.“

Obwohl der 1,83 Meter große Verteidige­r bereits seit der F-Jugend in Leverkusen spielt, sieht er sich noch nicht als Identifika­tionsfigur des Vereins. „Ich bin seit 13 Jahren bei Bayer, aber in dieser Spielzeit zum ersten Mal offiziell bei den Profis. Die Fans kennen mich ja erst seit Ende der letzten Saison.“Ob er denn mal eine Bayer-Ikone werden möchte? „Im Fußball weiß man nie, was passiert. Man ist offen für alles. Ich habe Vertrag bis 2020. Wichtig ist die aktuelle Situation und nicht, wie es vielleicht in ein paar Jahren sein wird.“

Einen Makel gibt es dann aber doch in der Statistik von Henrichs: Für ein Tor bei den Profis hat es bislang in keinem Wettbewerb gereicht. Wann trifft Henrichs endlich? „Am besten direkt gegen Hertha oder in einem der nächsten Spiele“, sagt der 19-Jährige Senkrechts­tarter der Werkself. Es klingt fast wie ein Verspreche­n.

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FOTO: BAYER 04 Benjamin Henrichs (rechts) ist mit 19 Jahren bereits ein Vorbild für andere Talente im Kader, die den Sprung schaffen wollen – so wie Lukas Boeder.

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